Von Klaus Jurgens
Selten hat eine Wahl in Österreich so viel Interesse bei internationalen Kommentatoren hervorgerufen wie die Nationalratswahl vom letzten Sonntag. Nicht dass Österreich kein wichtiger Staat sei, natürlich ist das Gegenteil zutreffend. Und während der jüngsten Präsidentschaftswahl konnte man ja schon spüren, dass was in Österreich politisch geschieht, größte Aufmerksamkeit im Ausland bekommt.
Aber überraschend war es dann doch, wie viele Kamerateams, wie viele Kolleginnen und Kollegen nach Wien reisten, um live vor Ort am Entscheidungstag dabei zu sein.
Mir persönlich fielen im Wahlkampf vor allem drei Dinge auf. Erstens, die komplett ‚überarbeitete‘ Österreichische Volkspartei und ihr Star Sebastian Kurz. Zweitens, der meines Erachtens mit weniger wichtigen Themen geführte Wahlkampf als angemessen gewesen wäre, z.B. ‚Islamisierung‘ anstelle von ‚dringend nötiger Bildungspolitikstrategie‘. Und drittens, die unerwartete Amerikanisierung des österreichischen Wahlkampfes mit einer totalen Personality-Show sowie mehr Fernsehduellen der Spitzenkandidaten als jemals zuvor.
Es war mir möglich, den Wahlkampf auf einer on-off Basis pendelnd zwischen der Türkei und dem Vereinigten Königreich dann doch genau zu verfolgen. Zahlreiche Einladungen zu Veranstaltungen erreichten meine Inbox und an einer guten Anzahl nahm ich auch teil. Besonders die ÖVP, die dann ja schnell die Neue ÖVP wurde mit einer Liste Kurz, wenn man so sagen darf, überraschte mich. Aus meinen eigenen studentenpolitischen Tagen erinnere ich mich nur zu gut daran, dass, wenn man die Politik als Beruf auserkoren hat, man eigentlich besser wartet, bis man so um die 50 oder noch älter ist, bevor man auch nur die geringste Chance hat, Positionen mit Verantwortung übertragen zu bekommen. Vorhang auf für Sebastian Kurz, bereits Außen-und Integrationsminister.
Es gehört eine gesunde Portion Charisma und Selbstvertrauen dazu, mit seinen nunmehr 31 jungen Jahren nicht nur das Amt des Parteivorsitzenden, sondern zugleich die Rolle als Bundeskanzler anzustreben. Hut ab – er hat es wohl geschafft. Dann lernte ich seine Parteifreunde in Wien kennen, fast ausnahmslos ein ebensolch junges Team, man nenne nur den Namen Gernot Blümel. Und extrem sympathisch, bürgernah, oft mit Lederjacke oder Jeans und weniger graugestreift. Erfrischend! Auch in Wien extrem gute Resultate für deren Volkspartei.
Während der Veranstaltungen, bei der Lektüre anderer hochgeschätzter Kommentatoren und im TV wurde mir eins bewusst: Dies ist keine Partei-Jugendrevolte ohne Plan, ohne Konzept. Vor allem merkte man, dass Jung und Alt, langjährige Funktionäre sowie neue Gesichter alle hinter Kurz zusammenfanden.
Ein neuer Wind, ein komplett neues Team vielleicht nicht, aber doch ganz mutig aufgemischt. Die neue ÖVP, zumindest auf dem Papier, sieht gut aus. Jetzt kommt die Praxis – kann jung auch liefern? Meine vorsichtige Vermutung: Wenn es klappt, dass mit welcher der beiden möglichen politischen Farben die ÖVP auch eine Koalition eingeht (ÖVP Türkis – FPÖ Blau, oder ÖVP Türkis – SPÖ Rot) und, dass diese eine gesamte Legislaturperiode übersteht, dann hat Sebastian Kurz in der Tat nicht nur die österreichische Volkspartei umgebaut, sondern die Chance, sein ganzes Land zu modernisieren.
Und genau das bringt mich in Windeseile zu meinem zweiten Thema: Nichts anderes ist dringend nötig. Eigentlich fehlten viele der wirklich bedeutsamen Fragen unserer Zeit im Wahlkampf.
Um einmal auf die FPÖ und ihren Spitzenkandidaten Heinz-Christian Strache einzugehen: Bis zum Wahlvorabend warb er mit ‚Zuwanderungsstopp; Schließung des Arbeitsmarktes für ausländische Billig-Kräfte; Nein zur Islamisierung; Nein zu CETA; keine Beitrittsverhandlungen mit der Türkei‘.
Mich als Vater hätte brennend interessiert, ob Österreich als Wirtschaftsstandort in der Zukunft überleben kann, wie das Thema Innovation angepackt wird, wann eine komplett neue Bildungspolitik die Schulen wieder wettbewerbsfähig machen kann, Gleichstellung von Frauen am Arbeitsplatz, Umweltpolitik… Na gut – er muss ja seine Partei fernab vom Mainstream positionieren, um genügend Stimmen zu gewinnen.
Waren die anderen Parteien etwa besser? Dass nur Umweltpolitik alleine einen keinen (Wahlabend-)Blumentopf gewinnen lässt, haben die Grünen deutlich zu spüren bekommen. Dass permanente interne Flügelkämpfe nicht attraktiv sind, ebenso. Ob der Ableger Liste Pilz in der Tat zur langfristigen politischen Kraft wird, bleibt mit aller journalistischen Freundlichkeit abzuwarten. Die Liberalen oder Neos, wie sie hier heißen, sind dabei – schön, aber ebenso ganz knapp dabei. Programmatik? Zumeist reagierend, wenig bestimmend. Sah der Wähler wohl ebenso…
Und die große Oppositionspartei, die SPÖ? Die Debatten, die ich verfolgte wurden vom Thema Wirtschaftspolitik bestimmt aber da mit der Wirtschaft und der Arbeitslosigkeit ja so manches nicht passt, zog das ebenso nicht beim Wähler. Es gab wenig Programmatisches seitens der SPÖ, zumindest wann immer ich dabei war und zuhörte.
Auch, wenn ich mit Herrn Strache persönlich eher nicht übereinstimme, aber das ist nicht Thema dieses Artikels, seine FPÖ hat zumindest klare Ansage gemacht. Herrn Kurz’ Sieben Punkte-Manifest war zwar auch nicht schlecht, aber eben auch ein grundlegendes neues Parteiprogramm.
Von Hause aus Politologe, vermisse ich Grundsatzreden, Grundsatzprogramme. Der österreichische Wähler anscheinend nicht – und das ist eben auch Demokratie und genau so muss man die Ergebnisse bewerten. Demokratie in Aktion!
Last not least, die Amerikanisierung des Wahlkampfes. Mehr Fernsehduelle der Spitzenkandidaten und Kandidatinnen (Frau Lunacek), die man sich eigentlich hätte wünschen können. Dann die Zweier-Runden. Die lieb gemeinte Elefantenrunde. Morgens um sechs bringt mir ein freundlicher Bote meine Tageszeitung ins Haus… als ob die große Welt stehen geblieben wäre, vier Wochen lang, in manchen Zeitungen doppelt so langes Titelblatt = Wahlkampfthema. Editorial = Wahlkampfthema. Anzeigenseiten = Parteianzeigen.
Zu viel, meines Erachtens, Reizüberflutung. Aber der Bürger sah es anders – 80 Prozent Wahlbeteiligung. Kein neuer österreichischer Rekord, aber im Vergleich mit anderen Staaten bemerkenswert.
Und dann die 10.000–Menschen starke Parteiveranstaltung des Sebastian Kurz in der Wiener Stadthalle einen Monat vor der Wahl. Sollte irgendeine politische Partei in Westeuropa denselben Rekord einstellen wollen: viel Glück. Es war schon anheizend, motivierend, ansteckend, was die neue ÖVP da als Personality Show hinlegte.
Starke Persönlichkeiten, weniger Programmatik, Amerikanisierung des Wahlkampfes. Gut für Österreich? Wir werden abwarten. Ich wünsche unabhängig von jeder Parteivorliebe Sebastian Kurz alles Gute, er hat es verdient. Ich hoffe, andere europäische Volksparteien von Deutschland über Spanien nach Irland und zurück tun dasselbe – gebt jüngeren Politikern und Politikerinnen vor dem Rentenalter eine echte Chance!
Um auf meine erste Frage zurückzukommen – hat Österreich vielleicht zu viel mit rechts geflirtet? Nein – die Alltagspolitik wird allzu hochfliegende rechtspopulistische Thesen schnell wieder auf den Boden der Tatsachen bringen. Das ist ja das Schöne an der Demokratie.
Klaus Jurgens – London School of Economics Postgraduate Degree Government. Vormals Uni-Dozent Ankara, Schwerpunkt BWL und KMU. Über zehn Jahre vor Ort Erfahrung Türkei. Zur Zeit wohnhaft in Wien. Politischer Analyst und freiberuflicher Journalist.