Blockleitermentalität
Ein Gastbeitrag von Nabi Yücel
Wenn sich politische Rechtsradikale, völkische Kurden und Werteverteidiger zum Bollwerk gegen den Antisemitismus erklären und sich zu Verteidigern des Staates Israel aufspielen, droht eine Übernahme der Deutungshoheit über das, was Antisemitismus oder Terrorismus ist. Diese Blockwartmentalität in Deutschland nimmt derzeit groteske Formen an. Es offenbart sich deutlich an zwei aktuellen Fallbeispielen: die Hetzkampagne gegen El-Hassan versus Solidaritätswelle gegenüber Hozan Cane und Dilan Gönül Örs. Einige sind eben gleicher. Und die, die ihre „Werte“ wie eine Monstranz vor sich her tragen, enttäuschen da besonders.
Noch ist die Journalistin und Ärztin Nemi El-Hassan vom Antisemitismusvorwurf und Terrorverherrlichung nicht befreit, weshalb sie vorerst nicht die WDR-Wissenschaftssendung Quarks moderieren darf. Dafür dürfen sich Hozan Canê und Gönül Örs der Solidarität der Oberbürgermeisterin von Köln Henriette Reker sicher sein und sich mit ihr auch öffentlich treffen.
Was unterscheidet denn nun beide Fälle voneinander?
Die Deutsch-Palästinenserin Nemi El-Hassan hatte vor sieben Jahren an der Al-Quds-Demonstration in Berlin teilgenommen. Sie hatte ihre Solidarität mit Palästina während des Gazakrieges bekundet. Ausgerichtet wurde diese Demonstration von einem der iranischen Hisbollah nahestehenden Verein.
Auf der Al-Quds-Demonstration riefen Teilnehmer unter anderem antisemitische Parolen. Sieben Jahre später tauchte ein Bild von El-Hassan auf. El-Hassan distanzierte sich vergangene Woche von der Teilnahme an der Demonstration vor sieben Jahren und bekräftigte, diese seither nie mehr aufgesucht zu haben. Damals sei sie noch „unreflektiert““ und „uninformiert“ gewesen.
Abgeklungen ist die teils hysterische Blockwartmentalität nicht. Sogar deutsch-muslimische Kritiker halten El-Hassan vor, nicht ehrlich zu sein und fordern daher eine unmissverständliche Läuterung; wohl mit der Absicht, das Thema weiterhin hochzukochen, damit die Hoffnung darauf, im öffentlich-rechtlichen TV je auftreten zu können, gänzlich zu Grabe getragen werden kann.
Hozan Canê hatte sich vor 2014 mehrmals mit dem völkisch-kurdischen PKK-Spitzenfunktionär Murat Karayilan getroffen. Kurz vor der Präsidentschaftswahl in der Türkei 2018 wurde Canê in Edirne verhaftet, wo sie eine Wahlkampfveranstaltung der völkisch-kurdischen Partei HDP unterstützen wollte. Die Anklage gegen Canê wurde damit begründet, dass die kurdische Sängerin unter anderem mit ihren Einträgen auf Facebook sowie im realen Leben Terrorpropaganda betrieben habe.
Die Tochter von Hozan Canê, Gönül Dilan Örs, reiste im April 2019 aus Köln nach Istanbul, um sich mit der Mutter zu treffen. Auch Dilan Örs wurde verhaftet. Grund hierfür war, dass Örs sich im Jahr 2012 in Köln an einer Aktion eines PKK-nahen Vereins beteiligt hatte. Nachdem ein Gericht sie aus der U-Haft entlassen hatte, wurde ein Ausreiseverbot verhängt. Weil Dilan Örs versuchte, die Grenze zu überqueren, wurde sie im Dezember 2020 zu Hausarrest verurteilt. Dilan Örs durfte die Türkei jedoch im Juni 2021 verlassen. Die Mutter Canê wurde im September 2020 aus der Haft entlassen, sie darf aber bis zur Fortsetzung ihres Prozesses die Türkei nicht verlassen.
In einer ersten Reaktion zeigte sich u.a. Ali Ertan Toprak, Bundesvorsitzender der Kurdischen Gemeinde Deutschland, über die Verurteilung der Sängerin Hozan Canê erschüttert. Gönül Dilan Örs wurde nach ihrer Rückkehr in Köln von Sympathisanten geradezu frenetisch begrüßt. Die Oberbürgermeisterin von Köln, Henriette Reker, empfing Dilan Örs, hatte sich aber schon zuvor mit der Tochter und der Mutter solidarisch gezeigt. Noch heute darf Dilan Örs sich in öffentlich-rechtlichen Rundfunk zur Verhaftung ausgiebig äußern, wird im Mainstream sehr oft unkritisch wiedergegeben. Von einer Distanzierung, ob von der Aktion in Köln im Jahre 2012, geschweige denn von der völkisch-kurdischen Terrororganisation PKK, kann keine Rede sein.
Die PKK wird derzeit mit dem Vorwurf konfrontiert, im Nordosten Syriens aramäische, chaldäische oder assyrische Geistliche, Kirchvertreter und organisatorische Vertreter zu entführen, die sich der völkisch-kurdischen Hegemonie der PKK nicht beugen wollen. Die christliche Minderheit hat kürzlich in einem eindringlichen Appell von einer zunehmenden Unterdrückung und vor dem christlichen Exodus aus Nordsyrien gewarnt. Bis heute haben sich weder Hozan Canê, noch Gönül Dilan Örs hierzu geäußert oder die Taten der völkisch-kurdischen hegemonialen Willkürherrschaft der PKK verurteilt.
Stattdessen erklärte die selbsternannte „Menschenrechtlerin“ Dilan Örs, es sei ein „gewaltiger Unterschied, ob wir uns gegen die Benachteiligung von Kurden in der Türkei wenden – oder Terroristen sind. Meine Mutter singt, ich demonstriere. Das sind keine Verbrechen.“ Gönül Örs betonte auch, dass Menschen wie sie nicht kriminalisiert werden sollten. Dabei kriminalisiert sie selbst „Integrationswillige“, die nicht die völkisch-kurdische hegemoniale Macht in Nordsyrien anerkennen oder deren Verbrechen zur Aussprache bringen.
Der Unterschied zwischen Nemi El-Hassan und Hozan Canê oder Gönül Dilan Örs ist, dass die letztgenannten sich nicht nur aktiv an Demonstrationen beteiligten, sondern sich für eine Terrororganisation selbst aktiv interessierten und an deren Verherrlichung auch aktiv arbeiteten. Man distanzierte sich wie Nemi El-Hasan nicht von einer Terrororganisation (in dem Fall Hisbollah), um dem Vorwurf des Judenhasses und des Antisemitismus auszuweichen.
Der weitere Unterschied zwischen Nemi El-Hassan und Hozan Canê oder Gönül Dilan Örs besteht darin, dass Canê sich mit Spitzenfunktionären einer Terrororganisation getroffen hat, mehrmals. Dilan Örs beteiligte sich aktiv an Aktionen eines PKK-nahen Vereins, das auch dem deutschen LKA bzw. BKA mehrmals strafrechtlich auffiel. El-Hassan kam jedoch nicht in Berührung mit irgend einem Funktionär einer Terrororganisation oder unterstützte diese aktiv, wurde aber dennoch u.a. von Ali Ertan Toprak (CDU) trotz ihrer Beteuerungen scharf angegangen.
Wenn man sich aber trotz alledem in diesem völkisch-kurdischen Umfeld der Terroroganisation PKK und deren Ableger SDF, YPG bzw. PYD bewegt, die Terror als legitimen Kampf gegen jeden betrachten, das Existenzrecht der Türkei, Syrien oder Irans streitig machen, die Minderheiten verfolgen oder unterdrücken, die nicht ihre Interessen teilen, dann darf man sich nicht wundern, in einem Rechtsstaat Rechenschaft abzulegen. Terrorismus ist kein Kavaliersdelikt! Sympathiebekundungen zu Akteuren, die Terrorismus verherrlichen, indirekt unterstützen oder die aktiv an Terror beteiligt sind, sind zu verurteilen, ausnahmslos. Sonst steht der Vorwurf im Raum, heuchlerisch zu agieren, als Blockwart tätig zu sein, unabhängig davon, ob man insbesondere in Deutschland eine Verantwortung gegenüber Juden hat oder nicht.
Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.
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