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Völkermord an Herero: Namibia entfernt deutsche Straßennamen

Namibische Politiker fordern eine Umbenennung der Straßennamen. Die neuen Namen sollen an Helden des afrikanischen Befreiungskampfes erinnern und nicht an die "brutalen Kolonialisten", so der Sprecher der namibischen Hauptstadt Windhuk Scheifert Shigwedha.

Windhoek, Namibia (Foto: pixa)
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Windhuk (nex) – „Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und keine Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auch auf sie schießen“, so der berüchtigte Vernichtungsbefehl des deutschen Generalleutnants Lothar von Trotha zu Beginn des 20. Jahrhunderts, der zum Völkermord an den Herero und Nama führte.

Bis 1908 wurden zwischen 65 000 und 80 000 Herero umgebracht, außerdem bis zu 20 000 Angehörige des Stammes der Nama.

Zwischen 1885 und 1903 wurde ein Viertel des Landes der Herero und Nama mit Einverständnis der Kolonialbehörden von deutschen Siedlern enteignet. Frauen und Mädchen der Herero und Nama seien, ebenfalls geduldet von den Kolonialbehörden, von Siedlern vergewaltigt und der Bevölkerung sei Zwangsarbeit auferlegt worden.

Entfernung deutscher Straßennamen

In Namibia sind die Zeichen der deutschen Herrschaft noch immer sehr präsent. Viele Straßenschilder etwa tragen deutsche Namen. Bismarck- oder Bahnhofstraße heißen sie auch über 100 Jahre nach dem Genozid an den Einheimischen noch. Namibische Politiker fordern nun eine Umbenennung der Straßennamen. Die neuen Namen sollen an Helden des afrikanischen Befreiungskampfes erinnern und nicht an die „brutalen Kolonialisten“, zitiert die dpa den Sprecher der namibischen Hauptstadt Windhuk Scheifert Shigwedha.

Wie die dpa weiter berichtet, soll laut einem Beschluss der Stadt vom April aus der Feldstraße etwa die Sir-Seretse-Khama Straße werden, benannt nach dem ersten Präsidenten Botsuanas. Komponist Johann Sebastian Bach soll Platz machen für ein früheres Stammesoberhaupt der Herero, Chief Kuaima Riruako. „Bismarck verdient keine Straße“, so in dem Antrag der Jugendorganisation der Regierungspartei Swapo.

Ein Straßenname soll jedoch bleiben dürfen: Die Hans-Dietrich-Genscher-Straße. Der deutsche Außenminister unterstützte Namibia bei der Unabhängigkeitsbewegung von Südafrika, dessen Teil das Land bis Februar 1990 war.

„Kolonisatoren und Unterdrücker“

Der namibische Botschafter zu Berlin, Andreas Guibeb, äußerte sich gegenüber NEX24 gewohnt diplomatisch zu den Plänen:

„Wie das Beispiel des früheren Außenministers Herr Hans-Dietrich Genscher zeigt, geht es bei der Straßenumbenennung nicht um die Abschaffung deutscher Straßennamen in Namibia“, so Guibeb. Vielmehr gehe es darum, Straßen umzubenennen, die während der deutschen Kolonialzeit und der Besatzung von Namibia durch Apartheid-Südafrika nach Kolonisatoren und Unterdrückern benannt wurden.

„Wir wollen 28 Jahre nach unserer Unabhängigkeit den öffentlichen Raum positiv besetzen. Ähnlich wie im Berliner Bezirk Wedding, für den die Bezirksverordnetenversammlung kürzlich beschlossen hat, unter anderem die Lüderitzstraße in Cornelius-Fredericks-Straße und die Petersallee von der Müllerstraße bis zum Nachtigallplatz (später Bell-Platz) in Anna-Mungunda-Allee umzubenennen – beides wichtige Akteure des namibischen antikolonialen Befreiungskampfes“, so Guibeb gegenüber NEX24. 

„Zwischen der namibischen und der deutschen Regierung besteht Einigkeit in der Frage, dass es sich 1904-1908 um einen von deutschen Truppen verübten Völkermord an den Nama und Herero im damaligen Deutsch-Südwestafrika gehandelt hat und dass dieser Anerkennung eine offizielle Entschuldigung durch die Bundesregierung folgen wird“, sagte der Botschafter weiter.

Laut Guibeb beschäftigten sich die deutsch-namibischen Verhandlungen zur Vergangenheitsbewältigung momentan mit der Frage, welche Form und welchen Umfang die Reparationen oder Wiedergutmachung haben werden, die von der Bundesrepublik Deutschland an die Republik Namibia für diesen ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts im heutigen Namibia zu leisten seien.

„Deutsche Ausrottungspolitik“

Vertreter der Herero-Nachfahren geben sich weniger versöhnlich: „Wir finden es sehr interessant, dass sich die Deutschen so aktiv für die Sache der Armenier einsetzen, während sie ihre eigenen Angelegenheiten unter den Tisch kehren“, wird die Vorsitzende des Ovaherero Genocide Committee (OGC), Esther Muinjangue, in der „Welt“ zitiert.

Eine offizielle Anerkennung der deutschen Ausrottungspolitik gegenüber den Herero sei, wie Esther Muinjangue im Juni 2016 betonte, in Deutschland zudem mit der Begründung  unterblieben, die Verbrechen seien lange vor der 1948 verabschiedeten UN-Völkermordkonvention erfolgt und könnten nicht nach den dort festgelegten Artikeln bestraft werden.

„Der Völkermord an den Armeniern fand nur sieben Jahre nach dem an den Herero statt, hier sprechen die Deutschen plötzlich wie selbstverständlich von Völkermord“, wird die NGO-Vorsitzende Muinjangue in der „Welt“ zitiert. „Was ist der Unterschied? Die Herero sind schwarz, die Deutschen glauben, dass sie Schwarze nicht ernst nehmen müssen. Das ist für mich die einzige Schlussfolgerung.“ Deutschland verhalte sich den Herero gegenüber „wie ein Vergewaltiger, der gleichzeitig Richter ist“. Erst 2016 gab Berlin den Widerstand auf, die Massaker an den Herero als Völkermord einzustufen.

Man rücke die Schädel seiner Vorfahren unter fadenscheinigen Gründen nicht heraus.

Um die angebliche Minderwertigkeit der Afrikaner zu belegen, brachten die Deutschen aus ihrer damaligen Kolonie Schädel und Gebeine Einheimischer nach Berlin. Der Historiker Jürgen Zimmerer, der sich seit Jahren mit der Kolonialgeschichte befasst, geht davon aus, dass damals über 1000 menschliche Überreste nach Deutschland gelangten, deren Reste teilweise bis heute in Archiven, Magazinen und Kliniken lägen, berichtet Deutschlandradio Kultur.

Die Geschichte der Schädel sei bis heute ein Trauma für ihr Volk, empört sich Muinjangue:

„Die deutsche Schutztruppe brachte die abgetrennten Köpfe zu den Herero-Frauen und zwang sie, sie zu reinigen, damit sie wie Eier fein säuberlich in Kartons nach Deutschland transportiert werden konnten, so Muinjangue. „Es konnten die Köpfe ihrer Ehemänner, Brüder oder Schwestern sein.“

30 Milliarden Dollar

Die namibische Regierung forderte im vergangenen Jahr von Deutschland eine Wiedergutmachungszahlung von 30 Milliarden US-Dollar. Berlin lehnt eine solche Zahlung ab.

Nach Ansicht des Hamburger Historikers Jürgen Zimmerer könnte eine Zusage weitreichende Folgen haben.

Im Gespräch mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ sagte Zimmerer: „Wenn es gelingt, Deutschland zu direkten Verhandlungen mit Vertretern einzelner Bevölkerungsgruppen und zu Reparationen zu zwingen, können viele weitere Fälle aus der Kolonialzeit akut werden.“

Der Professor für die Geschichte Afrikas an der Universität Hamburg sagte, ein Erfolg der Klage in New York könnte zu Reparationsforderungen gegen Deutschland auch wegen Massakern während des Maji-Maji-Aufstands im heutigen Tansania führen, ebenso wegen Massakern und Strafaktionen in Togo, Kamerun und in der Südsee.

Auch Opfer unter der Zivilbevölkerung im Zuge des Ersten Weltkriegs in Afrika könnten Anlass von Klagen und Verhandlungen werden, sagte der Direktor der Forschungsstelle „Hamburgs (post)koloniales Erbe und Berater des Deutschen Historischen Museums in Berlin.

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Die Vorsitzende des Herero-Verbandes OGC, Esther Muinjangue, findet es „interessant“, wie beflissen Deutschland die Geschichte anderer Länder aufarbeitet. „Was ist der Unterschied? Die Herero sind schwarz, die Deutschen glauben, dass sie Schwarze nicht ernst nehmen müssen. Das ist für mich die einzige Schlussfolgerung“, so die NGO-Vorsitzende Esther Muinjangue in einem Interview.

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