Kommentar Akif Pirincci als unfreiwilliger Mahner vor den Gefahren der Assimilation
Trotz seiner Bemühungen, durch Fäkalsprache und menschenverachtende Hetze gegen Muslime den richtigen Ton für sein Publikum zu treffen, wurde Akif Pirincci am Ende ausgebuht und musste sang- und klanglos von der Bühne verschwinden.
Wir können uns noch gut daran erinnern, wie groß die Aufregung war, als sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan – damals noch in seiner Funktion als Premierminister – bei seiner Rede in Köln 2010 an die türkische Einwanderercommunity gewandt hatte und betonte:
„Die Tatsache, dass Sie seit 47 Jahren Ihre Sprache, Ihren Glauben, Ihre Werte, Ihre Kultur bewahrt haben, vor allem aber, dass Sie sich gegenseitig stets unterstützt haben, diese Tatsache liegt jenseits aller Anerkennung. Ich verstehe die Sensibilität, die sie gegenüber Assimilation zeigen, sehr gut. Niemand kann von Ihnen erwarten, Assimilation zu tolerieren. Niemand kann von Ihnen erwarten, dass Sie sich einer Assimilation unterwerfen. Denn Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“
Kaum etwas illustriert – wenn auch unfreiwillig – in treffender Weise, wie wichtig und richtig diese Worte Erdoğans waren, als der würdelose Auftritt des Autors Akif Pirinçci am Montagabend bei den Rechtsextremen von Pegida in Dresden.
Pirinçci hat sich nicht nur mit seiner Hetze um Kopf und Kragen geredet, immerhin erwartet ihn nach seinem schlecht getarnten Plagiat der „Samenkanonen“-Rede des NPD-Politikers Udo Pastörs nicht nur ein Strafverfahren wegen Volksverhetzung, auch wird nach seinen wirren Anspielungen rund um die Konzentrationslager des Dritten Reiches seine frühere Verlagsgruppe seine einst erfolgreichen Kriminalromane nicht mehr weitervertreiben, die ihm in den 1980er und 1990er Jahren für einige Jahre einen Namen gemacht hatten.
Die größte Demütigung aber dürfte gewesen sein, dass er trotz seiner Bemühungen, durch Fäkalsprache und menschenverachtende Hetze gegen Muslime den richtigen Ton für sein Publikum zu treffen, am Ende ausgebuht wurde und sang- und klanglos von der Bühne verschwinden musste.
Der gestrige Auftritt war der bislang letzte Akt in dem unrühmlichen Gastspiel, das der nach seinen Erfolgen als Krimiautor wieder in der Versenkung verschwundene Akif Pirinçci seit 2012 in der extremen Rechten gegeben hat. Mit Essays wie „Das Schlachten hat begonnen“, in dem er behauptet hatte, entwurzelte Jugendliche aus dem städtischen Einwanderermilieu würden als Schläger und Vergewaltiger auftreten, um damit einen „muslimisch“ motivierten „Völkermord“ am deutschen Volk zu begehen, hat er sich in die in nicht besonders üppigem Ausmaß vorhandenen Herzen des Sarrazin- und „Islamkritik“-Publikums geschrieben.
Selbst gutbürgerlich auftretende Maßanzugträger und sich als besonders fromm inszenierende Christen fanden Gefallen an der Fäkalsprache des ehemaligen Starautors und hingen an seinen Lippen, wenn er von der überlegenen westlich-säkularistischen Herrenmenschenkultur sprach, die trotz ihrer Überlegenheit in akuter Gefahr wäre, von minderwertigen Muslimen verdrängt zu werden.
Die Bloggerin Kübra Gümüşay bemühte mit Blick auf Pirinçci oder andere Prominente aus Einwandererfamilien wie Necla Kelek, die ihren Ruhm in deutschen Medien ihren pöbelnden Angriffen gegen ihre Herkunftscommunity verdanken, den Begriff des „Haustürken“ – in Anspielung an die berühmte Rede „Message to the Grass Roots“, die der ehemalige US-Bürgerrechtler Malcolm X. 1963 in Detroit gehalten hatte und in welcher er assimilierte Afro-Amerikaner als „House Negros“ bezeichnete, die sich als die gelehrigsten Diener ihres Herren präsentieren wollen, im Unterschied zu den „Field Negroes“, die sich aktiv gegen ihre Unterdrückung auflehnten.
Pirinçci wurde 1959 in Istanbul geboren, 1969 kam er als Sohn einer Gastarbeiterfamilie nach Deutschland. Zu den Unterprivilegierten gehörte er sicher nicht. Im Unterschied zu den meisten Einwandererkindern bekam er offenbar nicht die übliche automatisierte Hauptschulempfehlung, sondern hatte die Chance, das Gymnasium und die Realschule zu besuchen. Er schaffte dennoch lediglich einen Hauptschulabschluss. Im Grunde also scheint er von sich selbst auf andere zu schließen, wenn er türkischen Einwandererkindern fehlenden Ehrgeiz und mangelndem Respekt vor dem deutschen Bildungswesen vorwirft.
Im Jahre 2013 trennte sich seine Ehefrau, mit der zusammen er einen Sohn hat, von ihm. Es ist ungewiss, inwieweit seine extrem frauenfeindliche Haltung auf persönliche Kränkungen zurückgeht. Entscheidend ist: Pirinçci, der türkischen Einwanderern vorwirft, sie wären, solange sie ein positives Verhältnis zu ihrer Herkunft aufweisen und am Islam festhalten, nicht integrationsfähig, hat sich in seinem Assimilationsprozess am selbst entwurzelten deutschen Lumpenproletariat orientiert und sucht auch heute noch den Anschluss an dieses.
Vom AfD-Politiker Björn Höcke, der selbst seiner Nähe zu Pegida und zum rechten Rand wegen in der Kritik steht, stammt der Ausspruch: „Der Mensch ist auf Orientierung hin angelegt. Entwurzelung und Entgrenzung überfordern die meisten Menschen und verunmöglichen Identifikation. Nur aus der Identifikation mit etwas resultiert ein Leben für etwas, das über das Elementar-Triebhafte und Selbstbezogene hinausgeht.“ Akif Pirinçci ist das beste Beispiel dafür, dass dieser Satz – unabhängig davon, wer ihn gesagt hat – richtig ist.
In einem deutschen Volkslied heißt es: „Vergesse nie die Heimat, wo deine Wiege stand. Du findest in der Ferne kein zweites Heimatland.“
Diese Liedzeile drückt nichts anderes aus als das, was Erdoğan damals in Köln deutlich gemacht und was auch heute noch die Herausforderung für jedes Kind aus einer türkischen Einwandererfamilie ist. Es ist Teil einer Überlieferungskette, die sich nicht nur auf die religiöse Tradition bezieht, sondern auf die familiäre Herkunft, das Umfeld, in dem es seine Kindheit verbringt, auf die Eltern, die Großeltern, manche in der Türkei, manche in Deutschland. Dies alles trägt zu seiner Identitätsfindung bei und diese kann oft ein wechselhafter, schmerzlicher oder anstrengender Prozess sein.
Der Staat kann und darf den Menschen nicht vorschreiben, wie ihre Identitätsfindung auszusehen hat. Es wird türkische Einwanderer geben, die sich von Beginn an von sich aus stärker mit dem deutschen Umfeld identifizieren können, mit dem sie aufwachsen. Es wird Einwanderer geben, die eine sehr starke innere Bindung an die türkische Heimat der Eltern oder Großeltern aufweisen. Es wird Einwanderer geben, die das Beste aus beiden Welten für sich suchen – und dies wird möglicherweise auch die sinnvollste Variante sein.
Manche entdecken ihre Wurzeln auch erst später oder machen sich auf die Suche nach diesen. Das alles muss in einer freien Gesellschaft möglich und legitim sein. Menschen ihre Identität vorschreiben zu wollen, ihnen die Vorstellungen einer gefühlten oder tatsächlichen Mehrheit aufzuzwingen oder sie in Loyalitätskonflikte zu drängen – wie dies alles mit Assimilation verbunden ist -, ist und bleibt ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Wertschätzung des Eigenen ist stets die Grundlage jeder Weltoffenheit – und zum Eigenen gehören für einen türkischen Einwanderer auch Jahrhunderte der Geschichte seines Herkunftsvolkes, seines Herkunftslandes und seiner Familie.
Wir wollen und wir werden aber – und auch dazu hat Recep Tayyip Erdoğan uns gemahnt – integrierte, gesetzestreue, fleißige und loyale Bürger sein, die zu Frieden, Wohlstand, Kultur und Menschlichkeit in diesem Land beitragen. Wir wollen ein funktionierendes Gemeinwesen mit aufbauen und damit eine Zukunft für spätere Generationen schaffen, die wiederum ihre Identität selbst finden werden. Damit unterscheiden wir uns aber auch von Leuten wie Akif Pirinçci oder den Pegida-Leuten, die in erster Linie zerstören wollen.
Wofür man Akif Pirinçci allerdings dankbar sein muss, ist, dass er mit seinem Beispiel – unfreiwillig – gezeigt hat, dass die Assimilation ein Irrweg ist, der am Ende allen schadet. Am allermeisten demjenigen, der sich assimiliert.