Von Ada Chan
- Schwellenländer gelten aufgrund politischer Instabilität, schwächerer Regierungsführung und volatiler Konjunkturzyklen traditionell als risikoreicher, doch die fundamentalen Unterschiede zwischen Schwellen- und Industrieländern sind derzeit so gering wie nie zuvor.
- Die Industrieländer stehen trotz lockerer Geld- und Fiskalpolitik vor erheblichen Herausforderungen, darunter langsames Wachstum, steigende Anleiherenditen und Haushaltsbelastungen – wie in Großbritannien, Frankreich, Japan und den USA deutlich zu sehen ist.
- Anleihen aus Schwellenländern gewinnen das Vertrauen der Anleger zurück, wobei die Spreads gegenüber Anleihen aus Industrieländern auf dem niedrigsten Stand seit 2013 sind.
- Die Aktienmärkte haben diese Veränderung noch nicht reflektiert: Aktien aus Schwellenländern werden trotz geringerer politischer und governancebezogener Risiken und relativ besserer Wachstumsaussichten mit einem hohen Abschlag gegenüber Aktien aus Industrieländern gehandelt.
Schwellenländer gelten als das risikoreichere Ende der Aktienanlageklasse. Dieses Risiko wird auf eine Vielzahl miteinander verbundener Ursachen zurückgeführt: schwächere Regierungsführung und volatilere Politik, geringere wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit und extremere Wirtschafts- und Finanzzyklen. Sicherlich ist die Geschichte dieser Anlageklasse von Höhen und Tiefen geprägt, während die Schwellenländer-Anleihemärkte eine weniger erfreuliche Geschichte von Zahlungsausfällen aufweisen.
Die Kluft zwischen EM und DM ist so gering wie nie zuvor
Mit Blick auf die Welt im Jahr 2025 sind wir jedoch der Meinung, dass die Kluft zwischen den Fundamentaldaten der entwickelten Märkte und der Schwellenländer historisch gesehen gering ist, vielleicht sogar so gering wie nie zuvor.
In Großbritannien, wo wir unseren Sitz haben, steigen die Renditen langfristiger Anleihen angesichts des chronisch langsamen Wirtschaftswachstums und des klaffenden Haushaltsdefizits. Das reale verfügbare Einkommen ist seit 2008 nur um annualisiert 0,6 % gewachsen. Trotz einer extrem lockeren Geld- und Fiskalpolitik wird für 2025 ein BIP-Wachstum von nur 1,2 % prognostiziert.
In Frankreich steht der dritte Premierministerwechsel innerhalb von 18 Monaten bevor, ohne dass ein politischer Konsens darüber besteht, wie die übermäßige Staatsverschuldung (derzeit 114 % des BIP) und das hohe Haushaltsdefizit angegangen werden sollen.
In Japan hat die Inflation den Druck auf die Staatsverschuldung kurzfristig gemildert, aber insgesamt bleiben die Staatsfinanzen extrem angespannt.
Die USA sind natürlich aus Währungssicht der ultimative entwickelte Markt, aber die inflationären Auswirkungen von Zöllen und Zweifel an der Entschlossenheit der Regierung, eine inflationsorientierte Geldpolitik zu betreiben, belasten ebenfalls die Märkte. In allen wichtigen entwickelten Märkten ist zu beobachten, dass die Renditen langfristiger Anleihen steigen, obwohl sich die Wachstumsaussichten verschlechtern.
Viele Schwellenländer verzeichnen hingegen entweder ein geringeres Wachstum und eine niedrigere Inflation oder ein höheres Wachstum und eine höhere Inflation, aber mit einem klaren Bekenntnis zu Inflationszielen.
Anleiheinvestoren beobachten dies aufmerksam: Der JP Morgan EMBI Global Index für auf US-Dollar lautende Staatsanleihen aus Schwellenländern wird mit dem niedrigsten Spread gegenüber Anleihen aus Industrieländern seit 2013 gehandelt.
Auch die Kreditnehmer reagieren: Verschiedene stärker verschuldete Grenzmärkte versuchen, ihre auf US-Dollar lautenden Schulden in chinesische Renminbi umzuwandeln, um von den niedrigeren Renditen zu profitieren.
Aussichten für Aktien sind positiv
Aktienanleger vertreten hingegen eine andere Ansicht. Das 12-Monats-Kurs-Gewinn-Verhältnis des MSCI World (der Aktienindex für Industrieländer) ist auf 21,6 gestiegen, während der MSCI EM Index nur bei 14,3 liegt.
Dieser Bewertungsabschlag von 33,9 % für Schwellenländer liegt deutlich unter dem langfristigen historischen Durchschnitt von etwa 20 %. Und das, obwohl die BIP-Wachstumsprognosen des IWF für die G7 auf den niedrigsten Nicht-Krisenwert seit 2002 gefallen sind.
Als Team von Schwellenländerinvestoren, dessen Erfahrung bis in die 1990er Jahre zurückreicht, sind wir uns der internationalen und nationalen politischen Risiken in Schwellenländern sehr bewusst.
Im letzten Jahr gab es einen Putschversuch in Korea, einen militärischen Konflikt zwischen Indien und Pakistan, überall schwierige Schlagzeilen zu Zöllen und Handel sowie die gerichtlich angeordnete Absetzung des thailändischen Premierministers nach weniger als einem Jahr im Amt.
Wir sind jedoch der Ansicht, dass die Kluft zwischen den politischen und governancebezogenen Risiken in Schwellen- und Industrieländern so gering ist wie nie zuvor. Die Anleihemärkte nehmen dies zur Kenntnis, die Aktienmärkte hingegen noch nicht. Wir bleiben sehr positiv hinsichtlich der Aussichten für Aktien aus Schwellenländern.
Ada Chan, Fonds Managerin bei J O Hambro
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