Von Asif Masimov – info@masimovasif.net
Am 12.07.2020 teilt das Verteidigungsministerium der Republik Aserbaidschan mit, dass armenische Truppen aserbaidschanische Militärstützpunkte bei Tovuz (ein Bezirk im Nordwesten Aserbaidschans) angegriffen haben.
Hierbei handelt es sich um die größte Eskalation zwischen den verfeindeten Südkaukasusländern seit April 2016. Im Zuge dieser Gefechte sind bereits vier aserbaidschanische Soldaten getöten und weitere verletz worden.
Dabei spricht die armenische Seite lediglich von zwei verletzten Soldaten sowie zwei Polizisten. Mit diesem Beitrag möchte ich untersuchen, welche Seite tatsächlich einen Angriff auf Tovuz oder Tavush (ein Bezierk auf der armenischen Seite) begonnen hat.
Das Verteidigungsministerium der Republik Armenien beschuldigte Aserbaidschan, die Grenzlinie mit einem Auto „UAZ“ überschritten zu haben, um den armenischen Militärposten zu ergreifen. In einen „UAZ“ passen maximal 5 Fahrgäste. Es ist also nicht glaubwürdig, dass ein Aggressor mit einem kleinen PKW, beladen mit maximal fünf ausgebildeten Soldaten, einen Militärposten angreifen würde.
Die zweite interessante Tatsache besteht darin, dass im Vergleich zu den Kämpfen im April 2016 die jüngsten Ereignisse unmittelbar im Grenzgebiet zwischen Armenien und Aserbaidschan stattfanden. Dieser Aspekt ist ausschlaggebend, weil Armenien Mitglied des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) ist, ein Verteidigungsbündnis.
Wie bei der NATO (Artikel 5), wird ein bewaffneter Angriff gegen einen oder mehrere Verbündete als Angriff auf alle Bündnispartner gewertet. Die leitende Rolle Russlands bei der OVKS sei nicht unbeachtet.
Am nächsten Tag, dem 13.07.2020, hat der armenische Außenminister Sohrab Mnazakanjan ein Telefongespräch mit dem Generalsekräter der OVKS Stanislav Zas geführt, indem er zur Dringlichkeitssitzung des Verteidigungsbundes aufgerufen hat.
Baku verfolgte die Geschehnisse sehr achtsam. Später wurde bekanntgegeben, dass die Dringlichkeitssitzung des Ständigen Rates der OVKS auf unbestimmte Zeit verschoben wurde. Mit anderen Worten kann man sagen, dass die armenische Pläne in Bezug auf die Provokation Aserbaidschans und die Verwicklung in diesen Konflikt Russlands gescheitert sind.
Wieso ein Angriff ausgerechnet bei der armenisch-aserbaidschanischen Grenze?
Vor zwei Jahren waren wir Augenzeugen einer gelungenen Revolution in Armenien, als der aus Bergkarabach stammender Serj Sargsjan durch Nikol Paschinjan ersetzt wurde. Dieser Machtwechsel bedeutete nicht nur den Versuch einer Demokratisierung, sondern auch die Ersestzung eines armenischen Karabach-Clans.
Sofort wurden viele hochrangige Personen, u.a. der ehemalige Staatspräsident Rober Kotscharjan entlassen, bzw. verhaftet. Das bedeutet all, die als Karabach-Armenier eine starke Position in gesamt Armenien genossen haben. Paschinjan hat im Vergleich zur früheren Administration sehr viele Schwächen, so wird oft die Presse und Wirtschaft durch Anhänger des Karabach-Clans weiter kontroliert.
Die Reformen von Pashinjan werden in der Bevölkerung gerne akzeptiert, die wirtschaftliche Lage verbessert sich dadurch aber nicht. Das versteht auch selbts Paschinjan.
Aserbaidschan hatte die Hoffnung, dass die Verhandlungen mit Paschinjan in Bezug auf Bergkarabach noch leichter geführt werden, da ein Konfliktlösungskonzept der Madrider Prinzipien schon seit Jahren existiert und beide Seiten deren Enverständnis dazu geäußert haben. Die Aussage Pashinjans in Chankendi (Stepanakert) „Bergkarabach ist Armenien und Punkt!“ zeigt uns seine Angst vor den des karabach-armenischen Clans.
Paschinjan braucht nun einen kleinen militärischen Sieg über Aserbaidschan, damit er auch ein Rederecht in Bezug auf den Bergkarabachkonflikt hat. Einen Agriff über die besetzten Gebiete kann er nicht durchführen, da seine Position im Bergkarabach schwach ist. Des Weiteren möchte er lieber diesen Konflikt zu einer neuen Dimension bringen, indem Moskau seine Streitkräfte in Bergkarabach stationiert.
Paschinjan und seine Bevölkerung sollten sich im Klaren darüber sein, dass die aserbaidschanische Bevölkerung auch einen gewissen Druck auf ihre Regierung bezüglich dieses Konfliktes ausübt. Die ausgebrochene Pandemie hat dies lediglich verstärkt. Falls Yerevan auf eine Untestützung aus Moskau hofft, sollte man nicht vergessen, dass Paschinjan nicht gerade Putins Liebling ist. Zudem kommt, dass auch Moskau selbst jetzt und wohl in den nächsten Monaten mit eigenen, innenpolitischen Problemen beschäftigt sein wird.
Im Fall des Bergkarabach-Konflikts existieren bereits mehrere UN-Beschlüsse sowie die sogenannten “Madrider Basisprinzipien”.
UN-Resolutionen: Die vier verabschiedeten Resolutionen (822, 853, 874, 884) des UN-Sicherheitsrates fordern einen bedingungslosen und unverzüglichen Rückzug der Streitkräfte Armeniens aus Aserbaidschanischen Gebieten.
Madrider Basisprinzipien:
1. Rückkehr der Berg-Karabach umgebenden Gebiete unter aserbaidschanische Kontrolle‘
2. ein Interimsstatus für Berg-Karabach einschließlich Garantien für Sicherheit und Selbstbestimmung
3. ein Verbindungskorridor zwischen Armenien und Berg-Karabach
4. eine zukünftige Bestimmung des endgültigen Rechtsstatus von Berg-Karabach durch eine rechtlich bindende Willensäußerung
5. ein Rückehrrecht für alle Binnenvertriebenen und Flüchtlinge zu ihren früheren Wohnorten;
6. internationale Sicherheitsgarantien einschließlich einer Peacekeeping-Mission.
Quelle. https://www.osce.org/mg/51152
Asif MasimovHumboldt Universität zu Berlin, Institut für GeschichtswissenschaftenBorn 1987 in Ismayilli, Azerbaijan. Graduate of Baku State University (Bachelor of Arts in “International Relations”) and Georg-August University of Göttingen (Master of Arts in “Political Science”). Currently a PhD student in History at the Humboldt University of Berlin.