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Gastbeitrag
Wenn armenische Geschichte zur Ramschware wird

Alljährlich zum 24. April, richtet die türkische und armenische Öffentlichkeit ihre Aufmerksamkeit auf das Weiße Haus. Dabei geht es um die zentrale Frage, welche Formulierung der Präsident der Vereinigten Staaten für die Ereignisse des Jahres 1915 wählen wird. Monate zuvor unternimmt die mächtige armenische Lobby in den USA große Mühen und Anstrengungen, um in der Erklärung des amerikanischen Staatsoberhauptes den Begriff „Völkermord“ zu platzieren.

Weißes Haus. Washington DC (Symbolfoto: pixa)
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Ein Gastbeitrag von Ferhat Avşar – mailto.ferhat@gmail.com

Alljährlich zum 24. April, richtet die türkische und armenische Öffentlichkeit ihre Aufmerksamkeit auf das Weiße Haus. Dabei geht es um die zentrale Frage, welche Formulierung der Präsident der Vereinigten Staaten für die Ereignisse des Jahres 1915 wählen wird. Monate zuvor unternimmt die mächtige armenische Lobby in den USA große Mühen und Anstrengungen, um in der Erklärung des amerikanischen Staatsoberhauptes den Begriff „Völkermord“ zu platzieren.

Sie tätigt große Ausgaben, lässt ihre Beziehungen zu Abgeordneten und Medien spielen und arbeitet emsig und verbissen darauf zu, ihr Bild und ihre Deutung der Geschichte in diese Erklärung einfließen zu lassen. Die partnerschaftliche Beziehung zwischen den Vereinigten Staaten und der Türkei, die strategische Bedeutung des treuen NATO verbündeten im Nahen Osten, auf dem Balkan und im Kaukasus, kommen in eine Waagschale, die finanzstarke und einflussreiche armenische Lobby und mehrere Millionen potentieller Wählerstimmen von US-Bürgern armenischer Herkunft, kommen in die andere. Das Zünglein an der Waage schlug bislang immer zu Ungunsten der armenischen Geschichtsinterpretation aus, denn zu wichtig war die Türkei an der südöstlichsten Flanke der NATO.

Die amerikanischen Präsidenten begnügten sich damit, die Zwangsumsiedlung und die menschlichen Verluste als „Tragödie“ oder als „tragisches Ereignis“ zu beschreiben, um so den Drahtseilakt doch noch in eine gelungene Vorführung zu verwandeln. Mit dieser Formulierung gab sich Ankara zufrieden, während die armenische Diaspora lautstark protestierte und erneut Anlauf nahm, um für die Erklärung im nächsten Jahr alle verfügbaren Kräfte zu mobilisieren.

Wenn Geschichte zur Verhandlungsmasse zwischen Staaten verkommt

Noch ist es offen, für welche Wortwahl der neue amerikanische Präsident sich diesmal entscheiden wird. Dass seine Entscheidung sehr stark unter dem Einfluss des Kongresses stehen wird, gilt als sicher. Mitte Dezember des Jahres 2019 schloss sich der Senat der Entscheidung des US-Repräsentantenhauses an und bezeichnete die armenischen Verluste während des Ersten Weltkriegs als „Völkermord“. Dieser Etappensieg spornte die armenische Diaspora weiter an, um nach dem Kongress, auch die letzte und höchste politische Bastion des Landes einzunehmen und dem Land die eigene Deutung der Geschichte aufzuoktroyieren.

Donald Trump widersetzte sich den Forderungen der armenischen Lobby und schloss sich nicht der Formulierung des Kongresses an, doch dies könnte sich unter der Biden Administration grundlegend ändern. Seit Januar dieses Jahres ist bekannt, dass armenische Kirchenoberhäupter und Verbands- und Lobbyfunktionäre das Weiße Haus mit Bittbriefen überhäufen und Druck ausüben. Doch zu dem ohnehin sehr großen politischen Druck, der bisweilen durch armenische NGO’s aufgebaut wurde, kommen die derzeit angespannten Beziehungen zwischen Washington und Ankara hinzu. Sei es in Syrien, in Libyen, im östlichen Mittelmeer, in der Verteidigungspolitik oder der Terrorbekämpfung: Nirgends scheinen die einst eng miteinander verbündeten Staaten auf der gleichen Linie zu stehen.

Auf den ersten Blick, scheint das Ringen um eine Begrifflichkeit rein symbolischer Art zu sein. Hinter dem Versuch der Armenier die eigene Deutungshoheit zu promoten steckt jedoch wesentlich mehr. Armenische Gelehrte fassen die Ambitionen kurz mit der „RRR“-Formel zusammen. Die Buchstaben stehen für Recognition, Reparation und Revisionism – ins Deutsche übersetzt als Anerkennung, Entschädigung und territoriale Zugeständnisse. In sogenannten Claims-Konferenzen in Übersee rechnen sich Hinterbliebene Entschädigungsansprüche jenseits der 300 Mrd. Dollar oder sehen Gebietsabtretungen der Türkei, die das jetzige armenische Staatsgebiet mehr als verdoppeln würden.

Geschichte gehört nicht ins parlamentarische Plenum, sondern in die Hörsäle

Das politische Tauziehen um eine Begrifflichkeit lässt viele Historiker die Stirnfalten runzeln, denn objektiv betrachtet, handelt es sich bei den Vorgängen von 1915 um ein rein historisches Ereignis mit einer hohen moralischen Tiefe. Sie sollte nicht von Geistlichen, Verbandsfunktionären, und erst recht nicht von Lobbyisten und Politikern angefasst werden.

Die Ereignisse von 1915 sollten nicht im Lichte politischer Machtgefüge oder ökonomischer Interessen bewertet werden, nicht Bittbriefe sollten das Thema voranbringen oder schmierige Lobbyisten und Politiker hinter verschlossenen Hotelzimmertüren per Handschlag Absprachen hierzu tätigen. Ja, die Ereignisse von 1915 waren tragisch und sie markieren eine Zäsur in der Geschichte der Armenier. Es ist auch das Recht der Nachkommen, dem Tod Ihrer Ahnen zu gedenken – wer will und kann dies Ihnen verwehren? Doch der Sache an sich wird ein Bärendienst erwiesen, wenn das Thema politisiert wird und quasi auf dem Silbertablett anderen Staaten zur parlamentarischen Abstimmung dargeboten wird, um der Türkei eins politisch auszuwischen.

In rund 28 Staaten wurde auf Betreiben der armenischen Lobby die Zwangsumsiedlung der Armenier und die daraus resultierenden hohen Opferzahlen als Genozid betitelt. Viele dieser Staaten hegten jedoch historische Ressentiments gegenüber der Türkei oder hatten ein „Hühnchen mit ihr zu rupfen“, wie dies jüngst das Beispiel von Ägypten gezeigt hat. Im Konkurrenzkampf um die Bodenschätze des östlichen Mittelmeeres und um Libyen schloss sich Kairo kurzerhand der armenischen Geschichtsauslegung qua Parlamentsbeschluss an. Doch was würde geschehen, wenn sich die Beziehungen zwischen der Türkei und Ägypten verbessern würden und letzteres Land plötzlich seine Entscheidung revidieren würde?

Geschichte politisiert und instrumentalisiert

Geschichte kann kein Objekt im politischen Geben und Nehmen zwischen Staaten sein, denn sonst droht sie, wie im Falle der Armenier, zur Ramschware zu verkommen. Das eherne Bestreben der Armenier nach Andacht für Ihre Vorfahren degeneriert so zur politischen Posse und verwirkt jeglichen Schein der Ehrlichkeit. Unter der vorgegebenen Absicht, den verstorbenen Vorfahren eine letzte Ehre erweisen zu wollen, sollte sich nicht die Gier nach Geld und Profit verbergen.

Dieser Weg ist eine Einbahnstraße und zwar mit einer gehörigen Neigung Richtung Abgrund. Mit jedem Parlament, das sich dem Druck der armenischen Lobby beugt, wird das Thema politisiert und mit jeder Politisierung weiterhin zugleich instrumentalisiert. Sollte Joe Biden diesmal seine Wortwahl aus dem Vokabular der armenischen Lobby ziehen, wird die Selbstzerfleischung der armenischen Erinnerungskultur weiter voranschreiten, die Türkei jedoch wird ihre Haltung kein Fußbreit ändern.

Die Lösung liegt in der gegenseitigen Aufarbeitung der gemeinsamen Leidensgeschichte

Mit Geld im Überfluss gepaart mit einem weit verzweigten Netzwerk, ist der Gang über Parlamente der wohl einfachste Weg, sozusagen der Weg des geringsten Widerstands. Allerdings ist der Dunstkreis zwischen Politik und Lobbyismus nicht der richtige Raum, um über die Faktizität von Geschichte zu entscheiden. Die Zwangsumsiedlung der Armenier gehört nicht ins parlamentarische Plenum, sondern in die Hörsäle und in sonstige akademische Zirkel.

Die Ereignisse des Jahres 1915 müssen wieder zurück in den wissenschaftlichen Diskurs und müssen kritisch beleuchtet werden – und zwar Kontext bezogen und allumfänglich. Die Zauberformel lautet kurz und knapp: Gegenseitige Aufarbeitung der gemeinsamen Leidensgeschichte. Hierzu gehört auch die Berücksichtigung des Massenmordes an hunderttausenden Türken und Kurden durch armenische Milizen vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg. Die armenische Tragödie ist nur die eine Seite der Medaille, denn sie ist zugleich eine anatolische Tragödie in der ebenfalls abertausende osmanischer Muslime einem wahnwitzigen Projekt armenischer Nationalisten zum Opfer gefallen sind.

Die Idee eines armenischen Großreichs, so wie ihn der amerikanische Präsident Woodrow Wilson aufgeworfen hatte, nämlich von Kilikien bis zum Schwarzen Meer und von dort bis zum Kaspischen Meer, scheiterte an der Frage der Praktikabilität. Die armenische Minderheit im Osmanischen Reich Ende des 19. Jahrhunderts betrug mancherorts höchstens gerade einmal ein Viertel der Gesamtbevölkerung. Um einen überlebensfähigen armenischen Staat zu gründen, strengten armenische Milizen eine beispiellose ethnische Säuberung in Ost-Anatolien an, während der, nach jüngsten Schätzungen, knapp 600.000 osmanischer Muslime zum Opfer fielen. Mit den Opfern im Norden Irans und in West-Aserbaidschan dürfte die Zahl der ermordeten Türken annähernd 2 Mio. betragen haben. Dieser Massenmord an Türken ist bis heute unter dem Begriff „Mezalim“ in der kollektiven Erinnerung der Türken lebendig geblieben.

Geschichte ist nun mal keine Wissenschaft, in der es „das Gute“ und „das Böse“ gibt. Die Grenzen zwischen Opfern und Tätern sind verschwommen und Historiker sind gerade bei der Aufarbeitung der gewaltbelasteten und durch Fehden und Blutrache geradezu gekennzeichneten Geschichte Ostanatoliens dazu gehalten, vorurteilsfrei zu arbeiten und vor allem detektivisch Verbrechen aufzudecken. Es ist gut zu wissen, dass in letzter Zeit mutige Wissenschaftler, wie Prof. Dr. Brendon J. Cannon, Dr. Pat Walsh, Dr. Maxime Gauin uvm. das Schweigekartell bezüglich der armenischen Kriegsverbrechen durchbrochen haben und mit bahnbrechenden Arbeiten den wissenschaftlichen Diskurs voranbringen.

 


Dieser Gastbeitrag gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.


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