Start Politik Ausland Imamoglu-Verhaftung Yücel: „Das Eko-System in Istanbul bricht zusammen“

Imamoglu-Verhaftung
Yücel: „Das Eko-System in Istanbul bricht zusammen“

In der Türkei wurden bei der zuletzt fünften Verhaftungswelle weitere Angestellte und oppositionelle Bürgermeister aus Istanbul und Adana verhaftet.

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Ein Gastbeitrag von Nabi Yücel

In der Türkei wurden bei der zuletzt fünften Verhaftungswelle weitere Angestellte und oppositionelle Bürgermeister aus Istanbul und Adana verhaftet.

Auf der anderen Seite wurden elf Personen aus der Untersuchungshaft entlassen, die zuvor mit der Istanbuler Generalstaatsanwaltschaft vollumfänglich kooperierten, dabei mit teilweisen oder vollen Schuldeingeständnissen eine Freilassung bis zum Verhandlungstag herausgeschlagen hatten.

Schlimmer als Ekrem Imamoğlu geht nimmer, dachte man sich bislang. Doch je länger und tiefer die Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaften in Istanbul, Ankara oder Adana anhalten, je mehr Untersuchungshäftlinge von der „wirksamen Reue“ (etkin pişmanlık) Gebrauch machen, desto eher hegt man mittlerweile den Verdacht, dass hier ein „Eko-System“ im Gange war, dessen Zerschlagung die Türkei an den oppositionellen Fundamenten rütteln wird.

Eyüp Subaşı-Aussage

Erstmals bezeichnete der türkische Unternehmer Eyüp Subaşı in seiner vollumfänglichen Aussage gegenüber der Generalstaatsanwaltschaft Istanbul die Korruptionsvorwürfe in Zusammenhang mit dem ehemaligen Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu als „System“.

Seither wird in sozialen Medien oder in den unzähligen TV-Talkshows von einem „Eko-System“ gesprochen. „Eko“ steht hier für Ekrem, sprich Ekrem Imamoğlu. Mit Beginn der Razzia gegen den ehemaligen OB von Istanbul, Ekrem İmamoğlu, am 19. März, verstärkt sich nicht nur der Druck auf den „Kopf“ des „Systems“ der „kriminellen Organisation“, sondern auch auf die Oppositionspartei CHP selbst.

Und damit vor allem der Druck auf den Parteivorsitzenden Özgür Özel. Der brillierte zuletzt mit einem außerordentlichem Wink mit dem Zaunpfahl, ausgerechnet in Richtung des ermittelnden Istanbuler Generalstaatsanwalts Akın Gürlek.

„Gekaufte Delegierten-Stimmen“

Als wenn es schon nicht genug Probleme gebe, wie z.B. mit „gekauften Delegierten-Stimmen“ zur Vorsitzendenwahl während der 38. Generalversammlung am 5. November 2023, bei der der ehemalige Vorsitzende Kemal Kılıçdaroğlu seinem Kontrahenten Özgür Özel unterlag, positioniert sich nun Özgür Özel selbst geradezu mutwillig ins Fadenkreuz der Justiz.

Laut Medienberichten hat die Generalstaatsanwaltschaft von Istanbul nach diesem Fauxpas die Ermittlungen gegen den CHP-Vorsitzenden aufgenommen: wegen Drohung und Nötigung gegen Amtsträger. Die Ermittlungen in Zusammenhang mit „gekauften Delegierten-Stimmen“ sind in Ankara bereits im vollen Gange und gehen demnächst in die Anklageerhebung über.

Wenn die Vorwürfe ernst genommen werden und zur Anklage führt, droht Özgür Özel selbst nicht nur eine Strafe, sondern die juristisch angeordnete Abwahl und die Wiederernennung seines einstigen Ziehvaters Kemal Kılıçdaroğlu zum Parteivorsitzenden. Kemal Kılıçdaroğlu selbst hatte kurz nach der 38. Generalversammlung die Wahl als getürkt dargestellt und seinen politischen Weggefährten Özgür Özel und Ekrem Imamoğlu vorgeworfen, ihn hinterhältig erdolcht zu haben.

Offensichtlich stolpern Özgür Özel und Ekrem İmamoğlu nun selbst über die einstigen selbst gestellten Fallen, und über ihre hehren Ziele: der Kandidatur zur Präsidentschaftswahl, die erst in drei Jahren ansteht. Nicht nur das: sie stehen auch politisch auf einem seidenen Faden.

Während Imamoğlu noch immer auf seine Popularität zurückgreifen kann, die mit Social-Media-Bots mehr schlecht als recht aufrechterhalten wird, muss Özgür Özel nun alle Register ziehen, um den entstandenen Imageschaden abzuwenden.

Doch reicht der Wink mit dem Zaunpfahl? Experten sind sich einig, dass der Schaden für die Partei selbst immens sein wird, vor allem dann, wenn die Anklageschriften stehen und danach nach Jahren und juristischem Tauziehen die Anschuldigungen in Verurteilungen enden und rechtswirksam werden.

Dabei würde z.B. allein schon ein Blick auf die Begründung des Haftrichters vom 23. März 2025 reichen, um zu verstehen, wie ernst es um Ekrem İmamoğlu steht. In der Begründung zur Untersuchungshaft wurde vom Gericht detailliert vorgetragen, weshalb man der Generalstaatsanwaltschaft zustimme,  Imamoğlu in Untersuchungshaft zu nehmen.

Zwar bekommt man in der Begründung des Haftrichters nicht mit, welche konkreten Vorwürfe von der Generalstaatsanwaltschaft mit Beweisführung vorgetragen wurden, aber die Begründung an sich liefert schon allein für sich den starken begründeten Verdacht, dass die erhobenen Anschuldigungen nicht von der Hand zu weisen sind, sondern in der Beweisführung Hand und Fuß haben.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat offensichtlich ihre Hausaufgaben gemacht, und das war auch dringlich geboten, angesichts der Person und dem Status an sich. Da wäre aber vor allem auch die Frage zu stellen, weshalb die CHP-Führung es bislang eklatant versäumt hat, die vor den Generalstaatsanwaltschaften gesprächigen, kooperativen einstigen politischen Weggefährten, kommunalen Bediensteten oder Unternehmer wegen Verleumdung anzuklagen.

Sind sie doch allesamt jene, die in diese Korruptionsaffäre laut eigenen Aussagen selbst verwickelt sind, diese Vorwürfe selbst bestätigen. Bis jetzt – nach Wochen und Monaten – hat weder Ekrem İmamoğlu noch Özgür Özel oder die Partei an sich, eine einzige Verleumdungsklage gegen einen dieser unzähligen „Lügner“ eingereicht, wie die Heerschar von Social-Media-Bots uns glaubhaft machen will.

Zudem, Özgür Özel und Ekrem Imamoğlu stehen doch allein wegen CHP-Mitgliedern selbst im Fadenkreuz der Justiz, die seit der 38. Generalversammlung unzählige Strafanzeigen gestellt oder in Funk und Medien die Parteiführung angegriffen haben. Offensichtlich hatte sich das Projekt „Ekrem İmamoğlu run for President“ für viele nicht rentiert oder zahlten sogar drauf, die in den Moloch des OB von Istanbul gerieten.

Imamoğlu hatte laut dem Unternehmer Eyüp Subaşı die Korruption für sich, die politische Karriere und zuletzt für die Präsidentschaftskandidatur entdeckt. Er konnte offensichtlich nicht mehr genug bekommen, erklären weitere Unternehmer, die in dieses Moloch gerieten und die Vorwürfe von Subaşı ebenfalls teilen.


Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von NEX24 dar.


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