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Gastkommentar
Rassismus in der muslimischen Community – Verdrängtes Erbe

Ob gegenüber Schwarzen oder gegenüber Sinti und Roma – die Realität ist, dass auch innerhalb der Umma rassistische Denkmuster, koloniale Überlegenheitsfantasien und ethnische Abwertung tief verwurzelt sind.

(Symbolfoto: nex24)
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Ein Gastbeitrag von Gazmend Gashi

Während sich muslimische Communities in Europa – und vor allem in Deutschland – zu Recht gegen antimuslimischen Rassismus, staatliche Repression und medialen Generalverdacht zur Wehr setzen, bleibt eine unbequeme Wahrheit weitgehend verdrängt: Der Rassismus im eigenen Inneren.

Ob gegenüber Schwarzen oder gegenüber Sinti und Roma – die Realität ist, dass auch innerhalb der Umma rassistische Denkmuster, koloniale Überlegenheitsfantasien und ethnische Abwertung tief verwurzelt sind. Und je tiefer dieses Problem reicht, desto lauter wird es tabuisiert.

Ein Beispiel dafür ist die Figur des TikTok-Predigers Abdel Hamid – ein religiöser Influencer, der sich mit kindlich-traurigem Gesichtsausdruck, emotionalisierter Rhetorik und einer Mischung aus Ghettoästhetik und wahhabitischem Sendungsbewusstsein eine digitale Gefolgschaft aufgebaut hat.

Er redet viel über “den wahren Islam”, beschwört mit “Vallahi”-Pathos moralische Prinzipien und warnt vor Betrügern – während er selbst wiederholt mit dem Gesetz in Konflikt gerät: Vorwürfe der Steuerhinterziehung, des Spendenbetrugs und mehrfacher Täuschung stehen im Raum. Und es ist nicht das erste Mal.

Doch anstatt diese Verfehlungen kritisch zu reflektieren, klammern sich viele seiner Anhänger an einen Verteidigungsreflex, der mehr an die Logik von Verschwörungsgläubigen erinnert als an islamische Selbstverantwortung. Abdel Hamid sei ein Opfer des Staates, ein „korrekter Bruder“, der von den „Kufar“ zum Schweigen gebracht werde.

Solche Narrative ähneln frappierend dem Opferdiskurs rechter Deutscher, die „das System“ für ihre eigene Verantwortungslosigkeit verantwortlich machen. Es ist die islamisierte Variante des deutschen “Stockholm-Syndroms”: Der Täter wird idealisiert, das System dämonisiert, und die Wahrheit bleibt auf der Strecke.

Als bekannt wird, dass Abdel Hamid zur Minderheit der Sinti und Roma gehört, kippt die Verteidigung in ein anderes Muster – und zwar in einen offenen Rassismus. In Kommentaren heißt es plötzlich: „Ach, er ist Roma? Das erklärt alles.“

Der strukturelle Rassismus, den viele Muslime selbst täglich erleben, wird in diesem Moment ungefiltert reproduziert – nur eben gegen jene, die innerhalb der marginalisierten Gruppen noch einmal ganz unten stehen: Schwarze und Roma.

Es ist ein bekanntes Muster: Wenn ein arabischer Prediger durch Korruption auffällt, heißt es, er sei vom Weg abgekommen. Wenn ein türkischer Hodscha die Community betrügt, wird von einer „Fitna“ gesprochen, einem teuflischen Test. Doch wenn ein Schwarzer Muslim oder ein Angehöriger der Roma-Community kriminell wird, dann wird seine Ethnie zum Erklärungsmodell.

Plötzlich ist es „in ihrer Natur“, plötzlich „nicht verwunderlich“. Dieses Denken ist kein Einzelfall, sondern Ausdruck eines tief verinnerlichten Rassismus, den man in der muslimischen Umma weder benennen noch aufarbeiten will.

Die Diskriminierung von Schwarzen und Roma-Muslim*innen ist nicht neu. In vielen Moscheen gilt der dunkelhäutige Bruder als „der andere“, selbst wenn er mehr Qur’an kennt als der Imām. Roma-Familien wird unterstellt, sie seien „unorganisiert“ oder „illoyal“. Schwarze Schwestern werden bei Heiratsvorschlägen systematisch übergangen oder exotisiert. Und wenn Kritik an diesem Zustand laut wird, verteidigt man sich mit dem verlogenen Satz: „Bilal war schwarz – also gibt es keinen Rassismus im Islam.“

Diese Instrumentalisierung Bilals ist der Gipfel der Ignoranz. Denn Bilal wird nicht als realer Mensch gesehen, sondern als moralisches Alibi. Seine Hautfarbe soll die eigene Blindheit verdecken. In Wahrheit handelt es sich um eine islamisierte Variante des „Onkel-Tom“-Mechanismus: Bilal als Strohmann. Als Ausrede. Als bequeme Erinnerung daran, dass wir uns mit dem Rassismus in unseren Reihen nicht auseinandersetzen müssen.

Besonders perfide ist es, wenn privilegierte muslimische Frauen – meist weiß, türkisch oder arabisch – diese Argumentation übernehmen, um sich ihrer eigenen rassistischen Reflexe nicht stellen zu müssen.

Dass der Fall Abdel Hamid gerade innerhalb einer unterschichtgeprägten, bildungsfernen TikTok-Community so viel Zuspruch erfährt, liegt auch an seiner Inszenierung als „einer von uns“. Er kommt „von der Straße“, spricht ihre Sprache, erzählt emotionale Geschichten, reduziert Frauen auf Anekdoten über Aisha – stets als die „demütige, dienende Frau“, die sich dem Propheten vollkommen unterordnet.

Dass Aisha in Wirklichkeit eine politische Akteurin, eine Gelehrte und eine streitbare Persönlichkeit war, wird ausgeblendet. Abdel Hamid benutzt sie als religiöse Vorlage zur Reproduktion patriarchaler Unterwerfung. Seine männliche Zuhörerschaft soll lernen: Eine gute Frau schweigt, folgt und gehorcht. Männliche Verantwortung? Theologische Tiefe? Fehlanzeige.

Dass er kaum Qur’an zitiert, keine Hadith-Kompetenz hat und stattdessen mit emotionaler Manipulation arbeitet, stört seine Gefolgschaft nicht. Denn Bildung ist in diesem Milieu kein Kriterium. TikTok ersetzt die Moschee. Emotion ersetzt Erkenntnis. Zugehörigkeit ersetzt Wahrheit.

Seine Zielgruppe – oft intellektuell marginalisierte Jugendliche aus der Unterschicht – gleicht in ihrer Emotionalisierung dem Milieu rechter AfD-Wähler: Beide fühlen sich „von oben“ verraten, beide sehnen sich nach klaren Feindbildern, beide idealisieren charismatische Anführer, die ihnen Erlösung versprechen. Der eine mit Kalifat, der andere mit Vaterland.

Noch drastischer zeigt sich der sexistische und patriarchale Bodensatz salafistisch geprägter Szenen im Fall des Predigers Ibrahim A. Gegen ihn wurde wegen sexualisierter Gewalt gegen seine Ehefrau ermittelt. Die Anzeige wurde schließlich zurückgezogen – nicht aus Mangel an Beweisen, sondern infolge massiven Drucks aus seinem eigenen religiösen Umfeld.

Das Opfer lebt heute im Verborgenen. Es ist ein Beispiel für die strukturelle Frauenverachtung innerhalb der Wahhabiyya: Frauen, die sprechen, werden gebrochen. Männer, die Gewalt ausüben, werden gedeckt. Man schützt den Täter, nicht das Opfer. Eine Praxis, die mehr mit mafiöser Loyalität als mit islamischer Ethik zu tun hat.

Auch Prediger wie Pierre Vogel oder Abul Baraa sind Teil dieser Verblendungsindustrie. Vogel, dessen Lies-Projekte als Nährboden jihadistischer Radikalisierung dienten, flüchtete sich in eine Medienstrategie, die jede Kritik als antimuslimische Hetze diffamierte. Abul Baraa betätigte sich während der Pandemie als esoterischer Händler von überteuertem Honig und verbreitete medizinisch gefährliche Falschinformationen – ohne dass daraus innerhalb der Community nennenswerter Protest entstanden wäre.

Warum? Weil sie entweder weiß, arabisch oder türkisch sind – und damit Teil der ethno-religiösen Mehrheitsidentität innerhalb der Umma. Doch sobald ein Schwarzer oder Roma-Muslim ähnlich handelt, wird nicht mehr verziehen. Dann wird nicht diskutiert, dann wird verurteilt. Ethnische Herkunft wird zur Ursache erklärt, kulturelle Minderwertigkeit unterstellt.

Es ist ein rassistischer Doppelstandard, der sich in Predigten, in Ehen, in der Moscheepolitik und in der Jugendarbeit zeigt. Die Mechanismen gleichen denen der weißen Mehrheitsgesellschaft – mit dem Unterschied, dass man sie hier in Gottes Namen betreibt.
Wer den Islam als ethische Offenbarung versteht, muss endlich aufhören, diese Heuchelei zu dulden.

Kriminalität ist nicht ethnisch. Dummheit auch nicht. Aber Rassismus ist strukturell – und er ist in unseren Reihen angekommen. Wenn wir nicht den Mut aufbringen, den Finger in die eigene Wunde zu legen, dann wird die Umma nicht durch äußere Feinde zerstört – sondern durch das, was wir in ihr dulden: Ungerechtigkeit, Arroganz, Heuchelei.

Schwarze und Roma-Muslime sind keine Nebenfiguren, keine Testfälle, keine Fußnoten unserer Gemeinschaft – sie sind ein Teil von ihr. Und wer sie rassistisch ausgrenzt, hat den Islam nicht verstanden.


Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von NEX24 dar.