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Völkermord an Herero und Nama
Herero-Sprecherin an Deutschland: „Werden wir anders behandelt, weil wir Afrikaner sind?“

Vertreter der Herero und Nama haben vor einem Gericht in New York Berufung gegen ein Urteil einer Richterin eingelegt, welches im März verkündet wurde.

Herero-Aktivistin Nokokure Veii (Foto: Inti Raymi Fund)
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New York (nex) – Vertreter der Herero und Nama haben vor einem Gericht in New York Berufung gegen ein Urteil einer Richterin eingelegt, welches im März verkündet wurde.

Die New Yorker Distriktrichterin Laura Taylor Swain hatte eine Klage zu den unter deutscher Kolonialherrschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts verübten Massakern abgewiesen. Die Justiz in den Vereinigten Staaten sei wegen mangelnder Auswirkungen auf das Land nicht für den Fall zuständig.

Swain hatte befunden, dass Deutschland in diesem Fall Immunität vor einer Strafverfolgung genießt und das Gericht weder für den Fall zuständig sei, noch befugt sei, diesen Fall anzuhören. Das Landeskommunaloberhaupt der Herero-Bevölkerung in Namibia, Vekuii Rukoro, hatte bereits kurz darauf in Windhoek angedeutet, dass Deutschland sich in New York würde verantworten müssen, „ob es will oder nicht“, berichtet die namibische Tageszeitung Allgemeiner Anzeiger.

Die USA sei sehr wohl zuständig, so Anwalt Kenneth McCallion, der die Stämme vertritt. Der Fall betreffe auch die USA, unter anderem wegen des Verkaufs von Schädeln getöteter Afrikaner, die vor etwa 100 Jahren an ein Museum in New York geschickt wurden. „Der Völkermord hat eine direkte Verbindung nach New York“, sagte er am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur.

Die deutsche Bundesregierung hatte seit der Einreichung der Klage erklärt, es gebe keine rechtliche Grundlage für das Verfahren. Im Januar 2017 hatten Nachfahren beider Volksgruppen eine Sammelklage gegen Deutschland eingereicht.

Berlin bezeichnet die Verbrechen seit 2006 zwar auch offiziell als Völkermord, Entschädigungszahlungen lehnt die Bundesregierung aber ab. Stattdessen erhöhte man die Entwicklungshilfe an Namibien. Diese käme jedoch nicht bei den Nachfahren der Herero und Nama an und wird aus diesem Grund von diesen abgelehnt. Die namibische Regierung hat wiederholt „Entwicklungshilfe“ als Basis ihrer Verhandlungen mit Deutschland bekräftigt. Vertreter der Herero und Nama fordern aber Reparationenzahlungen wie im Falle Israels. Auch eine Entschuldigung hochrangiger Regierungsvertreter Deutschlands wird immer wieder gefordert. In einer gemeinsamen Resolution fordern Vertreter zudem die direkte Beteiligung der Herero und Nama an allen Verhandlungen mit Deutschland.

In einem Interview mit Radio Dreyeckland kritisierte auch Israel Kaunatjike, ein Herero, der in Berlin lebt und sich für das Bündnis “Völkermord verjährt nicht!”, sowie bei Berlin Postkolonial engagiert, dass namibische Herero- und Nama-Verbände von den Gesprächen über eine Aufarbeitung des deutschen Völkermordes Anfang des 20. Jahrhundert ausgeschlossen seien.

Kaunatjike spricht gegenüber dem Sender von “Geheimverhandlungen, zu denen die Opferverbände nicht eingeladen sind” und erklärt, die Gruppen wollten die Ergebnisse, die ohne ihre Beteiligung verhandelt worden seien, nicht respektieren. Die namibische Regierung verfolge nur finanzielles Interesse an so genannter Entwicklungshilfe und sei nie in der Frage selbst engagiert gewesen, betonte der Aktivist.

“Das ist ein ‘Teile und herrsche’, und das stört uns einfach”, erklärt der Herero-Aktivist. Eine Bedeutung für die Gegenwart habe die Frage, wer in wessen Namen verhandelt, durchaus noch, so Kaunatjike. “Vertriebene in Botswana, Südafrika und Angola, deutsche Siedler leben heute noch auf deren Land”, erklärte er weiter. Zu 75 Prozent handle es sich dabei um Farmland. Man strebe diesbezüglich eine Restitution oder eine Entschädigung an.

“Unsere Anliegen werden ignoriert”, so Kaunatjike in einem Gespräch mit dem Nachrichtenportal NEX24. “Sie werden uns aber nicht bremsen können.”

„Wir wollen keine Entwicklungshilfe, wir wollen Reparationen und Heilung, so wie bei den Juden“, sagte Aktivistin Kambanda Nokokure Veii von der Ovaherero Genozid Stiftung in einer Videobotschaft. „Behandelt man uns anders, weil wir Afrikaner sind?“, fragt Veii. Ein Genozid sei ein Genozid, ganz gleich, ob an Juden oder Afrikanern verübt.

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„Weil wir schwarz sind“

„Wir finden es sehr interessant, dass sich die Deutschen so aktiv für die Sache der Armenier einsetzen, während sie ihre eigenen Angelegenheiten unter den Tisch kehren“, wird die Vorsitzende des Ovaherero Genocide Committee (OGC), Esther Muinjangue, in der „Welt“ zitiert.

Eine offizielle Anerkennung der deutschen Ausrottungspolitik gegenüber den Herero sei, wie Esther Muinjangue im Juni 2016 betonte, in Deutschland zudem mit der Begründung unterblieben, die Verbrechen seien lange vor der 1948 verabschiedeten UN-Völkermordkonvention erfolgt und könnten nicht nach den dort festgelegten Artikeln bestraft werden.

„Der Völkermord an den Armeniern fand nur sieben Jahre nach dem an den Herero statt, hier sprechen die Deutschen plötzlich wie selbstverständlich von Völkermord“, wird die NGO-Vorsitzende Muinjangue in der „Welt“ zitiert. „Was ist der Unterschied? Die Herero sind schwarz, die Deutschen glauben, dass sie Schwarze nicht ernst nehmen müssen. Das ist für mich die einzige Schlussfolgerung.“ Deutschland verhalte sich den Herero gegenüber „wie ein Vergewaltiger, der gleichzeitig Richter ist“

„Schadenersatzklage kann weitreichende Folgen haben“

Eine Schadenersatzklage kann nach Ansicht des Hamburger Historikers Jürgen Zimmerer weitreichende Folgen haben.

Im Gespräch mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ sagte Zimmerer: „Wenn es gelingt, Deutschland zu direkten Verhandlungen mit Vertretern einzelner Bevölkerungsgruppen und zu Reparationen zu zwingen, können viele weitere Fälle aus der Kolonialzeit akut werden.“

Der Professor für die Geschichte Afrikas an der Universität Hamburg sagte, ein Erfolg der Klage in New York könnte zu Reparationsforderungen gegen Deutschland auch wegen Massakern während des Maji-Maji-Aufstands im heutigen Tansania führen, ebenso wegen Massakern und Strafaktionen in Togo, in Kamerun und in der Südsee.

Auch Opfer unter der Zivilbevölkerung im Zuge des Ersten Weltkriegs in Afrika könnten Anlass von Klagen und Verhandlungen werden, sagte der Direktor der Forschungsstelle „Hamburgs (post)koloniales Erbe und Berater des Deutschen Historischen Museums in Berlin.

Zwischen 1885 und 1903 sei ein Viertel des Landes der Herero und Nama mit Einverständnis der Kolonialbehörden von deutschen Siedlern enteignet worden. Frauen und Mädchen der Herero und Nama seien, ebenfalls geduldet von den Kolonialbehörden, von Siedlern vergewaltigt und der Bevölkerung Zwangsarbeit auferlegt worden.

Im Jahre 1904 erteilte der deutsche Generalleutnant Lothar von Trotha in der damaligen deutschen Kolonie Deutsch-Südwestafrika den Befehl, alle Stammesangehörigen der Herero zu töten. Bis 1908 wurden zwischen 65 000 und 80 000 Herero umgebracht, außerdem bis zu 20 000 Angehörige des Stammes der Nama.

„Es könnten die Köpfe ihrer Ehemänner, Brüder oder Schwestern sein.“

Um die angebliche Minderwertigkeit der Afrikaner zu belegen, brachten die Deutschen aus ihrer damaligen Kolonie Schädel und Gebeine Einheimischer nach Berlin. Der Historiker Jürgen Zimmerer, der sich seit Jahren mit der Kolonialgeschichte befasst, geht davon aus, dass damals über 1000 menschliche Überreste nach Deutschland gelangten, deren Reste teilweise bis heute in Archiven, Magazinen und Kliniken lägen, berichtet Deutschlandradio Kultur.

Die Geschichte der Schädel sei bis heute ein Trauma für ihr Volk, empört sich die Vorsitzende des Ovaherero Genocide Committee (OGC), Esther Muinjangue:

„Die deutsche Schutztruppe brachte die abgetrennten Köpfe zu den Herero-Frauen und zwang sie, sie zu reinigen, damit sie wie Eier fein säuberlich in Kartons nach Deutschland transportiert werden konnten, so Muinjangue. „Es könnten die Köpfe ihrer Ehemänner, Brüder oder Schwestern sein.“