Ein Gastkommentar von Michael Thomas
Wer immer sie heute noch propagiert, hat entweder den Anschluss an die Realität verloren oder will Israel in die Hand spielen.
Denn soviel ist sicher: immer dann, in den vergangenen dreißig Jahren und mehr, wenn Ansätze zu ernsthafteren Verhandlungen zur Schaffung eines palästinensischen Staates diskutiert wurden, preschte Israel mit dem unverzichtbaren Anspruch vor, „Nur ohne Vorbedingungen!“ verhandeln zu wollen, was immer alle Gespräche unverzüglich beendete.
Denn selbstverständlich würde die Schaffung eines Staates Palästina nur möglich sein, wenn Israel alle seiner „Siedlungen“ vollständig und restlos an die Palästinenser übergeben und alle israelischen Staatsbürger zurück nach Israel bringen würde.
Ein kurzer Blick auf die moderne Karte überzeugt jeden sofort, dass ohne diesen Schritt kein lebensfähiger Staat entstehen könnte. Das ist eine unverzichtbare Vorbedingung. Auf den Vollzug dieser Bedingung hat Palästina gemäß UN-Gründungscharta ein verbrieftes Recht; seit Jahrzehnten ist die Existenz der „Siedlungen“ bekanntermaßen und völlig unstrittig ein massiver Bruch des Völkerrechts, der von der Welt immer schweigend hingenommen wurde. Es hätte nie zum Bau dieser „Siedlungen“ kommen dürfen.
Aber angenommen, die Welt, die UN, würde sich heute dazu entscheiden, Israel zur Aufgabe der „Siedlungen“ zu zwingen, hätte dies den Rückzug von ca. 600.000 Menschen nach Israel zur Folge. Vor dem Hintergrund der aktuellen und in weiter Zukunft weiterbestehenden, massiven, wirtschaftlichen Probleme Israels würde aus dem Land schnell ein „failed state“ in höchster, wirtschaftlicher Not, während ein Palästina entstünde, das ebenfalls zu nichts irgendwelche Mittel zur Verfügung hätte.
Administration, Infrastruktur, geregeltes Staatswesen bekommt man weder zum Nulltarif, noch in kurzer Zeit. Beide Länder versänken in Problemen. Dazu käme, dass der Gaza-Streifen als Teil eines palästinensischen Staates ein geografisch weit abgesprengtes Teilstück wäre, was eine Staatsbildung zusätzlich erschweren würde. Hierzu gäbe es die Idee eines „land swap“; man würde auf dem Verhandlungswege einen Landtausch vereinbaren, der sowohl aus Palästina, als auch aus Israel jeweils ein Land „an einem Stück“ machen könnte.
Das halte ich persönlich für nur wenig aussichtsreich, da sich die Qualität des Bodens innerhalb der fraglichen Gebiete erheblich unterscheidet und jede Seite um die besten Stücke kämpfen würde.
Solange die Welt nicht einsieht, dass sich die Entstehung des modernen Israels dramatisch von der einst in der UN-Charta projektierten Idee entfernt und durch geduldete Verbrechen und Verstöße pervertiert hat, solange werden und müssen die blutigen Kämpfe weitergehen.
Heute hat sich der Staat Israel zu einem religiös-faschistischen Monstrum entwickelt, das sich weiter ausdehnen und alle Grenzen der Menschlichkeit sprengen will. Wir wissen alle, dass das vermeidbar gewesen wäre. Aber nun haben wir eine Realität, die dringlich „repariert“ werden muss.
Da de facto nie ein palästinensischer Staat entstehen wird, der überleben könnte, müssen meiner Meinung nach alle Regierungs- und Machtverhältnisse beider Seiten vollständig aufgelöst und vorübergehend seitens der UN einer Verwaltung von Technokraten unterstellt werden.
Nötigenfalls muss zur Durchsetzung auch Gewalt angewendet werden. In dieser Zeit verschmelzen die Grenzen zu einem einheitlichen Staatsgebilde und erhalten eine einheitliche, konsequent säkulare oder gar laizistische Gesellschaftsordnung und Verfassung.
Alle Bürger erhalten unterschiedslos alle Rechte und staatsbürgerliche Pflichten. Jeder hat volle Freizügigkeit, alle religiös geprägten Regeln, Gesetze und Vorschriften wandern ins Private und haben keinerlei öffentliche Bedeutung. In dieser Übergangszeit von vielleicht zehn Jahren kann sich ein demokratisches Parteiengefüge finden, das dann mit erster Wahl eine eigenständige Regierung bestimmt und mit einem zeitlich abgestuften Plan Stück für Stück in die Selbständigkeit entlassen werden kann.
Wenn Israels Juden argumentieren, die arabische Geburtenrate sei zu hoch und sie würden eines Tages die Juden in Israel erdrücken, so liefe dies Argument dann gegen Null: ein beruhigtes, friedliches Zusammenleben erhöht nach allen demografischen Erkenntnissen erstens die Geburtenzahl, da es eine sichere und planbare Zukunft gibt, und wäre zweitens somit überaus attraktiv für neuen Zuzug von Juden.
Dazu kommt, dass es natürlich nach keinem Recht der Fall sein darf, dass eine schwindende, aber elitäre Minderheit zwingend eine Mehrheit regieren , geschweige denn beherrschen darf.
Meiner persönlichen Meinung nach sind die seit Generationen währenden, blutigen Auseinandersetzungen anders nicht zu beenden. Wählt man einen anderen Weg, sind die nächsten, großformatigen Kriege und Terroranschläge für weitere Generationen vorgezeichnet. Nur ein Staat, der sich darauf besinnt, dass Juden, Muslime und Christen jahrhundertelang friedlich und problemlos koexistiert, miteinander gearbeitet, gelacht und gefeiert haben, hat auch eine Zukunft.
Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von NEX24 dar.
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