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Kommentar: Persönlichkeiten aus Gesellschaft und Politik selbst Teil des Problems

Politik für alle? Nein, stattdessen gibt es Gejammere von Politikern und eine Verrohung der Gesellschaft!

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Archivfoto: pixa)
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Ein Gastkommentar von Nabi Yücel

Politik für alle? Nein, stattdessen gibt es Gejammere von Politikern und eine Verrohung der Gesellschaft!

Es wird einigen unserer spitzenmäßigen Experten und bestbezahlten Lobbyisten nicht gefallen, aber der derzeitige Jammerzustand der Gesellschaft ist doch hausgemacht. Wer, wie Grünen-Politiker Cem Özdemir, einen Preis für seine rhetorischen Fähigkeiten erhält, darf sich über die Verrohung der Gesellschaft nicht beklagen. Wer mit dem Motto aufwacht, alle anderen sind Fanatiker, Islamisten, Türken oder Rechts und abends mit einem Preis ins Bett geht, dann ist es ganz bestimmt Cem Özdemir oder Seyran Ates; vielleicht auch der eine oder andere mehr…

Kaum gibt der Grünen-Politiker Cem Özdemir publikumswirksam vor, Strafanzeigen gegen „deutsche und türkische Fanatiker“ auch an Samstagen zu stellen, weil diese ihn angeblich bedroht haben wollen, reihen sich in sein Fahrwasser andere gehypte Persönlichkeiten der gleichen Gesinnung und jammern über ihre Erfahrungen mit „Fanatikern“.

(Screenshot/Twitter)

Dabei sind diese Persönlichkeiten aus Gesellschaft und Politik selbst ein Teil dieses Problems. Cem Özdemir ist ebenso ein Teil davon wie Düzen Tekkal, Seyran Ates, Ahmad Mansour, Ali Ertan Toprak und viele andere, die in die gleiche Kerbe einschlagen. Dabei sind sie die Allerletzten, die Solidarität und Zuspruch benötigen.

Es sind die vielen Lokalpolitiker, amtlichen oder ehrenamtlichen Mitarbeiter von sozialen Einrichtungen in Thüringen, Sachsen-Anhalt oder sonstigen Hotspots von Neonazis, die unsere Solidarität und Anerkennung verdienen, weil sie direkt betroffen und nicht nur verbaler Androhung, sondern auch tagtäglichen tätlichen Bedrohungen ausgesetzt sind.

Es sind die zahlreichen Moscheen und Synagogen, die unsere Solidarität und Respekt verdienen; für ihre dennoch unermüdliche soziale wie gesellschaftliche Verantwortung, die sie jeden Tag erneut unter Beweis stellen müssen.

Vor allem sind es die vielen Menschen, die aufgrund der vielen persönlichen Erlebnisse von Anfeindungen, Bedrohungen und erlebten Gewalttaten unsere Solidarität und unsere Anteilnahme verdienen; seit Jahrzehnten.

Sei es die Kopftuch-tragende junge Dame in der U-Bahn, die von oben bis unten erst hämisch beäugt, dann verbal angegangen und wenn es ganz aus dem Ruder gerät, Gewalt an ihrem Körper spüren muss und alle anderen Fahrgäste teilnahmslos daneben stehen.

Es ist der Schwarzafrikaner, der am Arbeitsplatz beäfft und dann als Stinktier bezeichnet wird, um schließlich vom Arbeitsplatz hinauskomplimentiert zu werden, weil er schnell ersetzbar ist.

Es sind so viele Menschen, die inzwischen kategorisiert, katalogisiert, untergeordnet worden sind, dass einem Angst und Bange werden kann. Aber unsere Herren Cem Özdemir oder Damen Seyran Ates machen sich sorgen um die Gesellschaft? Wohl eher um ihr eigenes Wohlergehen!

Genau daraum geht es doch: „ihr Wohl“!

Der massive Sozialabbau, die hohe Arbeitslosigkeit, die wachsende Armut, betrifft diese Leute nicht. Sie haben ganz andere konkrete Probleme, die sie bejammern: ihr Wohlergehen, ihre politische Karriere, ihre gesellschaftliche Stellung, ihre stetige Anerkennung in Partei und Gesellschaftsschicht, die sie ansprechen.

Die anderen, dass sind wir, das Volk bzw. die Mitbürger und es ist nichts in Sicht, was uns aus diesem „Jammertal“ hinausführen könnte. Das deutsche Volk, die in Deutschland lebenden Mitbürger, fühlen sich daher verraten und verkauft, reagieren mit Politikverdrossenheit und Protest.

Der Protest ist vielfältig: der eine geht auf die Straße, der andere macht grundsätzlich andere dafür verantwortlich. Der dritte will erst gar nichts damit zu tun haben, der hat ja sowieso schon resigniert festgestellt, dass das nichts mehr bringt und der vierte, dem geht bereits alles auf den Keks, wenn einem anderen etwas auf den Keks geht.

Die Parteien, die CDU/CSU, Grünen und allen voran die SPD, ihre Politiker, sie haben ihre Ideale auf dem Altar des eigenen „Wohls“ geopfert und bauen dabei Staat und die Gesellschaft rücksichtslos um. Es gibt kein „Wir-Gefühl“ mehr, es gibt nur noch ein „Ihr-Gefühl“.

Deshalb heißt es auch ständig: „Ihr“ seid es, die anders tickt, anders handelt, anders aussieht oder andere verantwortlich macht. Diese einfache und prägnante Formel hat sich in der Parteienlandschaft etabliert, um die eigenen Leute zu umgarnen und noch festzuhalten. Eine Volkspartei, die ihrem Namen alle Ehre macht, die gibt es schon lange nicht mehr.

Alle diese genannten und nicht genannten Personen oder Parteien sind doch selbst die Pyromanen, die hier und da herumzündeln und sich dann selbst mit viel Elan als Feuerlöscher der sogenannten wehrhaften Demokratie anbieten, um sodann mit vollem Elan den aufsteigenden Rauch zu verhindern.

Warum ist denn eigentlich für Özdemir die wehrhafte Demokratie dann gefragt, wenn man selbst seine „Kritiker“ juristisch verfolgen lässt, während man anderen, z.B. einem türkischen Präsidenten, dieses verwehrt? Ist dann Beleidigung für andere eine Kritik, für einen selbst aber dann schon kriminell?

Wieso kann eine Seyran Ates zwar angeblich erkennen, weshalb Kopftuch-Frauen sich vom Blick eines Mannes abwenden, aber nicht registrieren, dass die Hälfte der Passagiere eines Linienbusses sich von der Kopftuch-Dame abwenden? Was ist denn das größere gesellschaftliche Problem?

Diese Art der Reaktion scheint auch deutlich dem generell eskalierten Zustand der Wahrnehmung von bestimmten Realitäten zu entspringen. Ein tatsächlicher Mordversuch an einem Flüchtling, ein tätlicher Angriff auf eine Kopftuch-Frau, ein Lynchversuch von einem Mob völkisch-kurdischer PKK-Sympathisanten wird da weit weniger extrem dargestellt und entsprechend weniger gewichtet, als eine Email mit Drohgebärden.

Es ist eigentlich recht einfach. Inzwischen ist doch die Gesellschaft ziemlich verroht, tagtäglich gibt es Meldungen über Angriffe auf Moscheen, Muslime, Flüchtlinge, Ausländer oder Juden; aber aus unerfindlichen Gründen scheinen Droh-Emails eine besonders willkommene Abwechslung zu sein, sich just dann mit dem betroffenen Politiker zu solidarisieren.

Keiner von diesen hervorpreschenden Solidaritätskundgebern von Cem Özdemir wäre in der Lage das Maul aufreißen oder dazwischen zu gehen, wenn ein Flüchtling, eine Moschee bzw. Synagoge angegriffen oder ein Türke von einem Mob durch die Ortschaft gejagt würde. Sie würden es lediglich registrieren und den Vorhang zuschieben.

Das Gewissen kann man dann nicht damit bereinigen, in dem man bei einer Einmal-Aktion eine Kippa aufsetzt und Solidarität bekundet oder einmal im Jahr den Fuß in eine Moschee setzt bzw. der täglich im Büro umherwischenden Kopftuch-Putzfrau in der Toilette einen „Grüß Gott“ entgegnet.

Wenn man das Problem auf sich und Gleichgesinnte beschränkt oder reduziert, während man die wirklichen Helden und Opfer da draußen geflissentlich übergeht, ist man selbst mit ein Teil des Problem. Entweder gibt es ein „wir“ oder weiterhin nur das „ich, ich, ich.“ So lange man sich nur um die „eigenen Leute“, die „eigenen Interessen“ kümmert und nicht um alle, ist man ein Teil des Problems.


Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.


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