Review von Julius Zunker
Im allgemeinen Bewusstsein war die verbindende Eigenschaft aller Kampfmittel des 20. Jahrhunderts, dass diese ein lautes „Boom!“ von sich geben. Die nächste Stufe, die der Cyberkriegsführung, gibt erzeugt noch maximal ein „Beep“. Im gruseligsten Fall geht sie komplett geräuschlos zu Werke und richtet mehr Schäden an, als jedes Bombardement. Es ist diese lautlose Bedrohung, deren Gefährlichkeit noch durch die sie umgebende und alle Eingeweihten zum Schweigen verdammende Heimlichkeit, Angriffe auf nationale Computer-Netzwerke betreffend, gesteigert wird, die Alex Gibney in seiner neusten Dokumentation „Zero Days“ nicht nur enthüllt, sondern auch noch schafft anschaulich zu erklären.
Das Ergebnis ist eines dieser raren Stücke Investigativ-Journalismus mit Massentauglichkeit, die sich anfühlen wie ein von Hollywood erdachter Thriller. Schon im Geek-Sprech Titel deuten sich eines an: Die Bedrohung ist längst hier und die Welt versucht sich bloß noch in einem verzweifelten Katz-und-Maus-Spiel um sie einzudämmen. Klar formuliert, von Dringlichkeit und aufrüttelnder Sorge erfüllt, reiht sich „Zero Days“ locker in Gibneys bisherige Projekte ein. Es fällt nicht schwer, sich auszumalen, dass es die Doku „We Steal Secrets: The Story of WikiLeaks“ war, die Produzent Marc Shmuger dazu brachte, die Idee sich Stuxnet vorzunehmen an Gibney heranzutragen. Erneut gelingt es ihm ein relativ technisches Thema mit erfinderischen, visuellen Lösungen seinem Publikum näher zu bringen.
Der Hintergrund: Ein noch nie derartig elaboriert programmierter Wurm wurde in einer Cyberattacke auf das iranische Atomprogramm eingesetzt. Die Maleware, von ihren Entdecker Stuxnet getauft, wurde programmiert um Zentrifugen zur Uranverarbeitung zu zerstören und zeitgleich diese Attacke zu verschleiern. Wäre alles nach Plan gelaufen, hätte niemand, nicht der Iran, noch Rest der Welt, jemals von diesem Hack erfahren. Doch irgendwo auf halbem Weg verselbstständigte sich das Wurm-Programm und breitete sich auf Computern weltweit aus. Schlussendlich geriet der Virus in den Fokus eines Antivirus-Dienstleisters aus Belarus und schaffte es von dort aus auf die Titelseiten der New York Times.
Obwohl so gut wie alle Quellen, die Gibney direkt interviewt, ab der Erwähnung des Wortes Stuxnet dicht machen, ist die Katze schnell aus dem Sack: Gibney und sein Team belegen schlüssig, dass Stuxnet (oder besser „Olympic Games“, so der interne Name des Virus) eine gemeinsame Operation der USA, GB und Israel war. Stuxnet selber jedoch ist nur die Spitze des Eisbergs. New York Times Reporter David Sanger (Gibneys meist zitierte Quelle) wartete bis zum Vortag der Premiere um die wahre Bombe platzen zu lassen: Stuxnet war nur Teil eines weitaus größeren Plans um die Infrastruktur des Irans zu beschädigen oder gar vollständig lahmzulegen. Das Projekt im Hintergrund läuft unter dem Codenamen „Nitro Zeus“ und stellt eine viel gewaltigere Bedrohung dar.
Wie schon in „Client 9“ lässt Gibney brisante Informationen durch den Mund einer Schauspielerin (Joanne Tucker) ausdrücken. Ihre Rolle dient einzig dem Schutz diverser Quellen, die sich andernfalls einer Anklage des Staatsverrats aussetzen würden. Dramatische Aufwertung erfahren diese Statements dadurch, dass Gibney Tucker durch einen optischen und akustischen Filter sprechen lässt. Zusätzlich lässt er sie bis zum Ende als eine einzelne Quelle aus dem digitalen Zentrum der NSA erscheinen. In der Auflösung dieses Tricks macht er aber deutlich, dass diese vermeintliche Whistleblowerin eine Vielzahl an vertraulichen Aussagen zusammenfasst. Kombiniert mit der stimmverzerrten Aussage eines im Schatten aufgenommenen Gewährsmanns aus israelischen Sicherheitskreisen, der zu Beginn und Ende von „Zero Days“ zu Wort kommt und der hollywoodesken Aufbereitung um den Mord an zwei iranischen Nuklearwissenschaftlern aus dem iranischen Fernsehen, erhebt sich die Doku mühelos in die Sphären jedes Agenthrillers. Nur ist dieser hier bittere Realität.
Lässt man Will Bates dramatischen Weltuntergangssoundtrack beiseite, sind es besonders der philosophische Aspekt der Cyberkriegsführung und der mit ihr einhergehenden Problematik, die sich als beängstigend erweisen. Gibney präsentiert eine klare und beeindruckend leicht verständliche Analyse der Causa Stuxnet, mischt diese aber gekonnt mit seinen eigenen, hypothetischen Sorgen über eine nicht reglementierte und über-klassifizierte (so ausgedrückt durch den ehemaligen CIA- und NSA-Chef Michael Hayden) Form der Massenvernichtungswaffe: Egal, ob ein Cyber-Angriff in Friedenszeiten als Kriegserklärung zu sehen ist oder nicht, was sollte in Zukunft Länder davon abhalten, sich gegenseitig mit Cyber-Attacken von einem Ausmaß wie Stuxnet zu überziehen?
Als die USA am Ende des Zweiten Weltkriegs nicht eine, sondern zwei Atombomben in Japan einsetzten, öffneten sie damit die Büchse der Pandora. Sie führten eine neuartige und schreckliche Waffe ein, die alle anderen Großmächte in ihrem Arsenal haben wollten. Der derzeitige Stand dieses Rüstungswettlaufs sind genau die Spannungen zwischen den USA und dem Iran das Atomprogramm letzterer Nation betreffend, die Stuxnet zum Einsatz brachten. Gemessen an dem Schweigen der Eingeweihten, war es wohl Absicht der USA, dass ihre Cyberwaffe unentdeckt bleibt. Sie sollte ihre Arbeit verrichten, sich selbst verbergen und wieder verschwinden. Niemals hätte ein anderes Land so inspiriert werden sollen, ähnliche Waffen zu entwickeln. Doch beim Einsatz von Stuxnet wurde ein folgenschwerer Fehler begangen. Gibney sieht in der israelischen Geheimdienstsondereinheit Unit 8200 den Verantwortlichen. Ohne Wissen der Geheimdienstpartner entwickelten die Israelis eine deutlich aggressivere Version des Wurms, der sich im wahrsten Sinne des Wortes global viral verbreitete und postwendend unter anderem den Iran dazu nötigte eine eigene „Cyber-Armee“ zu gründen.
„Zero Days“ ist nicht die erste und nicht die letzte Doku, die die Art der Geheimhaltung, wie sie sowohl die Bush als auch die Obama Administration an den Tag legt und legte, als Problem ansieht. Nicht nur, weil sie eine offensive Form von Cyberkriegsführung einführte, sondern weil sie unter Androhung von schweren Strafen jedem den Mund verbietet, der etwas wirklich Informatives zu dem Thema betragen könnte. Mit grade wieder aktuell gewordener Anschaulichkeit ist es Hillary Clinton, die vor einem Ausschuss frech eine Lüge postuliert: Die USA hatten nichts mit Stuxnet zu tun. Gibneys Beweisführung dagegen ist erdrückend. Schon die detaillierte Analyse des Wurms durch zwei Angestellte von Symantec Research Labs präsentiert deutliche Fakten. Zugleich formulieren die beiden Analysten flüssig und für Laien verständlich, wie dieser Wurm zu Werke geht.
Worte alleine würden sicher die meisten Zuschauer langweilen, doch Gibney reichert unter Zuhilfenahme von Visual-Effects-Veteranin Sarah Dowland „Zero Days“ mit klugen, optischen Erklärungen des komplexen Programms an, bearbeitet Photos und Videos und dringt durch die Oberfläche der Doku mittels einer immer wieder genutzten, dreidimensionalen Darstellung der Virus-Matrix. Dieses wiederkehrende, visuelle Motiv vermischt sich wunderbar mit digitalen Weltkarten und ausgewählten Nachstellungen. Besonders bedrohlich ist dabei ein explodierender Ballon, der an eine mit dem Virus infizierte Siemens PLC Maschine angeschlossen ist. Es ist genau diese Art Maschine, die zur Regulierung von Motoren, Pumpen und anderen wichtigen Elementen jeder Infrastruktur dient, die Stuxnet selektiv manipuliert und gegen den Betreiber richtet.
Es braucht keine Atompilze – auch wenn Gibney mehr als einen präsentiert – um sich vorzustellen, welchen potentiellen Schaden eine solche Maleware entfesseln kann. Dennoch ist Stuxnet nicht die Gefahr, vor der sich die Welt fürchten muss. Der Wurm hat ein eingebautes Verfallsdatum. Wer aber Gibney und seinen Quellen Glauben schenkt (und die Beweisführung ist schlüssig und frei von Paranoia), wird in Nitro Zeus die weitaus größere Bedrohung erkennen. Eine, die jede Nation der Welt mit den entsprechenden Fachkräften (oder einem ausreichenden Budget) gegen ihre Feinde einsetzen könnte. „Zero Days“ zeichnet klar nach, dass der Iran bereits Saudi Aramco und diverse US-Banken auf ähnliche Weise attackiert und lahmgelegt hat. Obendrein verbleibt die Frage, wie aggressive Verbündete der USA (insbesondere Israel) diese Technologie einsetzen könnten. Während die meisten nicht hinschauten, haben die USA die Verhaltensregeln auf dem digitalen Schlachtfeld geändert. Mit „Zero Days“ zeigt Gibney deutlich, wie wenig Zeit der Welt bleibt, sich auf einen Konsens zu einigen, bevor es zu spät ist und der Erste einen Schritt zu weit geht.
„Zero Days“ ist ab 14.09. auf DVD, Blu-Ray und VOD erhältlich.