Keine Versöhnung ohne Entschuldigung
Daniel Günther, Bundesratspräsident und Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, befindet sich derzeit (11.-17. Juli) auf einer offiziellen Besuchsreise in Angola und Namibia. Dabei ist auch ein Besuch der Ovaherero- und Nama-Massengräber in Swakopmund/Namibia vorgesehen.
Auf diesem Friedhof sind die sterblichen Überreste all jener Opfer des deutschen Konzentrationslagers in der Stadt verscharrt, die nicht für rassistische Forschungen an deutsche Museen und Universitäten verschickt wurden. Der Gedenkfriedhof von Swakopmund ist ein wichtiger Ort der Erinnerung für die Ovaherero und Nama-Minderheiten in Namibia, Botswana und Südafrika.
So angemessen diese Geste für einen hochrangigen deutschen Politiker auf den ersten Blick erscheinen mag, so kritisch ist Günthers Besuch bei genauerem Hinsehen zu bewerten. Denn laut Webside des Bundesrates beabsichtigt Günther weder ein Treffen mit den selbstgewählten Vertreter*innen der Ovaherero und Nama noch eine offizielle Entschuldigung für den bis heute nicht rechtskräftig anerkannten Völkermord an ihren Vorfahren.
Vielmehr wird Günther, der im namibischen Parlament sprechen will, mit den ausweichenden Worten zitiert: „Ich werde dort die Gelegenheit nutzen, nicht nur etwas über Perspektiven unserer Zusammenarbeit zu sagen, sondern auch über das Leid, das Deutsche über das Land gebracht haben.“
Unter diesen Umständen fordert der Verein Berlin Postkolonial den Bundesratspräsidenten dringend dazu auf, von seinem Besuch des Memorial Park Cemetry der Ovaherero und Nama in Swakopmund Abstand zu nehmen. In den sozialen Medien ist schon jetzt erkennbar, dass die Nachfahren der Opfer des Genozids die geplante Kranzniederlegung nicht als Geste der Versöhnung, sondern als Provokation interpretieren werden.
Der Berliner Herero-Aktivist Israel Kaunatjike hierzu:
„Für mich ist diese Kranzniederlegung pure Heuchelei. Solange wir vom Bundesratspräsidenten ignoriert werden und er für den Völkermord an unseren Vorfahren keine offizielle Bitte um Entschuldigung mitbringt, ist er an der Ruhestätte unserer ermordeten Ahnen nicht willkommen. Herr Günther sollte sich stattdessen das unerträgliche deutsche Marine-Denkmal in Swakopmund anschauen, das bis heute die Mörder unserer Großeltern glorifiziert. Vielleicht hat ja ein deutsches Museum Verwendung dafür.“
Völkermord: Herero fordern Entschuldigung von Deutschland
Die namibische Volksgruppe der Herero verlangt vom Bundestag eine Entschuldigung für die von deutschen Kolonialtruppen begangenen Verbrechen an den Herero und Nama.
Wie die dpa berichtet, fordert die Herero-Vertreterin Esther Utjiua Muinjangue eine Verurteilung der deutschen Gräueltaten sowie die Bitte um Vergebung von „höchster Stelle“ im Namen Deutschlands. Würde dies nicht geschehen, stelle sich die Frage, ob es Deutschland „wirklich ernst mit der Versöhnung meint“.
Sie warnte Deutschland vor „Heuchelei“ und verwies darauf, dass der Bundestag auch keine Scheu gehabt habe, die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord zu bezeichnen. Die Herero und Nama fordern auch eine finanzielle Wiedergutmachung von Deutschland.
„Wir finden es sehr interessant, dass sich die Deutschen so aktiv für die Sache der Armenier einsetzen, während sie ihre eigenen Angelegenheiten unter den Tisch kehren“, wird die Vorsitzende des Ovaherero Genocide Committee (OGC), Esther Muinjangue, in der „Welt“ zitiert. „Was ist der Unterschied? Die Herero sind schwarz, die Deutschen glauben, dass sie Schwarze nicht ernst nehmen müssen. Das ist für mich die einzige Schlussfolgerung.“ Deutschland verhalte sich den Herero gegenüber „wie ein Vergewaltiger, der gleichzeitig Richter ist“.
Berlin bezeichnet die Verbrechen seit 2006 zwar auch offiziell als Völkermord, Entschädigungszahlungen lehnt die Bundesregierung aber ab. Stattdessen erhöhte man die Entwicklungshilfe an Namibien.
Im Jahre 1904 erteilte der deutsche Generalleutnant Lothar von Trotha in der damaligen deutschen Kolonie Deutsch-Südwestafrika den Befehl, alle Stammesangehörigen der Herero zu töten. Bis 1908 wurden zwischen 65 000 und 80 000 Herero umgebracht, außerdem bis zu 20 000 Angehörige des Stammes der Nama.
Herero-Vertreter legen Berufung ein
Vertreter der Herero und Nama haben im Mai vor einem Gericht in New York Berufung gegen ein Urteil einer Richterin eingelegt, welches im März verkündet wurde.
Die New Yorker Distriktrichterin Laura Taylor Swain hatte eine Klage zu den unter deutscher Kolonialherrschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts verübten Massakern abgewiesen. Die Justiz in den Vereinigten Staaten sei wegen mangelnder Auswirkungen auf das Land nicht für den Fall zuständig.
Swain hatte befunden, dass Deutschland in diesem Fall Immunität vor einer Strafverfolgung genießt und das Gericht weder für den Fall zuständig sei, noch befugt sei, diesen Fall anzuhören. Das Landeskommunaloberhaupt der Herero-Bevölkerung in Namibia, Vekuii Rukoro, hatte bereits kurz darauf in Windhoek angedeutet, dass Deutschland sich in New York verantworten müsse, „ob es will oder nicht“, berichtet die namibische Tageszeitung Allgemeiner Anzeiger.
Die USA sei sehr wohl zuständig, so Anwalt Kenneth McCallion, der die Stämme vertritt. Der Fall betreffe auch die USA, unter anderem wegen des Verkaufs von Schädeln getöteter Afrikaner, die vor etwa 100 Jahren an ein Museum in New York geschickt wurden. „Der Völkermord hat eine direkte Verbindung nach New York“, sagte er der dpa.
Die deutsche Bundesregierung hatte seit der Einreichung der Klage erklärt, es gebe keine rechtliche Grundlage für das Verfahren. Im Januar 2017 hatten Nachfahren beider Volksgruppen eine Sammelklage gegen Deutschland eingereicht.
Die namibische Regierung hat wiederholt „Entwicklungshilfe“ als Basis ihrer Verhandlungen mit Deutschland bekräftigt. Vertreter der Herero und Nama fordern jedoch Reparationenzahlungen wie im Falle Israels. Auch eine Entschuldigung hochrangiger Regierungsvertreter Deutschlands wird immer wieder gefordert. In einer gemeinsamen Resolution fordern Vertreter zudem die direkte Beteiligung der Herero und Nama an allen Verhandlungen mit Deutschland.
In einem Interview mit Radio Dreyeckland kritisierte auch Kaunatjike, dass namibische Herero- und Nama-Verbände von den Gesprächen über eine Aufarbeitung des deutschen Völkermordes Anfang des 20. Jahrhundert ausgeschlossen seien.
Kaunatjike spricht gegenüber dem Sender von “Geheimverhandlungen, zu denen die Opferverbände nicht eingeladen sind” und erklärt, die Gruppen wollten die Ergebnisse, die ohne ihre Beteiligung verhandelt worden seien, nicht respektieren. Die namibische Regierung verfolge nur finanzielles Interesse an so genannter Entwicklungshilfe und sei nie in der Frage selbst engagiert gewesen, betonte der Aktivist.
“Das ist ein ‘Teile und herrsche’, und das stört uns einfach”, erklärt der Herero-Aktivist. Eine Bedeutung für die Gegenwart habe die Frage, wer in wessen Namen verhandelt, durchaus noch, so Kaunatjike. “Vertriebene in Botswana, Südafrika und Angola, deutsche Siedler leben heute noch auf deren Land”, erklärte er weiter. Zu 75 Prozent handle es sich dabei um Farmland. Man strebe diesbezüglich eine Restitution oder eine Entschädigung an.
“Unsere Anliegen werden ignoriert”, so Kaunatjike in einem Gespräch mit dem Nachrichtenportal NEX24. “Sie werden uns aber nicht bremsen können.”
„Wir wollen keine Entwicklungshilfe, wir wollen Reparationen und Heilung, so wie bei den Juden“, sagte Aktivistin Kambanda Nokokure Veii von der Ovaherero Genozid Stiftung in einer Videobotschaft. „Behandelt man uns anders, weil wir Afrikaner sind?“, fragt Veii. Ein Genozid sei ein Genozid, ganz gleich, ob an Juden oder Afrikanern verübt.
„Schadenersatzklage kann weitreichende Folgen haben“
Eine Schadenersatzklage kann nach Ansicht des Hamburger Historikers Jürgen Zimmerer weitreichende Folgen haben.
Im Gespräch mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ sagte Zimmerer: „Wenn es gelingt, Deutschland zu direkten Verhandlungen mit Vertretern einzelner Bevölkerungsgruppen und zu Reparationen zu zwingen, können viele weitere Fälle aus der Kolonialzeit akut werden.“
Der Professor für die Geschichte Afrikas an der Universität Hamburg sagte, ein Erfolg der Klage in New York könnte zu Reparationsforderungen gegen Deutschland auch wegen Massakern während des Maji-Maji-Aufstands im heutigen Tansania führen, ebenso wegen Massakern und Strafaktionen in Togo, in Kamerun und in der Südsee.
Auch Opfer unter der Zivilbevölkerung im Zuge des Ersten Weltkriegs in Afrika könnten Anlass von Klagen und Verhandlungen werden, sagte der Direktor der Forschungsstelle „Hamburgs (post)koloniales Erbe und Berater des Deutschen Historischen Museums in Berlin.
Zwischen 1885 und 1903 sei ein Viertel des Landes der Herero und Nama mit Einverständnis der Kolonialbehörden von deutschen Siedlern enteignet worden. Frauen und Mädchen der Herero und Nama seien, ebenfalls geduldet von den Kolonialbehörden, von Siedlern vergewaltigt und der Bevölkerung Zwangsarbeit auferlegt worden.