Über die türkische Bestellung von Giftgas aus dem Edeka für die Bevölkerung von „Dersim“
Ein Gastkommentar von Nabi Yücel
Ein TV-Beitrag der „ttt“ in der ARD hat am vergangenem Sonntag die Geschehnisse von 1937 und 1938 in der türkischen Provinz Tunceli (Dersim) behandelt. Unter dem Titel „Wie Kemal Atatürk Aleviten ermorden ließ“ wurde in der TV-Sendung behauptet, wie unter Einsatz von Giftgas aus Deutschland angeblich „Aleviten“ ermordet wurden. Das ist schlichtweg Irreführung der öffentlichen Meinung und ein Schlag ins Gesicht der „alevitischen“ Minderheit in der Türkei.
In dem Dokument den die ARD TV-Sendung „ttt“ hervorgekramt hat und aus dem hervorgehen soll, dass das Giftgas aus Deutschland für die Bevölkerung von „Dersim“ bestimmt war, wird der Name „Dersim“ oder Tunceli nicht einmal erwähnt. Man ist sich aber sehr wohl sicher, dass die Türkei den Einsatz von Giftgas praktisch gegen „Aleviten“ vollzogen hat, nur weil das „Bruderland“ just zu der Zeit ein nationalsozialistisches Deutschland war.
Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass die völkischen Kurden und PKK-Versteher gerade deshalb so beherzt daran arbeiten, diese Konstellation mit Rotstift zu unterstreichen. Die sogenannten Belege zeigen jedoch nur auf, dass die Türkei vor dem Zweiten Weltkrieg angeblich Giftgas von Deutschland bezogen haben will. Ob eine Lieferung auf Bitten der Türkei aus Deutschland erfolgte, steht aber noch immer im Raum.
Es steht auch noch im Raum, ob das Dokument, dass die Order für Giftgas beinhaltet, aus dem türkischen Staatsarchiv stammt. Das ist ebenfalls nicht sicher. Es ist sogar die Rede von einer Fälschung, die sich in eine Reihe von vielen gefälschten Dokumenten wiederfindet. Mal davon abgesehen, hatte die Türkei sehr wohl Interesse an chemischen Waffen, aber ein anderes wie man es ihr unterstellen will.
Das türkische Parlament nahm am 4. Mai 1925 das Genfer Protokoll an, die am 17. Juni 1925 in Genf von Unterzeichnerstaaten wie der Türkei dann ratifiziert wurde. Was das ist? Es ist ein völkerrechtlicher Vertrag über das Verbot der Verwendung von erstickenden, giftigen oder ähnlichen Gasen sowie von bakteriologischen Mitteln im Kriege.
Das Protokoll verbot damals den Gebrauch chemischer und biologischer Waffen, es enthielt allerdings keine Vorgaben zu deren Entwicklung, Herstellung und Lagerung. Aus diesem Grund wurden mit der Biowaffenkonvention (1972) und der Chemiewaffenkonvention (1993) im Nachhinein zwei weitere Verträge abgeschlossen, die entsprechende Regelungen zu Rüstungsbeschränkungen und Abrüstungsverpflichtungen enthielten.
Auch die Türkei unternahm damals aufgrund der weltweit herrschenden Giftgas-Gefahr Schritte, um sich militärisch wie zivil abzusichern und Vorkehrungen gegen den Einsatz von chemischen Waffen gegen die Türkei zu treffen. So veröffentlichte 1927 der türkische Generalstab für die gesamten Streitkräfte eine Lektüre, in der über Giftgas-Angriffe Aufklärung betrieben wurde. Man nahm die Gefahr so ernst, dass die Militärangehörigen den Nachweis erbringen mussten, diese Lektüre gelesen oder die Ausbildung darin abgeschlossen zu haben.
Die Zivilbevölkerung wurde mit Aufklärungskampagnen über Giftgas informiert. Es wurden Lektüren veröffentlicht, Plakate aufgehängt, in Zeitungen Hinweise und Handlungsanweisungen bei Giftgas-Angriffen abgedruckt. Man war sich offensichtlich über die schwelende Gefahr eines bevorstehenden Konflikts größeren Ausmaßes bewusst.
Die weltweit aufkeimende Gefahr über die Entwicklung und Einsatz von Giftgas nahm der türkische Generalstab sehr ernst, zumal man deshalb eigens dafür in der Armee eine Unterabteilung für chemische Waffen einrichtete. Der damalige Generalmajor Hüsnü Riza Ünsal veröffentlichte daraufhin als leitender Kommandeur der Abteilung für chemische Waffen eine Lektüre, in der er vor der weltweiten Gefahr von Einsatz von chemischen Waffen gegenüber der Türkei warnte.
Die bedrohliche Wahrnehmung wurde offenbar durch den weltweiten Einsatz von chemischen Kampfstoffen genährt. So verwendete ein Verband der sowjetischen Armee während des Bauernaufstands von Tambow 1920/21 chemische Kampfstoffe zur Bekämpfung der aufständischen Bauern ein. Im Rifkrieg in Nordmarokko setzte Spanien ab 1924 chemische Waffen gegen die aufständischen Rifkabylen, einen Berber-Stamm, ein. Dabei wurde Spanien von Frankreich und in einem Geheimvertrag von der deutschen Reichswehr unterstützt. Die Royal Air Force setzte in der Bekämpfung von Kurden im irakischen Sulaimaniyya zwischen März 1923 und Mai 1924 insgesamt viermal Bombeneinsätze mit Giftgas ein, um den abtrünnigen Anführer Mahmud Barzandschi in die Knie zu zwingen. Ein weiteres Mal wurde Giftgas vom faschistischen Italien im Zweiten Italienisch-Libyschen Krieg sowie im Italienisch-Äthiopischen Krieg (1935–1936) verwendet.
Von den militärischen Warnungen und Hiobsbotschaften inspiriert, nahm sich auch der aus Kayseri stammende Chemiker Salih Turgay dem Thema an und veröffentlichte eine wissenschaftliche Abhandlung über chemische Waffen und ihre Wirkung auf die Zivilbevölkerung. Das Thema nahm solch eine Brisanz an, dass es auch in Schulen im Schulunterricht übernommen wurde.
Wie man erkennen kann zeigte sich die türkische Führung über die weltweite Produktion und Einsatz von chemischen Waffen besorgt, zumal die Briten nach dem Ersten Weltkrieg bis weit in das Jahr 1927 hinein im Nachbarland Irak immer wieder chemische Waffen eingesetzt hatten. In Anbetracht der Tatsache, dass der Erste Weltkrieg nur wenige Jahre zurücklag und der Einsatz von chemischen Waffen den Europäern weiterhin keine Kopfschmerzen bereitete, unternahm die Türkei jedwede Schritte, um dieser Gefahr zu begegnen.
Dazu gehörte offenbar auch, dass man sich chemische Waffen besorgen wollte und damit die Politik der Abschreckung verfolgte. Ob dieses im Raum stehende Giftgas von Deutschland bezogen wurde, ist nicht belegt. Um das zu belegen, müsste Deutschland ihre Archive durchforsten und entsprechende Akten aufzeigen, die eine Lieferung von chemischen Waffen nachweisen.
Der entscheidende Punkt in dieser Thematik ist aber, dass die Türkei offenbar bis weit in den April 1939 hinein kein Giftgas besaß oder in der Lage war, welches selbst zu produzieren. Das geht auch aus britischen Archiven heraus, zumal die türkische Führung nach der Anfrage in Deutschland von 1937, diesmal 1938 das britische Königreich um Lieferung und Ausbildung zu chemischen Kampfstoffen bat, jedoch offenbar auch hier hingehalten wurde. Fest steht aber, dass der letzte Aufstand von „Dersim“ bereits im September 1938 niedergeschlagen wurde. Wie konnte die türkische Armee ohne grundlegende Kenntnisse über chemische Kampfstoffe und Produktionsanlagen bzw. Lieferungen aus dem Ausland dieses angebliche Giftgas-Angriff bewerkstelligen?
Das Bild zeigt einen türkischen Soldaten mit Gasmaske während der Militärübung von 19. August 1939 in Istanbul.
Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.
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