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NEX24-Interview
Buchvorstellung: „Die Braut aus dem Osmanischen Reich – Teil 2

Im Mittelpunkt stehen erneut die Erinnerungen und wahren Erzählungen der türkischen Großmutter von Bütüns Ehemann.

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Mit dem zweiten Teil ihres historischen Romans „Die Braut aus dem Osmanischen Reich“ mit dem Untertitel „Ein Frauenleben in der jungen Republik Türkei“ (1923 – 1954) legt Autorin Marina Bütün die Fortsetzung einer bewegenden historischen Familiengeschichte vor, die teilweise auf wahren Begebenheiten beruht.

Exakt einen Monat nach Erscheinen des ersten Bandes ist nun die Fortsetzung am 12. Juni 2025 erschienen – und vervollständigt das eindrucksvolle Porträt einer osmanisch-muslimischen Familie im Wandel der Zeit.

Im Mittelpunkt stehen erneut die Erinnerungen und wahren Erzählungen der türkischen Großmutter von Bütüns Ehemann. Diese persönliche Perspektive bildet den roten Faden der Geschichte und ermöglicht einen authentischen Rückblick auf eine Zeit, in der sich persönliche Schicksale und große historische Umbrüche untrennbar miteinander verbanden.

NEX24: Frau Bütün, im Mai erschien der erste Teil Ihres Familienromans „Die Braut aus dem Osmanischen Reich“, Untertitel: Unter der Obhut des Sultans, über die bewegte Zeit des Osmanischen Reiches zwischen 1908 und 1922. Was erwartet die Leser nun im zweiten Band?

BÜTÜN: Der zweite Teil beginnt im Mai 1923, mit dem ersten Monat des Bevölkerungsaustauschs zwischen Anatolien und Griechenland und führt die Leser erst nach Izmir, danach nach Ankara und im Anschluss nach Mimarsinan Köyü bei Kayseri. Es ist eine Zeit voller Unruhe, in der das Osmanische Reich zerfiel und die moderne Republik Türkei unter Mustafa Kemal Atatürk gegründet wurde.

Die Menschen erlebten tiefgreifende Reformen und gesellschaftliche Umbrüche – für die einen war es ein Aufbruch, für andere ein schmerzhafter Abschied, den ihre Familien heute noch nicht vergessen haben.

Die Geschichte führt über den Tod Atatürks hinaus bis zur Amtsübernahme durch seinen Nachfolger İsmet İnönü. Die Leser begleiten eine junge Frau und ihre Familie, die im Jahr 1922 selbst aus dem osmanischen Saloniki, noch vor dem offiziellen Bevölkerungsaustausch, geflüchtet ist, bis ins Jahr 1954 und erhalten einen kurzen, aber realitätsnahen Ausblick auf das weitere Schicksal ihrer Nachkommen bis in unsere Zeit.

NEX24: Schon bei der Vorstellung von Teil 1 Ihres Romans wurde deutlich, wie lange Sie mit dem Gedanken gespielt haben, ein Buch über die Großmutter Ihres Mannes zu schreiben, die Sie selbst noch in den 1990er Jahren in Ankara kennengelernt haben. Dann entschieden Sie sich erst nach über 30 Jahren, diese fragmentarischen Erzählungen in historische Ereignisse von damals einzubinden. Können sich die Leser auch im zweiten Teil des Romans auf viele interessante private Details ab 1923 freuen?

BÜTÜN: Ja, auf jeden Fall. Auch im zweiten Teil steht das persönliche Erleben im Vordergrund – eingebettet in die große Umbruchszeit nach dem Ende des Osmanischen Reichs. Mein Ziel war es, diese Atmosphäre greifbar zu machen, ohne ein trockenes Geschichtsbuch zu schreiben. Es ging um tiefgreifende Veränderungen: neue Gesetze, neue Kleidung, neue Namen. Vieles empfanden die Menschen als Bruch mit ihrer bisherigen Welt.

Wichtige historische Ereignisse wie der Vertrag von Lausanne werden erklärt, aber immer aus der Perspektive der betroffenen Menschen. Eine Zeitleiste im Buch hilft bei der Einordnung – gerade weil es bis heute viele widersprüchliche Behauptungen gibt.

Mir war wichtig, beide Seiten der damaligen Konflikte zu zeigen, ohne zu werten – denn auch heute sind die Debatten über Atatürk und die Republik oft sehr emotional. Es geht mir nicht um historische Figuren, sondern um das Leben einfacher Menschen.

Im Mittelpunkt steht erneut die Geschichte einer jungen Frau, deren Familie eine schicksalhafte Begegnung mit Mustafa Kemal Pascha hatte – der später Atatürk wurde. Ihre Lebensrealität bildet das Herzstück der Erzählung.

NEX24: Der erste Band endete kurz vor der Gründung der Republik Türkei im Jahr 1923 – ein historischer Wendepunkt. Im zweiten Band verlagern sich die familiären Gesprächsszenen nach dem Bevölkerungsaustausch im Mai 1923 von Saloniki nach Anatolien, insbesondere nach Ankara, das zur neuen Hauptstadt wurde.

Die alte Heimat ist plötzlich ein anderer Staat. Die Menschen mussten sich im griechisch gewordenen Teil des Reiches zwingend entscheiden – bleiben und sich einer völlig neuen, christlichen Lebensweise anpassen oder gehen und in einem fremden Teil des früheren Reiches neu anfangen. Das wird im ersten Teil deutlich. Hörten die Probleme dieser Menschen mit der Übersiedelung nach Anatolien auf?

BÜTÜN: Nein! Für viele der Untertanen aus dem Osmanischen Reich waren die vielen Umstellungen sehr dramatisch – von der neuen Staatsform über den Kalender bis hin zur Einführung einer neuen Schrift, vor allem für die älteren Menschen, die nichts anderes als ihr altes Leben kannten und es aufgeben mussten.

Auch konservative Menschen, die auf den Dörfern in Anatolien aufwuchsen, betraf das genauso wie diejenigen, die vom Bevölkerungsaustausch betroffen waren. Während die einen alles bejubelten, empfanden andere dies als Verlust ihrer Identität. Auch die Großmutter meines Mannes, obwohl noch jung, konnte nach der Gründung der Republik bis zu ihrem Ende nur Arabisch schreiben und lesen.

NEX24: Sie sagen also, dass man sich heute kaum vorstellen kann, was die Menschen damals seelisch durchgemacht haben?

BÜTÜN: Ganz genau. Wir, die in Europa oder der Türkei seit Jahrzehnten in Frieden leben, können das Erlebte früherer Generationen nicht wirklich nachvollziehen – weder psychisch noch physisch. Auch Nachkommen dieser Familien kennen nur Erzählungen, nicht aber die tiefen, persönlichen Empfindungen der Betroffenen.

Unsere Generation ist an Sicherheit, Fortschritt und ständigen Informationsfluss gewöhnt. Selbst die heute tragischen Flüchtlingsschicksale berühren uns oft nur aus der Distanz – durch Nachrichten oder Bilder. Doch Zusehen ist nicht dasselbe wie Erleben.

Damals gab es keine Smartphones, keine sozialen Netzwerke, keine Möglichkeit, Verwandte einfach zu erreichen. Wer unterwegs war, konnte oft über Wochen nichts von seinen Liebsten hören. Auch Menschen mit Festnetztelefon und Briefverkehr vor der digitalen Ära fühlten sich im Alltag sicher – ganz im Gegensatz zu denen, die sich einst auf der Flucht befanden.

Die Realität jener Zeit war geprägt von Entwurzelung, Verlust und totaler Orientierungslosigkeit – seelisch wie körperlich. Das können wir heute kaum mehr wirklich nachempfinden.

NEX24: Was ist Ihr ganz persönliches Anliegen bei der Veröffentlichung der beiden Bücher?

BÜTÜN: Wie bereits im ersten Band möchte ich auch im Teil 2 auf keinen Fall dadurch eine politische Position beziehen, sondern die Geschichte einer Familie erzählen, die zufällig zu einer schweren Zeit von großen weltweiten Umwälzungen lebte.

Das möchte ich hier noch einmal ausdrücklich betonen. Es gibt im Internetzeitalter natürlich viele Informationen, allerdings immer nur Fragmente, die so gekürzt sind, dass sie jeder in fünf Minuten lesen kann – doch das reicht nicht aus, um alle Zusammenhänge zu verstehen – wenn man es wirklich will. Ich behaupte, es gibt nur noch ganz wenige Generationen, die gerne Bücher lesen.

Im Band 1, zwischen 1908 und 1922, also von der zweiten osmanischen Verfassungsperiode bis zur Gründung der Republik Türkei, war das Osmanische Reich fast durchgehend in militärische Konflikte verwickelt. In diesen 14 Jahren fanden mehrere große Kriege und zahlreiche kleinere militärische Auseinandersetzungen statt.

Wer von uns kann sich das heute noch vorstellen, wie es wirklich war und was die Menschen durchmachten? Ich behaupte, niemand und vor allem nicht, wenn man nur kleine Zehnzeiler in Social Media liest.

Im Band 2 geht es mit inneren Aufständen Anatoliens weiter, mit großen Veränderungen bezüglich der Gründung neuer Staaten nach dem Ersten Weltkrieg, der Rolle der Briten in diesem Schachspiel der Mächte – Ereignisse, die so umfangreich sind, dass ich sie nur streifen konnte und die jeder gehört hat, aber immer aus der Sicht des eigenen Staates.

Mein größter Wunsch ist es, dass sich die Leser auf Grundlage der belegten historischen Fakten und familiären Dialoge selbst eine Meinung bilden und vielleicht konnte ich das Interesse an dieser historischen Zeit des weltweiten Umbruchs bei einigen wecken.

Ich habe bewusst auf neutrale Darstellung geachtet – beide Seiten sollen zu Wort kommen. Es geht nicht darum, jemanden zu überzeugen, sondern darum, ein differenziertes Bild zu vermitteln. Deshalb habe ich mich an gut belegte Quellen gehalten, die im Anhang des Buches auch dokumentiert sind, natürlich auch unsere familiären Quellen über die privaten Erlebnisse.

Im Zentrum steht das bewegte Leben einer Muslima: der Großmutter meines Mannes. Nach ihrer Hochzeit in Ankara erlebte sie zahlreiche Schicksalsschläge – darunter ein besonders tragisches Ereignis mit unerwartetem Ausgang, welches die Familie heute noch auf ganz besondere Weise prägt.

Abschließend möchte ich zur gestellten Frage noch ergänzend erwähnen:

Ich schreibe ausschließlich über Themen, die mich persönlich berühren oder interessieren – ganz spontan und nur dann, wenn die Zeit dafür reif ist. So war es auch bei den beiden Bänden von Die Braut aus dem Osmanischen Reich“: Es war ein innerer Impuls, der mich dazu gebracht hat, diese Geschichte festzuhalten. Und es machte mir so große Freude, es aufzuschreiben, dass ich fast enttäuscht war, als ich den zweiten Teil beendet hatte. Ich bin täglich beim Schreiben so tief in die Geschichte „eingetaucht“ – es lässt mich auch jetzt noch nicht los.

Mein Antrieb ist immer das Bedürfnis, Wissen, Erfahrungen und Geschichten mit anderen zu teilen – sei es, weil jemand daraus etwas mitnehmen kann oder weil es einfach Freude macht, ein unterhaltsames Buch zu lesen.

Das gilt auch für meine Auswanderer-Tagebücher Weißwurst mit türkischem Tee in drei Bänden, die ebenfalls einen sehr persönlichen Bezug haben. Vielleicht kann der eine oder andere Leser von meinen Erfahrungen profitieren.

Den Ratgeber Auswandern Türkei habe ich erst 18 Jahre nach meiner eigenen Auswanderung geschrieben – als Reaktion auf die zahlreichen Anfragen, die mich über meinen Blog und über Facebook erreichten. Immer wieder wurden mir dieselben Fragen gestellt.

Gleichzeitig war ich beruflich stark eingespannt, da ich 17 Jahre lang gemeinsam mit meinem Mann unsere Firma geführt habe. Aus dieser praktischen Erfahrung heraus entstand später auch der Ratgeber Türkei-Immobilien, in dem ich Tipps zum Bauen, Sanieren, Kaufen oder Mieten gebe. Jedes meiner Bücher hatte einen konkreten persönlichen Anlass, veröffentlicht zu werden – selbst das Orientalische Traumbuch oder das über Human Design.

Jedes Buch hat eine Vorgeschichte und einen triftigen Grund, es zu schreiben – andere Gründe gibt es nicht.