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Der Platz und die Rolle der deutschen Lutheraner in Aserbaidschan

Der Platz und die Rolle der deutschen Lutheraner in der Konzeption der Koexistenz und Toleranz in Aserbaidschan. Ein Gastbeitrag von Agshin Akhundov - Stellvertretender Leiter der Abteilung für Internationale Beziehungen.

(Foto: Wikimedia)
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Ein Gastbeitrag von Agshin Akhundov

Die Republik Aserbaidschan, die im Südkaukasus liegt, grenzt im Norden an Russland (Dagestan), Georgien, im Westen an Armenien, die Türkei und im Süden an den Iran.

Aserbaidschan, das immer in Frieden und Freundschaft mit den Nachbarländern gelebt hat, litt seit fast 30 Jahren unter armenischer Aggression. Von 1989 bis 1993 wurden Bergkarabach und angrenzende Verwaltungsregionen der Republik Aserbaidschan: Latschin, Kalbajar, Qubadli, Zangilan, Jabrayil, Agdam (der größte Teil des Bezirkszentrums und -gebiets), Fizuli (der größte Teil des Bezirkszentrums und -gebiets) von Armenien besetzt.

Darüber hinaus haben Armenier einen Völkermord an Aserbaidschanern begangen – in Chodschali wurden in einer Nacht 613 unserer Landsleute mit besonderer Grausamkeit getötet und Verstümmelungen an den Leichen vorgenommen. Während des Massakers wurden alle Mitglieder 8 Familien getötet, 25 Kinder beider Elternteile, 130 Kinder eines ihrer Elternteile beraubt, 487 Personen in Chodschali schwer verletzt und 1275 Menschen als Geiseln genommen. Über 1 Million Aserbaidschaner wurden aus ihren Häusern vertrieben.

Obwohl verschiedene internationale Organisationen, einschließlich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, die Aggressionspolitik Armeniens verurteilte und vier Resolutionen zur Befreiung der besetzten Gebiete verabschiedete, hat Armenien nicht auf seine aggressive Politik verzichtet, sondern regelmäßig gegen den Waffenstillstand verstoßen und Militärangehörige sowie Zivilisten getötet. In den Gebieten Aserbaidschans, die besetzt wurden, gibt es mehr als tausend historische, kulturelle und religiöse Denkmäler, darunter etwa 70 Moscheen und Hunderte christlicher (albanischer) Tempel. Fast alle von ihnen wurden zerstört, in Schweineställe verwandelt, beleidigt oder armenisiert. Daneben wurden Tausende unserer historischen und kulturellen Denkmäler auf dem Gebiet des heutigen Armeniens zerstört.

Obwohl mehr als eine Million Aserbaidschaner aus ihrer Heimat vertrieben wurden und Tausende unter Terror gelitten haben, ist eine Diskriminierung von mehr als 30.000 in unserem Land lebenden Armeniern nicht gestattet. Trotz der Zerstörung vieler unserer religiösen, kulturellen und historischen Denkmäler durch armenische Streitkräfte während der Besatzungszeit von fast 30 Jahren ist die armenische Kirche im Zentrum von Baku vom aserbaidschanischen Staat geschützt. Allein diese Tatsachen sind ein klarer Beweis für die tolerante und multikulturelle Moral des aserbaidschanischen Staates und der Bevölkerung.

Infolge der militärischen Angriffe, die die armenische Seite vom 27. September bis zum 10. November vergangenen Jahres durchgeführt hat, waren Siedlungen außerhalb der Konfliktzone Aserbaidschans sowie historische und religiöse Denkmäler regelmäßig Raketenangriffen ausgesetzt. Infolgedessen wurden insgesamt etwa 100 Zivilisten (darunter Kinder und Frauen) getötet. Aserbaidschan tolerierte die langfristige Aggression Armeniens nicht und führte erfolgreiche Gegenoffensivoperationen durch. Infolgedessen erlitt Armenien eine schwere Niederlage und die besetzten historischen Gebiete Aserbaidschans wurden aus der armenischen Okkupation befreit.

Am 10. November unterzeichneten die Präsidenten von Aserbaidschan, Russland und der armenische Premierminister eine gemeinsame Erklärung über einen Waffenstillstand.

Bald wird Aserbaidschan Bauarbeiten in den befreiten Gebieten durchführen, einschließlich der Restaurierung aller historischen und religiösen Denkmäler. Merkmale der historischen Entwicklung Aserbaidschans, seiner geografischen Lage und der ethnischen Zusammensetzung seiner Bevölkerung schufen die Bedingungen für die Existenz verschiedener Religionen auf diesem Gebiet. Zu verschiedenen Zeiten konnten sich Zoroastrismus, Judentum, Christentum, Islam und viele andere religiöse Richtungen auf die eine oder andere Weise im Land ausbreiten und miteinander interagieren. Heute gestaltet sich die konfessionelle Struktur der Bevölkerung Aserbaidschans folgendermaßen: 96 Prozent Muslime, vier Prozent Christen, Juden, Bahai, Krishna-Anhänger und Vertreter anderer Religionen. Historisch betrachtet war Aserbaidschan ein multikulturelles und tolerantes Land, und der Multikulturalismus hatte sich zu einem Lebensstandard entwickelt.

Die aserbaidschanische Regierung hat große Projekte umgesetzt, um die ethnische und kulturelle Vielfalt in der Gesellschaft zu bewahren. Zurzeit sind 955 religiöse Organisationen im Land registriert. In Aserbaidschan gibt es 2250 Moscheen, 14 Kirchen, 7 Synagogen und Dutzende religiöser Schulen.

Ankunft deutscher Familien in Aserbaidschan

Die Deutschen zogen Anfang des 19. Jahrhunderts nach Aserbaidschan. Sie ließen sich vor allem in den Bezirken Göygöl, Agstafa, Tovuz und Schamkir nieder. Nachdem sie mehr als 120 Jahre in Aserbaidschan gelebt hatten, wurden sie nach Sibirien und Kasachstan deportiert, als die UdSSR in den Zweiten Weltkrieg eintrat.

Es sei darauf hingewiesen, dass die Umsiedlung von Deutschen im Kaukasus mit der Besetzung Aserbaidschans durch das zaristische Russland verbunden ist. Nach dem Vertrag von Gulistan, der die Aufteilung der aserbaidschanischen Gebiete zwischen dem Iran und Russland ermöglichte, begann Russland eine Siedlungspolitik und schlug die Neuansiedlung der europäischen Völker im Kaukasus vor.

Historikern zufolge hatte die Umsiedlung von Deutschen in den Kaukasus zwei Gründe: sozioökonomische und religiöse. So erschöpften die Kriege des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts das deutsche Volk und verursachten ernste soziale Probleme. Aus diesem Grund haben sie sich anderen Gebieten zugewandt. Der Hauptgrund, warum die Deutschen den Kaukasus wählten, war jedoch die Religion. Die meisten Familien, die nach Aserbaidschan kamen, waren diejenigen, die die Lehren der offiziellen lutherischen Kirche in Deutschland nicht annahmen und an die 1000-jährige Herrschaft Jesu Christi glaubten.

Einige deutsche Familien wurden im Dorf Khanliklar (bekannt als Sommerresidenz der Khane von Gandscha) untergebracht, wo die lokale Bevölkerung die Herrschaft des zaristischen Russlands nicht akzeptierte und in osmanische oder iranische Gebiete zog. Der andere Teil wird in Vororten von Schamkir untergebracht. Die deutsche Kolonie (eine bäuerliche Siedlung) wurde im Dorf Khanliklar gegründet. Die erste 1819 im Gebiet des heutigen Göygöl gegründete Kolonie erhielt den Namen Helenendorf nach der Schwester Alexanders I. Später wurde eine zweite deutsche Kolonie, Annenfeld (heute Schamkir), 40 km von Helenendorf entfernt gegründet.

Die Siedler arbeiteten hart und geschickt in ihren neuen Häusern, Ländereien und Dörfern und einige von ihnen sind immer noch in gutem Zustand. Beispiele sind St. Johanniskirche in Helenendorf (Göygöl) oder Lutherische Kirche in Annenfeld (Schamkir). Die lutherischen Einwanderer zeichneten sich durch ihre besondere Religiosität aus und schätzten die Bewahrung von Traditionen. Der Weinbau und damit die Weinherstellung wurden zur Hauptbeschäftigung in diesen Kolonien. Deutsche Winzer betrieben Geschäfte in 39 Provinzen des Russischen Reiches. Helenendorf lieferte binnen einem Jahr 15 Prozent der Weinproduktion von Deutschland.

Viele deutsche Einwanderer begrüßten die Unabhängigkeit der Demokratischen Republik Aserbaidschan, die am 28. Mai 1918 ausgerufen wurde. Die verabschiedete Verfassung garantierte auch der deutschen nationalen Minderheit einen Sitz im Parlament. Das Ende des deutschen Alltags in Aserbaidschan begann mit der Annexion der Republik durch Sowjetrussland. Die Selbstverwaltung der Kolonien wurde aufgehoben, sie wurden der Großbetrieben beraubt und die Religionsfreiheit wurde unterdrückt.

Nach dem Angriff der Wehrmacht auf die Sowjetunion im Zuge des 2. Weltkriegs wurden alle 22.741 verbliebenen Nachfahren der deutschen Siedler aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit nach Zentralasien deportiert. Viele starben in Arbeitslagern und Sondersiedlungen. Die wenigsten Überlebenden kehrten nach der Rehabilitierung zurück nach Aserbaidschan. Im Jahr 2007 starb Viktor Klein, der letzte Nachfahre der ersten deutschen Kolonisten, im ehemaligen Helenendorf. Sein Haus wird 2014 zu einem Museum umgestaltet.

Neben den Siedlern zeigten auch andere Deutsche des 19. Jahrhunderts ein großes Interesse an Aserbaidschan. So eröffnete die Firma Siemens, welche die neuesten technischen Errungenschaften und fortschrittlichsten Technologien ihrer Zeit nutzte, im Ort Gadabay ein Kupferbergwerk und baute es zum größten des Landes aus. Diese Firma nahm zu dieser Zeit den ersten Platz in der aserbaidschanischen Bergbauindustrie ein und konnte einen entscheidenden Beitrag zur örtlichen Infrastruktur und Wirtschaft leisten. Steinerne Brücken zeugen noch in den Hügeln im Westen Aserbaidschans von diesem Kapitel der deutsch-aserbaidschanischen Geschichte.

Einige Deutsche sind auch stark mit der Geschichte und dem heutigen Stadtbild der aserbaidschanischen Hauptstadt verbunden. Der Architekt Johann Wilhelm Edel hat sich in einigen Dutzend Wohnhäusern und Bauten Bakus verewigt, darunter einige der prunkvollsten der Stadt, wie dem spektakulären Wohnhaus an der Neftchilar-Allee 103. Auch die Architekten Adolf Eichler und Nikolaus von der Nonne (Er war der Chefarchitekt von Baku in den Jahren 1891-1893) konnten das Stadtbild Bakus maßgeblich prägen mit Bauten wie der Lutherischen Erlöserkirche und dem heutigen Nationalen Kunstmuseum von Aserbaidschan.

Nikolaus von der Nonne war nicht nur Architekt sondern auch vom November 1898 bis Ende 1901 Bürgermeister der Hauptstadt sowie städtischer Baudirektor. In dieser Funktion veränderte er das Stadtbild der Altstadt grundlegend. Auch die Alexander-Newski-Kathedrale, zur damaligen Zeit nach der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale die größte orthodoxe Kirche der Welt, wurde vom deutschen Architekten Robert Marfeld entworfen.

Nach der Wiedererlangung der staatlichen Unabhängigkeit schuf die Proklamation der Religionsfreiheit in Aserbaidschan die Bedingung für die Wiederbelebung des Luthertums. So ergriff der deutsche Pastor Achim Rice Initiative die 1992 lutherische Religionsgemeinschaft in Baku wiederherzustellen. Tamara Gumbatova, Mitglied der Internationalen Assoziation zur Erforschung der Geschichte und Kultur der Russlanddeutschen, spielte auch eine besondere Rolle.

Auch die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Aserbaidschan hat diese Aktion unterstützt. Infolgedessen wurde 1993 die Evangelisch-Lutherische Erlösergemeinde in Baku, deren Mitglieder Nachfahren der Deutschen sind, beim Justizministerium und am 14.05.2010 beim Staatlichen Komitee für die Arbeit mit religiösen Organisationen registriert. Derzeit ist die Vorsitzende der Gemeinde Vera Nesterova. 2015 wurde “Der Kleine Katechismus“ von M. Luther auf Aserbaidschanisch veröffentlicht.

Zurzeit lebt die Mehrheit der in Aserbaidschan lebenden Deutschen in Baku. Es gibt mehrere Gesellschaften und Organisationen in Aserbaidschan, die soziale und kulturelle Veranstaltungen durchführen, um die deutsche Kultur in Aserbaidschan zu entwickeln und die Menschen mit der deutschen Kultur und der deutschen Geschichte vertraut zu machen.

Unter ihnen sind die Aserbaidschanische Nationale Kulturgesellschaft der Deutschen «Renaissance», Deutsch-Aserbaidschanischer Kulturverein «Kapelhaus», der öffentliche Verein «Deutschland-Aserbaidschan», der historisch-kulturelle öffentliche Verein «Revival» und die Evangelisch-Lutherische Gemeinde. Diese Vereine veranstalten musikalische und literarische Abende zum Gedenken der berühmten deutschen Persönlichkeiten aus Literatur, Kunst und Wissenschaft, um ein umfassendes Bild von der deutschen Kultur zu vermitteln. In Baku, Göygöl und Schamkir werden die Gebäude lutherischer Kirchen als historische und architektonische Denkmäler vom Staat bewahrt.

So haben die Deutschen und ihre Nachkommen, die in Aserbaidschan leben, die Möglichkeit, ihre kulturellen Veranstaltungen und Feste abzuhalten, die Kirche zu besuchen und an die Geschichte ihrer Vorfahren zu erinnern, deren Leben und Schicksal seit fast zwei Jahrhunderten mit Aserbaidschan verbunden ist.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass seit 2017 anlässlich des 200. Jahrestages der deutschen Besiedlungen in Aserbaidschan verschiedene Maßnahmen ergriffen wurden. Nach dem vom Präsidenten unterzeichneten Erlass wurden deutsche Häuser in Göygöl und Schamkir renoviert und in Göygöl ein Museum kaukasischer deutscher Einwanderer eröffnet. Die in Gandscha, Göygöl und Schamkir von Deutschen gegründeten Weingüter sind noch in Betrieb.


Literatur

  1. Spuren des Deutschen Erbes und der Architektur in der Toleranz Aserbaidschans Rima Hacıyeva, Baku 2019
  2. Baku.diplo.de
  3. BBC Azərbaycanca, 6. April 2017
  4. report.az, 5. November 2016
  5. din.az, 8. August 2016

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