Ein Gastbeitrag von Klaus Jürgens
Als ich diesen Artikel zu Papier brachte, stand natürlich noch lange nicht fest, welche Mannschaft am Ende zum EURO 2024 – Champion gekrönt werden würde. Und für diesen Beitrag spielt es auch überhaupt keine Rolle, ob Sie ein begeisterter Fußballfan sind oder genau das Gegenteil, nämlich eher „Fußball – nein danke“ und warum auch nicht. Doch etwas anderes ist für diesen Meinungsbeitrag von Bedeutung, und zwar etwas, das wir hier in unserem schönen Urlaubsort Kuşadası live miterlebt haben.
Zunächst eine Rückblende – Ihr freundlicher Kolumnist erinnert sich an ein Fußballspiel zwischen der Türkei und England, das Mitte Oktober 2003 in einem Public House im Zentrum Londons im Fernsehen übertragen wurde, wobei das Spiel in der Türkei stattfand – das Ergebnis war Null zu Null.
Meine Frau und ich, die glücklichen Frischvermählten die sich in jenem wunderbaren Sommer im Royal Borough of Kensington and Chelsea das Eheversprechen gegeben hatten mussten einen Kompromiss darüber schließen, wo wir das Spiel sehen wollten, denn ich war Chelsea- und England-Fan und meine wunderbare Frau natürlich Türkiye-Anhängerin. Wohin sollten wir gehen – in ein Lokal, das den englischen Fußballfans vorbehalten war, oder alternativ in eine ebenso gute Bar oder ein Restaurant, in dem das Spiel ebenso übertragen wurde und das näher am Herzen der türkischen Gemeinde lag…
Meine Frau hatte die perfekte Intuition, schlenderte ein wenig hierhin und dorthin, sah sich um und entdeckte eine völlig überfüllte Bar in der Nähe des Westminster Palace. Wir gingen hinein, es war kaum Platz, die Getränkebestellung erforderte die Kunst, über eine ziemlich große Entfernung lautstark zu rufen anstatt sich diskret über den Tresen zu lehnen im Sinne von ‚darf ich bitte noch ein Glas Wein haben?‘
Was ich nie vergessen werde, ist, das selbst in diesem Teil der Stadt der weit entfernt ist von jeder stereotypen türkischen Nachbarschaft – denken Sie nur an Stoke Newington – das Publikum zwischen den Anhängern der einzelnen Nationalmannschaften perfekt aufgeteilt war. Zurück zum Thema Farben, denn die gab es in der Tat in Hülle und Fülle – Fahnen hinter der Bar mit den Farben beider Mannschaften, englische Fans mit ihren Trikots, türkische Fans mit den ihren.
An diesem denkwürdigen Abend wurde ich von der erstaunlichen Art und Weise der türkischen Fußballfans inspiriert – keine Aggression, laut, aber zivilisiert, und glücklich, diesen Moment in guter Gesellschaft mit den englischen Fans zu teilen. Hier endet unsere heutige Rückblende, geradeaus zur EURO 2024 und zurück nach Kuşadası.
Das Lokal übernimmt die Fußgängerzone
Es war schon einige Zeit vergangen, bevor das eigentliche Spiel begann – Portugal gegen die Türkei. Tische wurden in einem bekannten Lokal reserviert, in dem junge Vertreter aller Geschlechter und auch etwas älte(re) Männer, also ich, willkommen geheißen werden. Dann wurden die Fernsehbildschirme in den richtigen Winkel gestellt, damit jeder das Spiel in Ruhe verfolgen konnte. Das war etwa eine Stunde vor Beginn der Veranstaltung. Dann geschah etwas Außergewöhnliches, oder im Nachhinein betrachtet, hier in Kuşadası überhaupt nichts Außergewöhnliches, lassen Sie es mich bitte erklären.
Zunächst trugen einige Mitglieder des Barpersonals (Nicht-Türken!) die türkischen Farben. Dann, zweitens, kamen nach und nach internationale Gäste, die ebenfalls in den Farben der türkischen Nationalmannschaft gekleidet waren. Einige in Weiß, andere in Rot, denn bei jedem Spiel gibt es zwei mögliche Outfits, je nach gegnerischem Team, da die Heimmannschaft das Recht hat, zu wählen. Obwohl man sich in einem feinen, auf Ausländer ausgerichteten Etablissement befand, fühlte man sich sofort wie in einem türkischen Lokal.
Und dann trafen auch unsere türkischen Freunde und Nachbarn ein, und zwar, wie es in diesem fantastischen Land üblich ist, in allerletzter Minute. Türkiye ist per Definition ein Last-Minute-Land und das macht es noch liebenswerter, denn am Ende geht alles, buchstäblich alles gut aus, funktioniert perfekt, ohne dass eine zusätzliche Panikattacke oder ein Herzinfarkt dazukommen.
Zugegeben, alle Tische waren reserviert oder bereits besetzt, aber hier zeigt sich der Geist unserer türkischen Gastgeber – kein Tisch? Kein Problem! Wir haben ein paar im Hinterzimmer aufgestapelt, bitte warten Sie. Der Außenbereich des Lokals hat sich durch diese clevere Umgestaltung fast verdoppelt. Gastfreundschaft 2.0., wenn nicht mehr.
Und was ich damit sagen will, ist…
Was ich damit sagen will, ist, dass trotz der Tatsache, dass wir an diesem Abend leider keine offen portugiesisch gesinnten Teilnehmer hatten – nicht, dass es keine Bürger dieser großen Nation unter uns gäbe, aber wir müssen ehrlich sein, noch nicht in wünschenswerter Zahl – es mich an jenen Londoner Abend vor über zwei Jahrzehnten erinnerte. Sport verbindet.
Solange wir jeden, der für die andere Mannschaft schwärmt, mit größtem Respekt behandeln, werden auch wir mit größtem Respekt behandelt werden. Unsere Expat-Gemeinde fühlt, denkt und lebt in und mit Türkiye. Kein Wunder also, dass dieser Abend im Grunde eine rein türkische Angelegenheit war – zur Hälfte mit Expats, zur Hälfte mit unseren türkischen Freunden und Nachbarn gefüllt. Aber wären es tatsächlich 50 Portugiesen gewesen, 50 weitere Expats, egal welcher Nationalität, und 50 Türken aus Kuşadası, wäre die Atmosphäre die gleiche gewesen.
Wir haben an diesem Abend die türkischen Farben gezeigt, und unsere türkischen Freunde haben das sehr geschätzt. Wie im ersten Absatz gesagt wurde, wusste niemand, wer weiterkommen und wer gewinnen würde. ‚Internationale Freundschaft Made in Kuşadası‘ ist das, worum es in diesem Artikel gehen sollte.
Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von NEX24 dar.