Ein Gastkommentar von Özgür Çelik
Wieder ist es Israel, wieder ist es Netanjahu. In der Nacht zum Freitag hat die israelische Armee dutzende Ziele im Iran bombardiert – darunter die zentrale Urananreicherungsanlage in Natanz. Hochrangige Militärs und führende Wissenschaftler wurden gezielt getötet, darunter der Kommandeur der Revolutionsgarden sowie zentrale Köpfe des iranischen Atomprogramms.
Der Angriff gilt als die schwerste Militäraktion gegen Iran seit dem Krieg der 1980er-Jahre. Er kommt nicht überraschend. Die Welt wusste, was kommen würde – durch Eskalationsstufen, durch Resolutionen der IAEA, durch wortreiche Drohungen. Und dennoch: Sie sieht zu. Und schweigt.
Generalstabschef Ejal Zamir erklärte den Zeitpunkt für gekommen, weil Israel sich an einem „Punkt ohne Wiederkehr“ befinde. Das iranische Atomprogramm stelle eine existenzielle Bedrohung dar, Iran verfüge laut israelischen Geheimdienstquellen über genug angereichertes Uran für mehrere Atombomben.
Premierminister Benjamin Netanjahu sprach von einer „gezielten Militäroperation“, um das „Herz des iranischen Nuklearprogramms“ zu zerstören. Auch die Atomanlage Natans sowie Raketeninfrastruktur wurden getroffen. Israel ruft den Ausnahmezustand aus, erwartet Vergeltung. Die Revolutionsgarden drohen mit einem „hohen Preis“ für Israel. Die Region steht vor einem Flächenbrand.
Doch dieser Angriff steht nicht isoliert. Er ist eingebettet in eine Dynamik, die sich seit Monaten zuspitzt. Es ist dieselbe Welt, die schweigend zusieht, wie Gaza zerbombt wird, wie zivile Infrastruktur systematisch zerstört wird, wie ein Krieg geführt wird, der längst jede moralische Navigation verloren hat. Und nun trägt Israel dieses Feuer weiter – in ein Land, das zweifellos selbst von Diktatur und Repression geprägt ist, aber längst auch Teil eines globalen machtpolitischen Spiels geworden ist, in dem nicht Raketenanlagen, sondern zivile Stabilität der Preis ist.
Während Israel erklärt, es habe das „Herz der iranischen Kernwaffenanreicherung“ getroffen, drängt sich der Eindruck auf, dass es längst um mehr geht als um Verteidigung. Es geht um Vorherrschaft. Um strategische Dominanz. Um innenpolitischen Machterhalt in Jerusalem. Netanjahu, seit Monaten unter innenpolitischem Druck, scheint erneut den außenpolitischen Befreiungsschlag zu suchen – wie so oft in seiner Karriere.
Nur: Dieser Schlag hat keine klaren Grenzen mehr. Er geht durch Gaza, rollt über Teheran hinweg – und könnte morgen Beirut, Damaskus oder Ankara treffen. Wer wird als Nächstes zur „präventiven Bedrohung“ erklärt?
Die USA betonen, nicht in die Angriffe involviert gewesen zu sein. Doch Netanjahu ist nicht der Premierminister eines unbedeutenden Kleinstaats. Wäre er Regierungschef eines anderen Landes – sagen wir Paraguay oder Pakistan – und würde unter dem Vorwand nationaler Sicherheit gezielte Tötungen, Bombardierungen, Destabilisierung ganzer Regionen verantworten: Wie sähe die Reaktion des Westens aus? Sanktionen? UN-Resolutionen? Militärische Konsequenzen? Oder wenigstens diplomatischer Druck?
Stattdessen herrscht Schweigen. Und mit diesem Schweigen wächst die Doppelmoral. Netanjahu profitiert von einem Schutzschild, das nicht aus moralischer Legitimation besteht, sondern aus strategischen Allianzen und historischen Bündnissen. Internationale Institutionen wie die IAEA wirken wie Statisten, ihre Warnungen wie stumme Mahnungen, übertönt vom Dröhnen israelischer Drohnen und dem Donner von Raketen.
Die Wahrheit ist unbequem. Der Angriff Israels, legitimiert mit der Bedrohung durch ein potenziell nuklear bewaffnetes Regime in Teheran, könnte am Ende genau das zerstören, was er zu schützen vorgibt: internationale Stabilität, multilaterale Ordnung, Glaubwürdigkeit des Völkerrechts. Was, wenn ein anderes Land beginnt, unter Berufung auf „Selbstverteidigung“ präventive Angriffe durchzuführen? Würde man das ebenfalls dulden?
Netanjahu führt einen Krieg, der nicht mehr im Namen des Friedens geführt wird. Und die Welt? Sie sieht zu. Noch.
Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von NEX24 dar.
Zum Autor
Özgür Çelik studierte Politikwissenschaft, Soziologie und Philosophie an der Universität Duisburg-Essen. Seine Fachgebiete sind die deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei sowie zwischen der EU und der Türkei, türkische Politik, die türkische Migration und Diaspora in Deutschland
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