Von Çağıl Çayır
Am 30. Mai 2025 wurde Köln zum Schauplatz einer besonderen kulturell-spirituellen Begegnung: Das Istanbul Sufi Ceremonies Ensemble begeisterte mit der Veranstaltung „Sufi Devran“, organisiert vom Verein Hûman – Sufi Culture & Arts e.V..
Was anmutete wie ein Konzert, war in Wirklichkeit ein zeremonielles Ereignis, ein öffentlicher Einblick in eine jahrhundertealte geistige Praxis: die rituellen Tänze und Gesänge der Mevlevi- und Halveti-Tradition.
Ein Abend zwischen Mystik und Geschichte, zwischen Köln und Konya, zwischen Atem und Ewigkeit
Über 2000 Menschen kamen – nicht nur aus Köln, sondern aus der ganzen Region. Familien mit Kindern, Großeltern mit Enkeln, Freundesgruppen, Paare jeden Alters und jeder Herkunft. Sie alle vereinte das Bedürfnis nach einem Erlebnis, das verbindet – über Generationen, Kulturen und Religionen hinweg. Dass diese Veranstaltung in Köln stattfand, ist dabei kein Zufall, sondern fast schon eine symbolische Notwendigkeit.
Denn Köln ist nicht nur die Stadt der Kathedrale und des Karnevals. Es ist auch ein Ort tiefer spiritueller Schichten. Schon die Römer nannten sie Colonia Claudia Ara Agrippinensium: eine claudische Kolonie und zugleich eine Opferstätte der Agrippinenser, also der Ort eines römischen Altars – ein Gebetsort. Köln wurde als kultisches Zentrum gegründet – ein Ort, der Religion nicht nur lebte, sondern im Namen trug.
Und der Rhein? Er war nie nur Grenze, sondern immer auch Brücke. Zur Römerzeit trennte er zwar das Imperium Romanum vom „barbarischen“ Osten – doch zugleich war er Schauplatz intensiver kultureller Übergänge.
Die Römer übernahmen keltisch-germanische Götter, vermischten Mythen, nahmen germanische Stämme wie die Ubier in ihre Städte auf. Der Rhein war die Grenze des römischen Weltreichs, aber auch ein Ort, an dem Europa und Asien einander berührten. Denn jenseits des Flusses begann – aus römischer Sicht – der Osten. Der Rhein war der Saum der bekannten Welt.
Über den Rhein soll selbst Attila der Hunnenkönig einst nach Köln gekommen sein. Und tatsächlich: Noch heute gibt es in Köln Hunnen- und Mongolenvereine, die in Brauchtum, Reiterspielen und Symbolik an jene Reiterkulturen erinnern. Was einst als Furchtgestalt kam, ist heute Teil der kölschen Vielfalt geworden – integriert in Karneval, Erinnerungskultur und gelebte Multikulturalität.
Von Köln zogen im Hochmittelalter auch die ersten Kreuzritter gen Osten. Zur gleichen Zeit entwickelte sich in den islamischen Kulturräumen die Sufi-Tradition – in türkischer, persischer und arabischer Ausprägung. Gleichzeitig breitete sich das Mongolische Reich von Zentralasien bis nach Anatolien und Osteuropa aus und hinterließ auch dort kulturelle Spuren. Diese gleichzeitige Bewegung von Eroberung, Durchdringung und geistiger Suche prägte die Epoche tief – und hallt bis heute nach.
Im Hochmittelalter wurde Köln zudem zur Heimstätte des Schreins der Heiligen Drei Könige – und heute beherbergt sie auch die größte Moschee Deutschlands. Daher ist Köln eine der wichtigsten Pilgerstätten für Christen weltweit und zugleich ein bedeutendes religiöses Zentrum für Muslime in Deutschland. Nirgendwo sonst wird die Gleichzeitigkeit der Religionen und Kulturen so greifbar wie hier – an einem Ort, an dem heute Menschen aus fast allen Nationen leben.
Gerade deshalb ist es von besonderer Bedeutung, dass sich heute – am Ufer des Rheins, dem Fluss, der seit Jahrtausenden Kulturen verbindet, trennt und wieder zusammenführt, am Fuße des Kölner Doms, dessen Größe an die Größe und Macht des Glaubens erinnert, in der Kölner Philharmonie, einem der schönsten Konzertsäle der Stadt – ausgewählte Sufis aus Istanbul versammeln, um nicht nur ihre Musik und ihren Tanz, sondern auch ihre innere Haltung, ihre spirituelle Welt und ihre Botschaft des Friedens zu teilen.
Und gerade für die türkische Community in Köln – viele von ihnen Nachfahren der sogenannten „Gastarbeiter“, die in den 1960er- und 70er-Jahren in die Fordwerke kamen – hatte der Abend eine tiefe, identitätsstiftende Bedeutung. Was einst im Schatten der Fabrikhallen blieb, wurde an diesem Abend auf die Bühne der Philharmonie getragen: die geistige Tiefe, die künstlerische Eleganz, die kulturelle Vielfalt einer Religion und Lebensweise, die allzu oft missverstanden wird.
Dabei darf nicht vergessen werden: Die türkische Musik hat auch die europäische Musikgeschichte tief geprägt. Die Janitscharenmusik inspirierte Mozart zu seiner berühmten „Alla Turca“, die Marschtrommeln und Becken der osmanischen Militärkapellen fanden ihren Weg in europäische Orchester. Was an diesem Abend stattfand, war also auch ein Echo der Musikgeschichte Europas – nur diesmal rückte das Original ins Zentrum.
Die Wirkung des Abends ging weit über kulturelle Repräsentation hinaus. Was hier geschah, war ein fließender, kreisender Dialog zwischen Körper, Klang und Kosmos.
Die synchronen Bewegungen der Derwische, begleitet von Ney, Rahmentrommel und Gesang, spiegelten mehr als nur Ästhetik – sie waren Ausdruck eines Weltbildes, das den Menschen als atmenden Teil eines größeren Ganzen versteht. Atem, Blut, Herzschlag – alles kreist. Wie die Planeten. Wie Gedanken. Wie das Leben selbst.
Wer genau hinschaut, erkennt: Solche spiralförmigen Tänze, ekstatischen Gesänge, rituellen Trommeln und kreisenden Gebete finden sich in verschiedenen Formen auch in Afrika, im Altai, in Indien, bei den Aborigines, ja bis in die Frühzeit menschlicher Kultur. Es war, als würde ein universelles Muster aufscheinen – ein uraltes Echo des Kreislaufs von Leben, Atem und Sternen, das uns alle verbindet.
Und so wurde die Kölner Philharmonie an diesem Abend zu einem Ort der Rückverbindung. Zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Ost und West, Geist und Körper. Wer sich auf das Geschehen einließ, verließ den Raum nicht nur bewegt – sondern mit einer neuen Perspektive. Es war, als würde ein vergessenes Licht wieder entzündet. Ein inneres Wissen, das keinen Namen braucht – nur einen Laut:
Huu.
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