Karlsruhe (dts) – Der Staatsrechtler Joachim Wieland schließt eine Staatskrise nicht aus, sollte der bayrische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) mit eigenen Maßnahmen gegen den Flüchtlingszustrom vorgehen. Er sehe zwar nicht, dass Bayern seine verfassungsrechtlichen Pflichten tatsächlich verletzten würde, offenbar sollten die Ankündigungen politischen Druck erzeugen, sagte der Direktor der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer dem „Handelsblatt“. „Nur wenn die Ankündigungen in die Tat umgesetzt würden und der Bund Zwang gegen das Land anwenden müsste, gäbe es eine Staatskrise.“
Wieland wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Ankündigung Bayerns, die „notwendigen Maßnahmen zu ergreifen“, im Rechtsstaat nur nach Maßgabe des Rechts und der Verfassung zulässig sei. „Sollte sich Bayern darüber hinwegsetzen, wäre der Bund nach Artikel 37 des Grundgesetzes berechtigt und wohl auch verpflichtet, mit Bundeszwang gegen das Land vorzugehen“, sagte Wieland.
Der Leipziger Staatsrechtler Christoph Degenhart warnte hingegen davor, eine Staatskrise herbeizureden. Der Bundeszwang, den Wieland ins Spiel bringe, sei „bisher noch nie praktisch geworden“, sagte Degenhart dem „Handelsblatt“. Zudem müsse hier der Bundesrat zustimmen. Abgesehen davon sei ihm, Degenhart, nicht recht klar, welche „eigene Maßnahmen“ Bayern ergreifen könne. „Sicher könnte es nicht landeseigene Polizei einsetzen oder einen Grenzzaun errichten; daran ist auch sicher nicht gedacht“, sagte der Jurist. „Möglicherweise wird erwogen, die ankommenden Flüchtlinge – so wie Österreich dies macht – in andere Bundesländer weiterzuleiten, oder an anderweitige Maßnahmen, die nicht offen in die Zuständigkeiten des Bundes eingreifen“, so Degenhart weiter. In diesem Fall, fügte er hinzu, „erschiene mir doch der rechtsstaatlich einwandfreie Weg über das Gericht vorzugswürdig, zumal das Bundesverfassungsgericht in den europäischen Krisen seine Fähigkeit zum Krisenmanagement unter Beweis gestellt hat“.
Anders als Wieland beurteilt Degenhart auch eine mögliche bayrische Verfassungsklage gegen die Bundesregierung, deren Erfolgsaussichten er als nicht völlig aussichtslos bezeichnete. In der Tat sei der Schutz der Grenzen nach außen eine Aufgabe des Bundes, der diese aber eben auch für die Länder erfüllen müsse, weil deren Belange nachhaltig berührt sind, erläuterte der Jurist. Die Bundesgrenzen seien eben auch Landesgrenzen. Der Bund sei daher den Ländern gegenüber verpflichtet, seine Aufgaben im Rahmen seiner Zuständigkeiten wahrzunehmen. Dies festzustellen, könne Ziel einer Klage des Freistaats sein. Der Anspruch, so Degenhart, wäre dann auf den Grundsatz der Bundestreue zu stützen. Damit werde aber nicht etwa die Kompetenzordnung des Grundgesetzes ausgehebelt.
„Im Gegenteil, weil der Bund die Kompetenz hat, muss er sie auch wahrnehmen.“ Aus Wielands Sicht kann Bayern zwar eine Klage in Form eines Bund-Länder-Streits erheben. „Eine solche Klage hätte aber keine Aussicht auf Erfolg, weil der Schutz der Grenzen Deutschlands in die Zuständigkeit des Bundes, insbesondere der Bundespolizei fällt“, sagte der Jurist. Allein der Bund entscheide, wie er seine Aufgabe erfülle. Daran ändere auch der Grundsatz der Bundestreue nichts, der den Bund wie die Länder verpflichte, sich bundesfreundlich zu verhalten, also auf die Interessen der jeweils anderen Seite Rücksicht zu nehmen. „Die Bundestreue ermächtigt aber nicht dazu, die Kompetenzordnung zu überspielen“, betonte Wieland. „Das kann ein Land auch nicht unter Berufung darauf, die eigenstaatliche Handlungsfähigkeit zu erhalten.“