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Türkei
Waldbrände und Verschwörungsideologen

Seit fünf Tagen halten verheerende Waldbrände die Türkei in Atem. Über 112 Brandherde entlang der Mittelmeerküste wurden bislang registriert. Viele Waldbrände konnten unter Kontrolle gebracht werden. Neue Brandherde schüren aber die Ängste in der Bevölkerung immer weiter, auch weil es mittlerweile sieben Todesopfer gibt.

(Foto: nex24)
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Ein Gastbeitrag von Nabi Yücel

Seit fünf Tagen halten verheerende Waldbrände die Türkei in Atem. Über 112 Brandherde entlang der Mittelmeerküste wurden bislang registriert. Viele Waldbrände konnten unter Kontrolle gebracht werden. Neue Brandherde schüren aber die Ängste in der Bevölkerung immer weiter, auch weil es mittlerweile sieben Todesopfer gibt.

Cem Özdemir und weitere Politiker mit türkischem Migrationshintergrund erklären jedoch, diese Ängste würden von der eigenen Regierung geschürt, die Sündenböcke suche.

Seit Jahren wütet die Jugendorganisation der völkisch-kurdischen Terrororganisation PKK, „Ateşin Çocukları“, in der Türkei. In Guerilla-Taktik sabotiert diese seit 2016 agierende Gruppe im Namen des Terrorfürsten Abdullah Öcalan. Vor allem die Führungsriege der PKK spornt junge Menschen an, sich an Sabotageaktionen zu beteiligen oder durchzuführen, um die türkische Regierung unter Druck zu setzen.

(Screenshot/Twitter)

In den 1990’er Jahren setzte der ehemalige Kommandeur der PKK, Şemdin Sakık, erstmals ein Zeichen, wie man gegen die Türkei vorgehen müsse, wenn die eigenen Kräfte zu schwinden drohen:

„Wenn uns die Waffen ausgehen, wenn unsere Zahl sich verringert, gehen wir nach Bodrum und brennen die Yachten ab. Kommen runter nach Antalya und brennen die Gewächshäuser nieder. Gehen nach Istanbul und brennen Autos nieder. Erreichen Izmir und brennen die Wälder nieder.“

Auch damals erlitt die Terrororganisation schwere Verluste, musste sich zurückziehen und setzte stattdessen auf die Taktik, junge Menschen als Brandstifter anzuwerben.

Zweideutig und überaus vorsichtig drückte sich dagegen der ehemalige Co-Vorsitzende der völkisch-kurdischen Partei HDP, Selahattin Demirtaş, während einer Wahlkampfrede im September 2015 aus, als er erklärte, Bodrum sei nicht weit von Cizre entfernt – der für sich beanspruchten kurdischen Region. Man müsse alles daran setzen, damit das „Feuer in Cizre nicht nach Bodrum“ überspringt. Wie diese Rede dann umgesetzt wurde, konnte man zwischen Ende 2015 und Anfang 2016 während der gewalttätigen Kämpfe in den Städten im Südosten beobachten.

Seit mehr als zwei Jahren häufen sich Fälle, in der der Feuerteufel landesweit wieder zuschlägt. Von Umspannwerken bis Yachten und Unternehmen, die Brände treffen nahezu alles. Das bleibt auch unter der türkischen Bevölkerung nicht unbemerkt. Zudem übernehmen die „Ateşin Çocukları“ die Verantwortung für die Brände und veröffentlichen regelmäßig Pressemitteilungen.

Allein im vergangenen Monat übernahmen die „Ateşin Çocukları“ die Verantwortung für den:

Brandanschlag auf ein Restaurant in Istanbul-Esenyurt am 30. Juli.
Brandanschlag auf 12 Boote in Istanbul-Maltepe am 26. Juli.
Brandanschlag am PKW von İsa Karakaş in Konya am 24. Juli.
Brandanschlag vom 19. Juli auf die Yacht „ACD“ in der Provinz Muğla in Bodrum.
Brandanschlag in der Provinz Balıkesir in Edremit am 14. Juli, bei der ein Boot von Ergün Ağa in Flammen aufging.
Brandanschlag vom 11. Juli, bei der in der Provinz Afyonkarahisar bei Sandıklı 1.000 Ballen Stroh niedergebrannt wurden.
Brandanschlag in der Provinz Gaziantep in Derman, bei der am 10. Juli eine Lederfabrik in Rauch aufging.
Brandanschlag gegen einen Tanker in Istanbul-Maltepe am 9. Juli.

Bei vielen Türken bleibt der große Waldbrand in Hatay, bei der im Oktober 2020 über 3.500 Hektar Wald in Rauch aufgingen und mehrere Städte und Dörfer direkt betroffen waren, unvergessen. In diesem Zusammenhang wurden zwei Personen verhaftet, die seit April 2021 vor Gericht stehen. Die Staatsanwaltschaft wirft den beiden Personen vor, Mitglied in der Terrororganisation PKK zu sein und fordert bis zu 17 Jahre Haft.

Offenbar reagierten die beiden Angeklagten auf den Aufruf des Führers und Vorsitzenden der „Koma Civakên Kurdistan“ (KCK – der neuen Organisationsform der PKK) Murat Karayilan, der in einem Manifest vom 22. Juni 2020 die Menschen aufrief, sich nicht aufzugeben:

„Kein Jugendlicher ist hilflos. 2 – 3 junge Menschen können zusammenkommen und aktiv werden. […] Sie können „wir haben keine Waffen“ sagen. Aber ihre Waffe sind Feuerzeuge und Streichhölzer.“

Dieses Manifest kam zu einer Zeit, in der die Terrororganisation PKK in der Türkei schwere Verluste hinnehmen musste. Vor allem litt auch ihr Ansehen unter den verbliebenen Anhängern, weil die Autonome Regionalverwaltung Kurdistan im Nordirak, die PKK aufforderte, sich aus den territorialen Gebieten der Autonomiebehörde zu entfernen.

Angesichts der Vorgeschichte zu den Waldbränden und den Brandanschlägen, die seit Jahren im ganzen Land Hab und Gut, Land und Leute treffen, klingt es wie ein Hohn, wenn der Grünen-Politiker Cem Özdemir in einem Twitter-Beitrag erklärt, die türkische Regierung suche nach Sündenböcken und zaubere die Terrororganisation PKK aus dem Hut.

Nein, die türkische Bevölkerung sucht selbst nach Antworten, darauf, wie in nur einem Tag mehrere Brandherde in unterschiedlichen Regionen und zeitnah ausbrechen konnten. In der Zeitachse stechen dabei besonders die Brandanschläge in der jüngsten Vergangenheit ins Auge, was der Bevölkerung nicht entgangen ist. Zudem gibt es überzeugende Berichte, wonach vereinzelte Brandherde bewusst gelegt wurden, örtliche Einwohner die Brandstifter in der Nacht suchten oder sogar gestellt haben. Davon berichtet zumindest der Bürgermeister der Stadt Fethiye, einer Hochburg der Oppositionspartei CHP, wie nahezu die gesamte Mittelmeerküste.

Die türkische Regierung hat sich bislang zu den Bränden und Hintergründen nicht geäußert. Es wurde lediglich eingeräumt, dass die Untersuchung der Waldbrände umfänglich und in alle Richtungen gehe – auch in Richtung der PKK. Von einem Sündenbock, wie Cem Özdemir es konstatierte, kann also keine Rede sein.
Wenn dieser Begriff aber verwendet wird, sollte der Grünen-Politiker erst einmal sich selbst reflektieren, schließlich hat er für alles und jeden einen Sündenbock parat. Während seines Auftritts im Oktober 2015 im MHP-Arena in Ludwigsburg, war der Sündenbock Cem Özdemirs der jetzige türkische Präsident und jene die ihn in Deutschland wieder wählen würden. In seiner Wahlkampfrede für die völkisch-kurdische Partei HDP, hinter wehenden Fahnen der PKK, suchte Özdemir deshalb Sündenböcke am laufenden Band, das bis heute anhält.


Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.


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