Berlin (dts) – Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen hält es für richtig, in der Flüchtlingskrise auch Schockfotos zu zeigen wie das des ertrunkenen syrischen Jungen. Zugleich begrüßt er die Debatte darüber. „Der aktuell laufende Bilderstreit im Journalismus ist schon ein Wert an sich, weil Redaktionen von der `Bild` bis zur `“Süddeutschen Zeitung“, vom „Handelsblatt“ bis zum „Stern“ ihre Maßstäbe offenlegen, ihre Entscheidung erklären und begründen müssen. Das ist, im Übrigen, ohnehin die einzige Möglichkeit, die Journalisten und allen, die verlinken und posten, in der gegenwärtigen Mediensituation bleibt: die transparente Begründung des eigenen Vorgehens, nicht aber die Verhinderung von Öffentlichkeit“, schreibt der Tübinger Professor am Sonntag in einem Gastbeitrag für das „Handelsblatt“.
„Denn wer wollte ein Foto unterdrücken, das längst global zirkuliert? Wer wollte tatsächlich unter den heutigen Bedingungen effektive Bildkontrolle praktizieren“, schreibt Pörksen weiter. „Das ist vorbei, denn wir leben im Zeitalter der barrierefreien Ad-hoc-Publikation, der weitgehend unkontrollierten Streuung von Daten und Dokumenten.“ Aus Sicht Pörksens offenbaren Publikationsentscheidungen heute nur noch, wie man sich die „öffentliche Sphäre“ wünsche, nicht aber, wie sie faktisch sei. Das Foto des ertrunkenen Jungen sei in diesem Zusammenhang ein Bild, das man sich anschauen müsse. „Denn Bilder können, richtig verstanden und eingeordnet, durchaus politisch werden und nach der ersten Schockwirkung eine andere Praxis initiieren.“
So habe das Foto des im Vietnamkrieg verletzten neunjährigen Mädchens, das vor einer Napalm-Wolke flieht, die Wahrnehmung des Krieges verändert. Pörksen nahm auch Bezug auf die Anschläge in den USA im September 2001: „Die Menschen, die in einem letzten Akt der Verzweiflung, aus den brennenden Twin-Towers am 11. September 2001 in den sicheren Tod springen, haben die Grausamkeit des Terrors in einem einzigen Bild verdichtet.“ Als weiteres Beispiel nannte der Medienprofessor die US-Folter im irakischen Gefängnis von Abu Ghraib. „Der `Kapuzenmann` aus Abu Ghraib und der nackte Häftling, der von der Soldatin Lynndie England an einer Hundeleine über den Gefängnisboden gezerrt wird, hat die Weltgemeinschaft entsetzt und dabei geholfen, die Folter zu beenden“, so Pörksen.