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Deutsch-türkische Beziehungen
Kommentar zur Reisewarnung der Türkei

Die Reisewarnung der Türkei gegenüber ihren Staatsbürgern, die nach Deutschland reisen wollen oder sich dort aufhalten, kommt recht spät, aber dafür genau zum entscheidenden Zeitpunkt. Just als die türkische Diplomatie sich dazu durchringt, eine Reisewarnung zu formulieren und zu veröffentlichen, da wird die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage über Islamfeindlichkeit veröffentlicht: Die Zahl der Übergriffe auf Muslime ist erschreckend hoch.

(Symbolfoto: AA)
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Von Nabi Yücel

Die Reisewarnung der Türkei gegenüber ihren Staatsbürgern, die nach Deutschland reisen wollen oder sich dort aufhalten, kommt recht spät, aber dafür genau zum entscheidenden Zeitpunkt. Just als die türkische Diplomatie sich dazu durchringt, eine Reisewarnung zu formulieren und zu veröffentlichen, da wird die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage über Islamfeindlichkeit veröffentlicht: Die Zahl der Übergriffe auf Muslime ist erschreckend hoch.

Und noch etwas musste die Bundesregierung beantworten, die vor allem dem Grünen-Abgeordneter Volker Beck wohl kaum schmecken und ihn noch eine lange Zeit verärgern wird – nach all den Versuchen, die in Deutschland ansässige DITIB oder andere islamische Gemeinschaften vorzuführen und sie regelrecht abschaffen zu wollen: Von 632 antisemitischen Übergriffen waren 23 Übergriffe von ausländischen bzw. religiösen Ideologen zu verantworten, heißt es wieder in einer Antwort der Bundesregierung. Der Rest geht auf das Konto des rechten Spektrums in Deutschland. Letzteres Ergebnis ist für die türkische Regierung ein weiterer Beleg dafür, was in Deutschland grassiert: latenter Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.

Objektiv betrachtet haben die rassistischen oder fremdenfeindlichen Übergriffe in den letzten Jahren laut BKA und Bundesregierung ein ums andere mal Rekordniveau erreicht. Die Politik schert sich aber wenig darum – siehe NSU-Aufarbeitung -,verfolgt viel lieber mutmaßliche ausländische Geheimdienste, vor allem türkische Spitzel, und die werden überall gewittert. So steht seit langem ein türkischer Journalist unter dem Verdacht, er habe Informationen über den Vertreter einer PKK-nahen Organisation gesammelt. Allein das Sammeln oder Erfragen von Informationen über einen dubiosen Organisationsvertreter scheint zu genügen, um in Untersuchungshaft genommen und angeklagt zu werden.

Selbstverständlich wird währendessen unter dem Deckmantel der Demokratie und Meinungsfreiheit jeder denunziert oder ins gesellschaftliche Abseits gedrängt, der auch nur im entferntesten die türkische Politik verteidigt, auch wenn er im Grunde kaum etwas für Erdogan übrig hat. Demokratisch-oppositionelle Kräfte im Dunstkreis der PKK, Gülen-Befürworter, DHKP-C Revoluzzer oder die deutschesten Deutschen unter denen mit Migrationshintergrund werden mit Handkuss empfangen und ihre Sorgen auch ernst genommen. Das geht nur, wenn die Bundespolitik das auch will und tatkräftig unterstützt.

Die türkische Reisewarnung kam also recht spät, aber dafür zur besten Zeit. Man könnte sogar meinen, die sogenannten Türken-Spitzel haben sich bereits im Berliner Regierungsbezirk breitgemacht und erhalten Informationen aus erster Hand. Die krude Idee stammt nicht von mir, sondern von derselben Gemeinschaft, die darauf drängt, die PKK aus der Verbotsliste zu streichen oder dafür gesorgt hat, dass ein türkischer Journalist inhaftiert wird. Erst vor kurzem wurde eine türkischstämmige deutsche Polizeibeamtin ins Fadenkreuz des Verfassungsschutzes und des Bundesnachrichtendienstes gerückt, eben nur weil sie türkischstämmig ist und mit türkischen Kollegen von Amts wegen bilaterale Beziehungen aufrecht erhält.

Darüber hinaus dürfen wir den Vorfall in Duisburg nicht vergessen, als eine ganze Hundertschaft der Polizei anrücken musste, um die Horde von Türken und Anwohnern in Schach zu halten, die dabei zugafften, wie ein Falschparker von Beamten zu Boden gerissen und erst einmal vermöbelt wurde. Erinnert irgendwie an US-amerikanische Zustände. Als dann der Oberbürgermeister der Stadt Duisburg (SPD) auch noch aus der „national“-sozialistischen Mottenkiste das Wort „asozial“ ausgräbt, da wird erst richtig ersichtlich, wie tief und breit der Rassismus in Deutschland verankert ist. Darüber kann auch eine NRW-Staatssekretärin noch so oft den Deckmantel der türkischen „Diktatur“ legen, für eine Reise entzieht sich die Dame trotzdem in die türkische Riviera, und für kurze Zeit auch einfach der Realität, während ihr Mann sich tapfer gegen die „Erdoganisten“ wehrt.

Und wenn ein Hamburger Jungpolitiker namens Ahmed Ağdaş noch so groß vom Deutschsein träumen kann, um anerkannt und in den Zirkel der Selbstbeweihräucherer aufgenommen zu werden, spätestens wenn Gauland die Macht dazu hat, wird er zusammen mit Özoguz nach Anatolien entsorgt, wo er seinen deutschen Pass sich sonst wohin schieben kann. Ich muss mir von einem Jungspund wie Ağdaş oder dem Fliegengewicht Ünsal Arik nicht sagen lassen, wo ich hingehöre, wo ich meinen Lebensmittelpunkt habe und wie ich ihn zu gestalten habe, schon gar nicht, welcher politischen Gesinnung ich näher stehe.

Ich bin eben kein Jude von damals, der ahnungslos aber doch mit Vorahnung in irgend einen Güterzug geredet wurde, nur weil dessen Nase, Glaube oder Kunst und Kultur manchen Zeitgenossen nicht in den Kram passte. Ich bin jemand, der frühzeitig objektiv und subjektiv erkennen kann, wann es rassistisch oder fremdenfeindlich wird. Wem meine Meinung nicht gefällt, kann sich an die rund 150 Wissenschaftler wenden, die haben seit längerem etwas zu sagen, gehört werden sie nur nicht. Wenn also den Herrschaften meine Ansichten oder die anderer nicht gefallen, sollen sie sich doch an Frau Knobloch wenden, die kann aushelfen.

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Subjektiv betrachtet muss man nur eines der vielen Klein-Istanbuls der großen Städte in Deutschland besuchen, um zu erkennen, wo sich Türken bzw. Ausländer am wohlsten und sichersten fühlen – aber auch nur dann, wenn PKK-Groupies diese Straßen nicht als Herde benutzen oder nicht Moscheen abfackeln – und weshalb man wenige auf der Kirmes, in der Vereinsgaststätte oder auf dem Wiesen sieht. Entweder wird man dabei streng beäugt, es werden trockene Witze gerissen oder man wird von einer Horde von Reichsbuletten verfolgt. Hat man das heil überstanden, wird man vom Flimmerkasten rund um die Uhr mit türkischen Tagesthemen berieselt, obwohl man in deutschen Kanälen hin und her zappt. Regelmäßig wird man dann von Neuzugängen an Experten darin aufgeklärt, wie man sich als Türke von der Gesellschaft entfernt hat, was für ein asoziales Verhalten man an den Tag legt und dass man ganz einfach samt dem Land nicht hierher gehört.

Man muss also nicht erst in die Vergangenheit zurückschauen, um die Ausländerfeindlichkeit anhand von Solingen oder Moelln zu erklären, bei der allein das Türkesein Grund genug war, flambiert, exhumiert und ins Vaterland geschafft zu werden, weil man hier schlicht und einfach auch nicht im Grab in Ruhe gelassen wurde. Es gibt reichlich viele objektive wie subjektive Wahrnehmungen, die von der deutschen Politik längst hätten angegangen werden müssen. Stattdessen wird der deutsche Wahlkampf weiterhin und diesmal exzessiv auf dem Rücken der Türkei ausgetragen, auch wenn man vehement vorgibt, nur den Staatspräsidenten zu kritisieren oder in die Schranken verweisen zu wollen. Wenn Kommentare über das Türkei-Kroatien Spiel fallen, in der man von „Glück“ spricht oder jede einzelne Handlung der türkischen Elf geflissentlich mit Erdogan in Verbindung gebracht wird, dann hat das weniger mit Erdogan-Kritik zu tun, sondern vielmehr mit dem Versuch, in Deutschland ein Türkei-Bild zu zeichnen, das nicht so recht in eine europäische Wertekultur passt.

Dabei muss Deutschland selbst erst einmal erklären, wie es sich moralisch verhält, wenn man einerseits sich in den türkischen Wahlkampf einmischt und sogar medial in türkischer Sprache die türkischen Bürger anspricht, jedoch andersrum in Empörung verfällt und von einer Einmischung in innere Angelegenheiten spricht. Dabei ist es doch Deutschland selbst, die sich nicht nur in die türkische Justiz einmischt, sondern den Eindruck etablieren will, deutsche Staatsbürger wären per se nicht straffällig, genössen Immunität. Vor allem interessiert  mich in diesem Zusammenhang der Gemütszustand der Maya-Yücel-Ehefrau, die just dann den Bund der Ehe mit meinem Namensvetter einging, als er längst in Untersuchungshaft saß. Dass die türkische Regierung nun Handlungsbedarf sieht, um ihre eigenen Staatsbürger vor Deutschland und solchen wankelmütigen Gestalten zu warnen, ist eine Tragikomödie, vor allem weil die USA, China oder die Sonderverwaltungszone Hongkong ebenfalls Reisewarnungen gegenüber Deutschland ausgesprochen haben.

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Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.