Ein Kommentar von Ernst Wolff
Kaum ein Begriff schafft es derzeit so oft in die politische Diskussion wie der Green New Deal. Angesichts der zunehmenden Umweltzerstörung, der explodierenden sozialen Ungleichheit und der immer deutlicheren Zerfallserscheinungen im Finanzsektor verwundert das nicht, denn er scheint fast so etwas wie ein Patentrezept zur Lösung aller Gegenwartsprobleme zu sein.
Die Idee dahinter ist relativ einfach und schnell erklärt: Staaten und Zentralbanken sollen sich zusammentun, frisches Geld schöpfen, die Wirtschaft durch Förderprogramme ankurbeln und massenweise Arbeitsplätze in „grünen“ Industrien schaffen. Auf diese Weise sollen sie für Vollbeschäftigung sorgen, die ökologische Wende herbeiführen und den Klimawandel ausbremsen.
Da die zahllosen Bedrohungen unserer Zeit vielen Menschen Angst machen, wächst die Anhängerschaft der Green-New-Deal-Bewegung rasant. Politiker wie Bernie Sanders, Yanis Varoufakis oder die Grünen bekennen sich inzwischen ebenfalls dazu.
Was steckt hinter dem Green New Deal?
Der Begriff selbst geht auf den New Deal des US-Präsidenten Roosevelt zurück, der in den Dreißiger Jahren die Auswirkungen der Großen Depression, insbesondere die hohe Arbeitslosigkeit, durch staatlich geförderte Infrastruktur-Maßnahmen abmildern konnte.
Theoretische Grundlage des New Deal war die Wirtschaftslehre des Keynesianismus. Sie besagt, dass der Staat in Krisenzeiten in das Geschehen eingreifen soll, um vor allem über Infrastrukturprojekte Arbeitsplätze zu schaffen, so den Konsum anzuheizen und die Wirtschaft durch erhöhte Nachfrage wieder in Gang zu bringen.
Der Keynesianismus erlebt in unseren Tagen eine Art Wiederauferstehung, und zwar in Gestalt der Modern Monetary Theory. Deren Anhänger argumentieren folgendermaßen: Da die Unmengen an Geld, die seit der Krise von 2007/08 in das Finanzsystem gepumpt worden sind, bis heute keine nennenswerte Inflation erzeugt haben, kann diese Politik des Gelddruckens (auch Quantitative Easing genannt) praktisch unbegrenzt fortgeführt werden.
Weil auf diese Weise genügend Geld erzeugt werden könnte, um den Green New Deal zu finanzieren, haben sich die meisten seiner Befürworter inzwischen zu den Anhängern der Modern Monetary Theory gesellt und bilden mit ihnen eine Art Einheitsfront für eine neue, grüne Zukunft.
Ein folgenschweres Missverständnis
Diese Sicht der Dinge basiert allerdings auf einem folgenschweren Missverständnis: Dass es seit der Krise von 2007/08 keine Inflation gegeben hat, liegt nämlich daran, dass die vom Bankensektor künstlich geschaffenen Riesensummen nicht an die arbeitende Bevölkerung, sondern ausschließlich an Großinvestoren vergeben wurden, die das Geld nicht in die Realwirtschaft, sondern in die Finanzmärkte gesteckt haben.
Dass es bisher im normalen Leben zu keiner nennenswerten Inflation gekommen ist, liegt also daran, dass die arbeitenden Menschen so gut wie nichts von dem Geld gesehen haben. Wenn aber nun im Rahmen eines Green New Deals das von den Zentralbanken geschaffene Geld über Infrastrukturprojekte in ihre Taschen geleitet würde, sähe das anders aus.
Dann würde die Kaufkraft der Massen angehoben, was die Industrie umgehend dazu veranlassen würde, die Preise für Konsumgüter zu erhöhen. Und je mehr Geld ins System gepumpt würde, umso höher fiele die so entstehende Inflation aus. Egal also, wie viel Geld die Menschen vom Staat erhielten, es würde ihnen – mit leichter zeitlicher Verzögerung – über die Inflation im Alltag wieder abgenommen werden.
Warum erhält der Green New Deal trotzdem so viel Aufmerksamkeit?
Dass der Green New Deal dennoch soviel Aufmerksamkeit erhält, liegt zum einen daran, dass Politiker den Hype opportunistisch für sich nutzen. Zum anderen aber kommt er für die globale Finanzindustrie in äußerst schwierigen Zeiten wie gerufen.
Die schlimmsten Einbrüche an den Aktienmärkten seit 70 Jahren zu Weihnachten 2018 haben nämlich gezeigt, dass es für das globale Finanzsystem nach zehn Jahren der „Notmaßnahmen“ – das heißt Zinssenkungen und Gelddrucken – kein Zurück zur Normalität mehr gibt. Die Zentralbanken, allen voran die FED und die EZB, haben der Welt seit Jahresbeginn deutlich zu verstehen gegeben, dass ihnen nur noch ein Mittel bleibt: Die Geldschleusen wieder zu öffnen, also noch mehr Geld ins System zu pumpen und es zu noch niedrigeren Zinsen zu vergeben.
Diese Politik aber bringt ein gewaltiges Problem mit sich, denn sie muss der internationalen Öffentlichkeit ja irgendwie plausibel gemacht werden. Genau diesen Zweck erfüllt der New Green Deal: Mit seiner Hilfe kann unter dem Vorwand, grüne Politik betreiben zu wollen, weiter Geld gedruckt und das System zumindest noch für einige Zeit künstlich am Leben erhalten werden.
Der Green New Deal wird dabei aber weder das Klima, noch die Umwelt retten, sondern genau das Gegenteil bewirken. Er wird dazu führen, dass die Lösung der drängendsten Probleme der Menschheit einmal mehr verschoben wird – und zwar in eine höchst unsichere Zukunft.
Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.
Ernst Wolff
Ernst Wolff ist freier Journalist und Autor des Buches “Finanz-Tsunami: Wie das globale Finanzsystem uns alle bedroht“.
Wolff, geboren 1950, aufgewachsen in Südostasien, Schulzeit in Deutschland, Studium in den USA. Der Journalist und Spiegel-Bestseller-Autor (»Weltmacht IWF«) beschäftigt sich seit vierzig Jahren mit der Wechselbeziehung von Politik und Wirtschaft. Sein Ziel ist es, die Mechanismen aufzudecken, mit denen die internationale Finanzelite die Kontrolle über entscheidende Bereiche unseres Lebens an sich gerissen hat: »Nur wer diese Mechanismen versteht und durchschaut, kann sich erfolgreich dagegen zur Wehr setzen.«