Ein Gastbeitrag von Michael Thomas
Eigentlich müsste Albanese, die UN-Sonderberichterstatterin für Menschenrechte, Jeanne d’Arc die Zweite genannt werden.
Sie hat bisher allen Anfeindungen stand- und keine ihrer Überzeugungen zurückgehalten und reitet dennoch mit ungebrochenem Sendungsbewusstsein gegen einen geradezu übermächtigen Feind, der aussieht, wie eine Kreuzung zwischen Rhinozerus und Skorpion – oder wie USA und Israel.
Francesca Albanese: Wenn alles neu wird
In einem Interview mit „The New Arab“, einem kleineren, aber sehr interessanten und ambitionierten Magazin, schlägt sie einen Bogen über die Gesamtheit ihrer Wahrnehmung.
Faszinierenderweise drückt sie aus, was ich seit längerem wahrzunehmen glaube: es gibt eine globale, regelrecht weltumspannende Veränderung, die über ihre ersten Anfänge hinaus nun zu einem höheren Maß an Zielstrebigkeit, Organisation und Wirksamkeit findet.
„Es geschieht etwas Außergewöhnliches. Länder in Lateinamerika, Afrika und Asien geben sich nicht länger damit zufrieden, am Rande der Weltordnung zu stehen.“
All die von ihr genannten Regionen, die seit jetzt Jahrhunderten von uns, dem industrialisierten Westen, mit mehr oder weniger brutalen wie perfiden Methoden zu Zapfstellen für Rohstoffe degradiert und zwangsweise zu Käufern unserer Produkte gemacht worden sind, genau diese Regionen entwickeln heute ein Bewusstsein, ein neues Selbstverständnis – und eine neue Selbsterkenntnis und -Identifikation.
Was „uns“, den Gewinnern aus dieser Vergangenheit, überhaupt nicht in den Sinn kommt, umfasst jedoch als Erkenntnis all jene, die immer in Ketten und vor den Läufen unserer Kanonen leben mussten: Palästina ist für sie ein Brennpunkt, in dem sie sich wiedererkennen, in dem sich wie in einem Brennglas ihre eigene Geschichte spiegelt – und sie daher zur Reaktion zwingt:
„Für den Globalen Süden ist die Unterstützung Palästinas kein Akt der Nächstenliebe – es ist politische Emanzipation.“
Mit jeder Patrone, die in Gaza gegen Palästinenser abgeschossen wird, steht in diesen historisch entrechteten Regionen ein weiterer Mensch auf, entschlossen, sich dem nun entgegenzustellen.
Albanese sieht den Irrtum, den wir hinsichtlich dieser neuen Bewegung begehen und erklärt uns, dass das Ziel nicht Umsturz, nicht gewaltsamer Exorzismus unserer Vertretungen aus ihren Ländern bedeuten wird und soll, sondern Neuausrichtung, Neudefinition, selbstbestimmte Partizipation und konsequente Durchsetzung internationalen Rechts.
Sie nehmen Palästina als Gehege wahr, über das sich fremde Mächte beugen und Entscheidungen über seine Menschen und Zukunft treffen …. ohne sie zu fragen. Natürlich klagt sie damit eine universelle Gültigkeit Internationalen Rechts ein und bemängelt damit, dass dies Recht momentan nur dem Geld, der Macht und den Waffen zur Verfügung steht und ganz nach Wunsch gewährt und angewendet oder versagt und verschwiegen wird.
„Dies ist ein historischer Moment, der mich an V wie Vendetta erinnert: Menschen vereinen sich nicht um Anführer, sondern um Werte und Solidarität. Und der globale Süden ist der Motor dieses Wandels.“
Dieser Trend ist nur moderier- und begleitbar, aber eine Einbahnstraße ohne Wendemöglichkeit. Es wird meiner persönlichen Meinung nach nicht und nie wieder gelingen, in die alten Verhältnisse zurückzufinden.
Wir haben als weiße, reiche Befehlshaber der Welt ausgedient, wir werden abzugeben und auf nicht unwesentliche Teile unseres Wohlstandes zugunsten derer, denen wir diesen entziehen, zu verzichten haben. Alle Wirtschaftsdaten flankieren Albaneses Wahrnehmung sowieso; die traditionell dominierenden Nationen, die die Herrschaft über Produktion und Märkte ausüben, verlieren Schritt für Schritt ihre Macht.
Allein die USA, mit ihrem erratischen und unberechenbar aggressiven Präsidenten an der Spitze, stehen mit mehr als nur einem Fuß über dem Abgrund eines Staatsbankrotts. Albanese sieht keine Weltrevolution, die zwangsläufig von ausufernden und flächendeckenden Kriegen begleitet werden müsste, sondern einen Übergang zu einer neuen Weltordnung, die moderiert und begleitet statt erbittert bekämpft werden muss.
Letztens wurde ich auf Ibrahim Traoré, den Präsidenten Burkina Fasos, aufmerksam, der eine immer wichtigere Stimme Afrikas darstellt, der immer besser zugehört wird. Er ist zwar nur einer von einigen Visionären, aber ein rhetorisch und didaktisch besonders talentierter Mann, dessen Ideen greifen und zunehmend Gewicht erlangen. Traoré spricht seine Zukunftsvision für Afrika konsequent und in aller Offenheit wie Öffentlichkeit an; er lehnt jeden ausländischen Knebelvertrag, jede externe Einflussnahme ab und fordert Verhandlungen auf Augenhöhe.
Albanese hingegen ist eine Seherin; sie fügt die richtigen Enden ihrer Wahrnehmung korrekt zueinander. Leider, muss man sagen, wird sie fokussiert nur wegen ihrer Sicht auf Israels totalem Krieg gegen Palästina wahrgenommen, aber ihre Sicht auf globale Themenzusammenhänge, die Sachzwänge und Handlungsbedarf generieren, müssen ebenso gehört und breitflächig diskutiert werden.
Sie versteht die besondere Bedeutung, das besondere Gewicht Palästinas gerade vor dem Hintergrund der globalen Entwicklung. Vielleicht ist das folgende auch das wichtigste, umfassendste Zitat aus dem Interview, auf jeden Fall aber programmatisch für die Zukunft:
„Das Völkerrecht muss neu geschrieben, nicht manipuliert werden. Und aus den Randgebieten der Imperien – aus dem jahrhundertelang zum Schweigen gebrachten Süden – kommt heute die Kraft, eine andere, gerechtere Welt zu schaffen.“
Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von NEX24 dar.
Zum Autor

ZUM THEMA
– Netanjahu-naher Kanal –
Israel: TV-Produzent fordert Gaskammern in Gaza
Er sprach sich außerdem für einen „grausamen und harten Tod“ für alle Bewohner des Gazastreifens aus, verwarf die Vorstellung von unschuldigen Zivilisten