Start Politik Ausland Anschlag in Ankara „Terroranschlag auf die TUSAŞ war von langer Hand geplant“

Anschlag in Ankara
„Terroranschlag auf die TUSAŞ war von langer Hand geplant“

Bei einem Terroranschlag auf das staatliche türkische Luftfahrt- und Rüstungsunternehmen TUSAŞ (TAI) bei Ankara in Kahramankazan wurden fünf Menschen getötet.

Aufnahmen der TUSAS-Überwachungskameras
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Ein Gastkommentar von Nabi Yücel

Bei einem Terroranschlag auf das staatliche türkische Luftfahrt- und Rüstungsunternehmen TUSAŞ (TAI) bei Ankara in Kahramankazan wurden fünf Menschen getötet. Zur selben Zeit nahm der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan im tatarischen Kasan am BRICS-Gipfel teil.

Der Terroranschlag auf die TUSAŞ war von langer Hand geplant; das erkennt man bereits an der Wahl des Terror-Einfalltors ins Konzerngelände, von denen es zwar mehrere gibt, aber nur eine für die Terroristen offensichtlich eine Schwachstelle aufwies. Zudem kannten die zwei Terroristen den zeitlichen Ablauf, sprich, wann der Schichtwechsel der Sicherheitskräfte an den Eingangstoren stattfindet. H

Hinzu kommt, dass die Experten befürchten, dass diese sensiblen Informationen auch aus dem Inneren des Betriebsgeländes stammen könnten, da die Terroristen sich zielgerichtet bewegten. Just zum günstigsten Zeitpunkt, stießen die zwei Terroristen mit einem zuvor gewaltsam an sich gebrachten Taxi bis zum anvisierten Eingang der TUSAŞ in Kahramankazan vor, stiegen aus dem PKW und eröffneten unmittelbar das Feuer auf alles, was sich bewegte.

Kasan, Kahramankazan, Terror

Zum selben Zeitpunkt, im 3.000 km entfernten tatarischen Kasan, nahm Erdoğan am BRICS-Gipfeltreffen teil. Kasan heißt im türkischen Kazan, was auch dem Umstand geschuldet ist, dass die Tataren ein Turkvolk sind. Nicht unbedeutend ist auch, dass Kahramankazan erst seit dem Putschversuch 2016 so heißt. Zuvor hieß die Stadt noch Kazan und wurde dann umbenannt. Und nicht unbedeutend ist auch, dass die türkische Kerntechnik, Luftfahrt- und Rüstungsindustrie erst in den jüngeren Geschichte von etlichen gewaltsamen Toden überschattet wurde.

Seit den 2000er kamen auf „unerklärlicherweise“ sehr viele Ingenieure und Wissenschaftler ums Leben. Die bekannteste und wohl umstrittenste Verschwörungstheorie ist, dass die türkische Physikerin Prof. Engin Arık zusammen mit weiteren vier Wissenschaftlern beim Atlasjet-Flug 4203 im Jahre 2007 absichtlich getötet wurden.

Genährt wird diese Theorie mit dem Tod von 8 Ingenieuren der ASELSAN, einem türkischen Rüstungskonzern in Mehrheitsbesitz der türkischen Streitkräfte. Von 2006 bis 2017 starben diese Ingenieure auf höchst ungewöhnliche Art, die bis heute juristisch nicht aufgeklärt sind. Nach dem Terroranschlag in Kahramankazan schaukelt sich die Verschwörungsszene wieder hoch.

Nicht unbegründet, wenn man bedenkt, dass das Sykes-Picot-Abkommen von 1916 wie auch der Vertrag von Sèvres von 1920 für die Türkei nach wie vor ein Trauma bleibt und als Werk von „Kolonialherren“ bzw. „Imperialisten“ bezeichnet wird. Und in diesem Kontext ist es nicht verwunderlich, dass die türkischen Kommentatoren, allesamt Experten in ihrem Fach, darunter ehemalige Diplomaten, Stabsoffiziere, Politiker oder Wissenschaftler, von einem Wink mit dem Zaunpfahl sprechen, wenn sie darauf angesprochen werden, was sie vom Terroranschlag in Kahramankazan halten.

Dabei wird stets der Eindruck erweckt, dass dieser Terroranschlag sich nicht mit den eigentlichen Zielen einer Terrororganisation deckt, vielmehr eine Machtdemonstration einer viel höheren Ebene ist und sich geschmeidig in den BRICS-Gipfel einfügt. Und, damit treffen diese Herrschaften bei den Menschen das Mark, weil diesen im selben Augenblick die Reaktionen im westlichen Ausland übermittelt werden, seit Jahren beobachten können, wie in den angrenzenden Ländern der Türkei Terrororganisationen getätschelt, verwöhnt und mit dem aller nötigsten versorgt werden.

Nehmen wir z. B. die deutsche Medienlandschaft… man zeigte sich in Zusammenhang mit der Türkei vor dem BRICS-Gipfeltreffen geradezu nervös, irritiert, sprach von einem Interessenskonflikt seitens der Türkei mit der NATO und der EU, obwohl es nur ein wirtschaftliches Zweckbündnis ist. Nach dem Gipfeltreffen und der Erkenntnis, dass der Türkei bei der BRICS vorerst nur ein Partnerstatus eingeräumt werde, ist man sichtlich erfreut, zeigt sich geradezu amüsiert.

Die einvernehmliche Meinung in der Türkei ist daher, dass ganz offensichtlich westliche Länder besorgt sind, dass ihnen die Türkei gänzlich entgleiten könnte, wo sie doch schon in ihrem Interesse nach dem gescheiterten Putschversuch unkontrollierbar geworden ist. Ein sichtbares Zeichen dafür ist auch, dass lange verweigerte Rüstungslieferungen aus den USA und Deutschland, die kurz vor diesem Treffen in Kasan in Teilen wieder aufgenommen wurden.

Die Menschen in der Türkei scheinen sich jedoch von sichtbaren Zeichen nicht zu beeindrucken. Zu sehr wird die Bevölkerung mit anderen, viel dringenderen Fragen konfrontiert. So steht an erster Stelle die Frage im Raum, weshalb westliche Länder in der nahen Region noch immer als Steckenpferd eine Terrororganisation mit politischer wie militärischer Unterstützung hofieren.

Nur unter dem Druck der Türkei ließ sich z. B. Schweden dazu überreden, sich von der PKK ausnahmslos loszusagen, bevor sie mit einem Wink der Türkei in die NATO aufgenommen werden konnte. Doch unabhängig dieser Lippenbekenntnisse, versorgt das Pentagon in Syrien die Demokratischen Kräfte Syriens, die für die Türkei kategorisch als Schwesterorganisation der PKK gilt. Keiner der europäischen Staaten hat jedoch auch nur ansatzweise ihre Kontakte zur PKK in Syrien oder Irak abgerissen.

Noch immer besteht, wenn schon keine organische, eine anorganische Verbindung in Form von Zuwendungen an unmittelbar vor Ort wirkende NGO´s, die in europäischen Ländern beheimatet sind und von Regierungen entsprechend hofiert werden. Alles in allem und in diesem Lichte betrachtet, glauben sehr viele Menschen in der Türkei nach wie vor, dass die westliche Hemisphäre die Türkei seit der Grenzziehung der Herren Syke sowie Picot mit dem Bleistift und dem Knebelvertrag in Sèvres, als Sprungbrett in die nahöstliche, südasiatische Welt versteht und entsprechend auf ihre Interessen trimmt oder zu trimmen versucht.

Was ja, und das kommt auch noch erschwerend hinzu, die türkische Republiksgeschichte eindrücklich unter Beweis stellt. Da kommt so ein Terroranschlag wie gerufen, so der O-Ton in den türkischen Medien, um die Ambitionen der türkischen Regierung, die laut dem Westen nicht gegensätzlicher sein können, zum Einlenken zu bewegen, sie zu warnen oder gar zu sabotieren. Ist das so verwunderlich?


Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von NEX24 dar.


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