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Geschichte: War Germanen-Gott Odin ein Türke?

Im Jahr 2020 entdeckte ein Sondengänger in Vindelev, einem Dorf in Mitteljütland in Dänemark, einen spektakulären Goldschatz aus der Mitte des 5. Jahrhunderts

„Der himmelsgleiche, vom Himmel geborene türkische Bilge Kağan…“ So beginnt das alttürkische Runendenkmal aus dem 8. Jahrhundert aus der Mongolei. (Foto: Çağıl Çayır)
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von Çağıl Çayır

Im Jahr 2020 entdeckte ein Sondengänger in Vindelev, einem Dorf in Mitteljütland in Dänemark, einen spektakulären Goldschatz aus der Mitte des 5. Jahrhunderts, also genau aus der Mitte der Völkerwanderungszeit.

Die älteste Odin-Inschrift

Unter den insgesamt 23 Fundstücken sind die bisher größten und am besten gefertigten Goldscheiben, die je gefunden wurden. Die meisten dieser sogenannten Brakteaten sind mit Runen beschriftet. Eine der goldenen Runeninschriften wurde im Frühjahr 2023 als bisher älteste Odin-Inschrift identifiziert. Dadurch wird das Alter des Odinkults 150 Jahre vor den sonst ältesten Beleg datiert.

[„Er ist Odins Mann“ lautet die Übersetzung der Runeninschrift auf der Goldscheibe von Vindelev. Foto: Vejler Museen (CC BY 4.0)]

Die älteste Herkunftslegende

Die älteste und wichtigste schriftlich überlieferte Legende zur Herkunft des Odinskults stammt aus dem 13. Jahrhundert aus Island. Der altisländische Skalde und Historiker Snorri Sturluson schreibt in seinem Skaldenlehrbuch „Edda“ und in seinem Königsbuch „Heimskringla“, dass Odin aus Asien, aus dem Land der Türken stammt, also ein Türkenkönig (Tyrkja konungr) war:

Odin besaß wie seine Frau die Sehergabe, und aus seinen Visionen erfuhr er, daß sein Name oben in der Nordhälfte der Welt bekannt sein würde und daß er darüber hinaus von allen Königen geehrt würde. Aus diesem Grund wollte er seine Reise von Tyrkland antreten. Er führte eine große Gefolgschaft mit sich, junge und alte Menschen, Männer wie Frauen, die viele wertvolle Dinge bei sich hatten. Und in den Ländern, durch die sie zogen, erzählte man viel Ruhmreiches über sie, so daß sie Göttern ähnlicher als Menschen schienen. Sie unterbrachen ihre Fahrt nicht eher, als bis sie nordwärts in das Land kamen, das heute Sachsen genannt wird. Dort blieb Odin lange Zeit und nahm das Land weit und breit in Besitz. (Snorri Sturluson, Edda, 13. Jh., Reykjavík, Island)

Doch infolge der Christianisierung Europas wurden Odin und die Türken seitens der kirchlichen Missionare dämonisiert. Der Odinskult wie auch dessen Herleitung von den Türken wurden nachwirkend verdrängt und durch eine anderweitige Herkunftsforschung folgenschwer ersetzt.

Neuer Fund gibt entscheidende Hinweise

Erst in unser Zeit werden die gemeinsamen Herkunftslegenden und die lange Vorgeschichte der interkulturellen Kontakte über den eurasischen Steppengürtel wiederentdeckt. Für die Völkerwanderungszeit geht die norwegische Archäologin Lotte Hedeager von einem maßgeblich hunnischen, sprich zentralasiatischen Einfluss in Skandinavien aus. In diese Richtung weist auch die neu gefundene Goldscheibe von Vindelev.

[(Ausschnitt) Typische Merkmale der eurasischen Steppenreiter auf der Goldscheibe von Vindelev. Foto: Vejler Museen]

Die Inschrift umkreist das Bild eines Reiters mit langen, geflochtenen Haaren, auf einem geschmückten Pferd. Daneben ist eine Swastika und ein sogenannter Torque zu sehen, der ebenso wie die anderen Elemente auf dem Brakteat zur regulären alttürkischen Tracht, Kunst und Kultur gehörte. Folglich haben Odin und seine Gefolgschaft mehr als nur ihren Volksnamen mit den Türken gemeinsam.

An dieser Stelle gilt es auch an die Worte von Peter Frederik Suhm, dem bedeutendsten dänisch-norwegischen Historiker des 18. Jahrhunderts, zu erinnern. Dieser große Akademiker rollte ähnlich wie der schwedische Nationalhistoriker Sven Lagerbring, entgegen jeglicher Vorurteile seiner Zeit, die Frage nach dem Türkenmythos auf:

Indessen könnte auch dieser Türkenname eine allgemeine Benennung für alle diejenigen gewesen seyn, die diesen Odin begleiteten, für Gothen und Asen sowohl als für die Wanen: denn ich finde in Langfedgatal, dass man Odin den König der Türken nannte, und eben so wird auch Yngwe der Vater Niords, von dem Geschichtsschreiber Are genannt. Der Name Türk scheint noch überdies entweder ein Ehrenname für mehrere Völker, oder auch ein allgemeiner Name für alle umherziehende, oder für Nomaden, gewesen zu seyn.

(Peter Frederik Suhm, Die Geschichte der Dänen, 1, 1, übersetzt von Friedrich David Gräter, Leipzig 1803, 28f.)

Tatsächlich werden auch sein berühmtes Pferd, Sleipnir, sowie der Weltenbaum, Yggrdasil, und sogar die religiösen Eigenschaften von Odin selbst durch direkte Kontakte mit sibirischen Schamanen erklärt.

In Sibirien und der Mongolei werden seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts auch türkische „Runen“ entdeckt. Das berühmteste Denkmal stammt aus der Mongolei und wird ins 8. Jahrhundert datiert. Dabei handelt es sich um einen „ewigen“ Gedenkstein für den „weisen“ türkischen König, Türk Bilge Kağan.

In dem Denkmal offenbart sich der türkische König, ebenso wie Snorri Odin beschreibt, als gottgleich und gottgesandt. Somit finden Snorris Beschreibungen über Odin und die Türken erstaunlich treffende Entsprechungen in den frühen Türken. Den sogenannten Kök- oder Göktürken, was übersetzt „Türken des Ostens“, „Blaue-“ oder „Himmels-Türken“ bedeutet. Diese gründeten im 6. Jahrhundert in der heutigen Mongolei ein Großreich, das bis zum Schwarzen Meer reichte und bald großen Ruhm bis nach Byzanz erlangte.

Dabei gelten die Göktürken als Nachfahren der Hunnen. Dadurch treten die Hunnen, wie es auch Lotte Hedeager grundsätzlich behauptet, als verbindendes Element zwischen Ost und West, Asien und Europa, Sibirien und Skandinavien, Odin und den Türken hervor. Wenn nicht schon ihre Vorfahren mitunter bis zur Zeit der sogenannten Venusfiguren vor mehr als 35.000 Jahren den Kulturkontakt zwischen Sibirien und Spanien pflegten.

Mehr zum Thema im Interview mit Bonner Germanistik Professor Arnulf Krause

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Fazit

Die Goldscheibe von Vindelev zeugt von wesentlichen Gemeinsamkeiten zwischen der altnordischen und alttürkischen Kultur. Da inzwischen auch turksprachige und mongolische Überlieferungen zur Erläuterung der altnordischen Archäologie und Mythologie gebraucht werden, ist ein engerer und tieferer historischer Zusammenhang zwischen den Kulturen anzunehmen als in der vergangenen Jahrhunderten bekannt war. Dadurch eröffnet sich ein neuer Horizont für die Selbstfindung und Begegnung der Kulturen in der Wissenschaft und Gesellschaft.


Çağıl Çayır studierte Geschichte und Philosophie an der Universität zu Köln und ist als freier Forscher tätig. Çayır ist Autor von „Runen in Eurasien. Über die apokalyptische Spirale zum Vergleich der alttürkischen und ‚germanischen‘ Schrift‘“ und ist Gründer der Kultur-Akademie Çayır auf YouTube. Seine Arbeiten wurden international in verschiedenen Fach- und Massenmedien veröffentlicht.


 

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