Berlin – Zu den Leidtragenden des seit mehr als einem Jahr andauernden Krieges im Nahen Osten gehören vor allem Kinder. Tausende haben ihr Leben verloren. Im Gazastreifen waren Schätzungen zufolge mindestens 3.100 getötete Kinder jünger als fünf Jahre, darunter über 700 Babys nicht älter als zwölf Monate. Viele Kinder sind akut mangelernährt. Ihr Leben hängt von rascher medizinischer Hilfe und Nahrungsmittellieferungen ab, warnt Save the Children.
Mitarbeitende der Kinderrechtsorganisation untersuchten kürzlich knapp 3.000 Kinder unter fünf Jahren: 20 Prozent litten an mäßiger akuter, knapp vier Prozent an schwerer akuter Mangelernährung. Helfer*innen berichten, dass Kinder im Müll und unter Trümmern nach Essen suchen.
Vor allem Kinder unter fünf Jahren sowie schwangere und stillende Frauen sind durch Mangelernährung gefährdet, da ihre Körper mehr Nährstoffe brauchen. Ein akut mangelernährtes Kind ist einem elfmal höheren Risiko ausgesetzt, an Krankheiten wie etwa einer Lungenentzündung zu sterben. Weltweit gehen fast die Hälfte aller Todesfälle bei Kindern unter fünf Jahren auf Mangelernährung zurück.
„Die massiven Kriegsschäden haben die Lebensgrundlage der Menschen im Gazastreifen zunichte gemacht. Kinder werden jeglicher Hoffnung beraubt: körperliche und seelische Verletzungen, Hunger, der Verlust des Zuhauses, dazu kommt eine Gesundheits- und Bildungskrise“, sagt Jeremy Stoner, Regionaldirektor von Save the Children für den Nahen Osten, Nordafrika und Osteuropa.
„Es muss einen sofortigen und endgültigen Waffenstillstand geben. Die Rechte von Kindern und das Völkerrecht müssen respektiert und die Verantwortlichen für Rechtsverletzungen zur Rechenschaft gezogen werden. Mit jedem Kriegstag wird es schwieriger, Kindern zu helfen, die Scherben ihres Lebens wieder zusammenzusetzen. Für Tausende ist es bereits zu spät.“
Somayya*, Mutter von sieben Kindern, und ihre Familie mussten 2023 aus dem nördlichen Gazastreifen fliehen; sie leben nun in einer Notunterkunft in Deir al-Balah. Ihr jüngstes Kind Ali* ist so stark mangelernährt, dass er an Osteomalazie – einer Erweichung der Knochen – leidet und in einer Klinik von Save the Children behandelt werden muss. „Mein Sohn ist anderthalb Jahre alt. Seine Geschwister konnten in seinem Alter schon laufen. Ali kann weder laufen noch sich an einem Stuhl festhalten, er kann nicht einmal krabbeln“, berichtet die 37-Jährige.
Nur 17 von 36 Krankenhäusern im Gazastreifen sind teilweise funktionsfähig. Save the Children warnt, dass diese Gesundheitskrise eine ganze Generation von Kindern mit körperlichen und seelischen Verletzungen zur Folge haben könnte. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzte kürzlich, dass rund 25 Prozent aller Verletzten im Gazastreifen – 22.500 Menschen – vermutlich akuten und anhaltenden Rehabilitationsbedarf haben werden, darunter Patient*innen mit Verletzungen der Extremitäten, Amputationen, Kopf- und Rückenmarksverletzungen sowie Verbrennungen.
Das Gesundheitsministerium im Gazastreifen hat eine Liste mit Namen, Alter, Geschlecht und Ausweisnummern von 34.344 Menschen veröffentlicht, die bei Angriffen des israelischen Militärs starben. Weitere 7.613 Verstorbene konnten noch nicht identifiziert werden. Etwa 30 Prozent der 11.300 identifizierten Kinder, die zwischen Oktober 2023 und 31. August 2024 durch Angriffe starben, waren demnach jünger als fünf Jahre, darunter 710 Babys unter zwölf Monaten. Von diesen Babys wurden 20 Prozent während des Krieges geboren und getötet. Weitere 2.800 Kinder konnten noch nicht identifiziert werden.
Expert*innen zufolge sind diese Zahlen wahrscheinlich deutlich zu niedrig. Die Leichen von geschätzt 10.000 Menschen liegen noch unter den Trümmern eingestürzter Gebäude. Hinzu kommt eine unbekannte Zahl indirekter Todesfälle durch Krankheiten, Mangelernährung und den Zusammenbruch des Gesundheitssystems.
Die Conflict Index Results der Initiative ACLED (Armed Conflict Location & Event Data; Stand Juli 2024) bewerten insbesondere den Gazastreifen als den derzeit gefährlichsten und gewalttätigsten Ort der Welt. 87 Prozent der palästinensischen Bevölkerung sind ACLED zufolge Konflikten ausgesetzt. Zuvor hatte Myanmar den Index angeführt.
* Name zum Schutz geändert
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