Start Politik Ausland Putsch in Niger Niger – was sind die Hintergründe für den Militärcoup?

Putsch in Niger
Niger – was sind die Hintergründe für den Militärcoup?

Es gibt aber noch andere Faktoren, mit denen Niger bewertet werden muss – und die sind ganz offensichtlich die Triebfeder des Putsches. Denn eigentlich ist Niger ein reicher Staat.

General Tchiani ernannte sich zum neuen Machthaber. Foto: RTN
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von Michael Thomas

Wenn das Militär in einem Staat putscht und die Macht an sich nimmt, vermutet die Welt sofort eine macht- und geldhungrige Generalität dahinter und ist sich sicher, dass jede eventuell noch vorhandene Freiheit einer harten Hand weichen wird.

Aber ist das im Fall Niger auch so?

Wenn man sich zunächst mit der Person des abgesetzten Präsidenten Mohammed Bazoum befasst, findet man einen für die Verhältnisse in Niger beeindruckenden, aber im Wesentlichen unauffälligen Lebenslauf. Im Alter von 19 Jahren studierte er im Senegal Philosophie, arbeitete einige Jahre als Lehrer an einer Mittelschule und leitete später im Niger die Lehrergewerkschaft, bevor er gänzlich in die Politik wechselte.

Er trat der nigrischen Partei für Demokratie und Sozialismus (PNDS-Tarayya) bei, überstand diverse Wechsel in der Führungsspitze des Staates und arbeitete letztlich gar als Staatsminister, bevor er zum Präsidenten gewählt wurde. (Link) Nichts deutet darauf hin, dass er mit der Wirtschaft verflochten gewesen wäre. Das hebt ihn von manchen Diktatoren, Putschisten und Demagogen in und aus Afrika ab, die zumeist überreichlich vom Ausland kassierten und die Bevölkerungen ihrer Länder im Sinne von Konzernen und Staaten oftmals auspressten und nicht selten folterten und umbrachten. Wenden wir uns also Niger selbst zu

Niger zählt zu den ärmsten Staaten der Welt; es generiert ein erschreckend niedriges Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, verfügt nur über wenig Landwirtschaft, ist aufgrund seiner prekären, geografischen Lage oft Opfer katastrophaler Dürren und hat seit wenigen Jahrzehnten wegen völlig fehlender Bevölkerungspolitik eine extrem hohe Geburtenrate.

Wenn man von diesen Faktoren ausgeht, muss eine miserable Lage und eine frustrierende, deprimierende Zukunft befürchtet werden, die noch zusätzlich von einer rasant ansteigenden Staatsverschuldung geplagt wird. Die Kosten laufen den Steuer- und anderen Einnahmen regelrecht im Galopp davon und erzeugen dadurch immer schneller ansteigende Kreditnahmen. (Link)

Es gibt aber noch andere Faktoren, mit denen Niger bewertet werden muss – und die sind ganz offensichtlich die Triebfeder des Putsches. Denn eigentlich ist Niger ein reicher Staat. Es verfügt über, salopp gesagt, geradezu traumhafte Uranvorkommen, die gerade jetzt, da Russland wegen des Krieges als Uranversorger zurückgewiesen wird, von besonderem Interesse sind und weltweit deutlich steigende Preise und Gewinne produzieren. Aber leider hat Niger kaum etwas davon. Als es am 23. August 1958 von Frankreich in die Unabhängigkeit entlassen wurde, konnte von Unabhängigkeit keine Rede sein, weil sogenannte „Berater“ der französischen Regierung die des Nigers völlig kontrollierten.

1971 begann die Uranförderung in Niger unter französischer Federführung. Die Kooperationsverträge haben Niger an den eigenen Rohstoffen gegen lächerlich niedrige Anteile daran nahezu entrechtet. Heute betreibt der französische Energiekonzern Orano die Minen im Land. Obschon die nigrische Regierung einige Wertpapiere davon hält, unterliegen nur 33,5 % der Förderleistung Abgaben, die dem Land selbst zugute kommen.

Der Rest fließt in ausländische Kassen. Längst ist die im Niger gewonnene Uranmenge entscheidend für die französische Kernenergie und daher ist es ganz besonders interessant, dieser Tage aus Paris zu hören, dass das nigrische Uran angeblich nicht strategisch relevant sei. Denn aller Einschätzung nach ist das nicht richtig. Paris hat ein massives Interesse daran, dem Militärputsch im Niger mit allen zu Gebote stehenden Mitteln entgegenzuwirken. Der momentan befehlshabende Militär, General Abdourahamane Tiani, hat bereits angekündigt, die Uranförderung bzw. -Abgabe an Frankreich einstellen zu wollen. Das würde allerdings einen klaren Bruch geltender und gültiger Verträge darstellen.

So gering der Beitrag des Urans zum Staatshaushalt auch sein mag, so fragwürdig ist die Bedeutung des Uranabbaus generell. Trotz des extrem kleinen Anteils, den Niger am eigenen Bodenschatz hat, wird es mit den hässlichen Begleitumständen des Abbaus konfrontiert und muss mit der Verschmutzung durch extrem giftige Chemikalien umgehen, die die Urangewinnung mit sich bringt. In Kürze ist die Ausweitung bestehender und die Errichtung neuer Abbauregionen mit noch höherer Kapazität geplant.

Und selbst das ist nur einer der Schwerpunkte, weshalb Niger unbedingt eine Zäsur seiner Lage und deren Entwicklung zwingend vornehmen musste. Denn die Regierung Bazoum war vollkommen außerstande, den außer Kontrolle geratenen Behördenapparat zu bereinigen, der nur noch an Selbstbereicherung durch Korruption arbeitete und jede staatliche Funktion zum Erliegen brachte, wenn sie kein Geld für private Taschen generierte. Bazoum ging den Weg des geringsten Widerstandes und finanzierte die dramatisch ansteigenden Verwaltungskosten über Kredite bei chinesischen Banken.

Man muss kein gelernter Kaufmann sein um sofort zu begreifen, dass man keine Schulden dadurch tilgt, in dem man neue, teurere aufnimmt. Eine Gegensteuerung fand nicht statt. Hinzu kam eine dramatisch zunehmende Bedrohung durch extreme und extremistische Kräfte, die die Bevölkerung Nigers in ihrer Existenz bedrohten und Gewalt verübten. Auch hier zeigte sich die Regierung Bazoum untätig, weil unfähig.

Die Menschen Nigers stehen zunehmend unter weiter ansteigendem, wirtschaftlichen Druck, sie sehen sich kaum in der Lage, ihre Ernährung zu sichern, sind beständig Angriffen diverser Extremistengruppen ausgesetzt und registrieren hilflos, wie die Regierung Bazoum untätig bleibt. Während sich die französischen und US-gestützten Interventionen rein auf Militärhilfe reduzieren, bleiben alle anderen Aspekte des öffentlichen Lebens ohne Adressierung. Unter diesen Umständen muss Niger ein „failed state“ ohne jede Hoffnung auf Besserung genannt werden.

Die Internetseite „Nigerdiaspora“ (Link) präsentiert eine andere Seite als die, die derzeit weltweit durch die Medien geistern. Dort geißelt die Politikwissenschaftlerin, Dr. Elisabeth Sherif, die bisher in Niger geübten, demokratischen Prozesse als absolute Farce und lehnt die Idee, die Intervention der ECOWAS bzw. Frankreichs könnten auf die Wiederherstellung von Demokratie abzielen, leidenschaftlich ab. (Link)

Die Rolle Frankreichs ist eine besonders fragwürdige. Es hat in jüngerer Vergangenheit die Kontrolle über Burkina Faso und Mali verloren und beide Länder stehen Niger in seinem Widerstand gegen ECOWAS bei; sie erklären unisono, dass ein Krieg gegen Niger sofort eine Kriegserklärung gegen sie bedeuten würde. Der Ton wird scharf.

Nach bekundetem Selbstverständnis ist die ECOWAS eine Wirtschaftsgemeinschaft, die einen der EU vergleichbaren Ansatz hat und im Zuge wirtschaftlicher Zusammenarbeit den Zusammenhalt zwischen seinen Mitgliedsländern ausbauen und stärken will. (Link) Allerdings werden Beobachtungen laut, dass Frankreich erstaunlich intensiv gerade dort interveniert. Ein „Weiter so!“ hätte Niger zwangsläufig in den Niedergang und direkt in den Ruin geführt.

Es ist deshalb nur wenig erstaunlich, dass weite Teile der Bevölkerung hinter den Putschisten stehen. Gerade mit dem Hinweis auf eine prekäre Sicherheitslage einerseits und die Inkompetenz der abgesetzten Regierung bestehen auf Nigers Straßen nun Hoffnung auf die Rückgewinnung von Stabilität und möglicherweise sogar Neuverhandlung unter erheblich besseren Bedingungen für den Uranabbau, an dem Niger mit einer gestrafften und effizienten Regierung partizipieren kann.

Die entschiedene Haltung der neuen Militärregierung Nigers hat zusammen mit den entsprechenden Solidaritätsbekundungen Burkina Fasos und Malis ECOWAS stark verunsichert und tief im Innern gespalten. Die Motivation für die Drohung, die ehemalige Regierung in Niger nötigenfalls mit Gewalt herbeizwingen zu wollen, resultiert nach Beobachtungen aus einer ganz anderen Motivation: viele Mitgliedsstaaten befürchten, die Idee eines gelungenen Militärputsches könnte ihr eigenes Militär auf die Idee bringen, ebenfalls ihr Glück zu versuchen.

Außerdem droht ein vielleicht regionaler, aber langandauernder, verlustreicher Krieg. Der geografische Nachbar, die regionale Supermacht Nigeria, auf der die Hauptlast einer solchen Militärintervention liegen würde, verfügt momentan wegen vieler kleinerer Krisenherde im eigenen Land nicht über ausreichende, trainierte und ausgerüstete Truppen. Die Aussicht, die Militärregierung Nigers in einem kurzen, harten Handstreich hinwegfegen zu können, ist weniger als gering. Es wird zudem gemunkelt, dass der Hauptantrieb zu einer derartigen Intervention durch Frankreich geleistet wird und dieser Umstand behagt einer ganzen Anzahl von ECOWAS-Mitgliedsstaaten gar nicht.

Wie die Sache ausgehen wird, ist völlig ungewiss. Nur eines scheint nach Würdigung aller Fakten eindeutig zu sein: wir haben es hier nicht mit einem Putsch gegen den Widerstand der Bevölkerung zu tun. Im Gegenteil berichten ortsansässige Medien von Begeisterungsausbrüchen und der Hoffnung, dass sich die ruinösen Verhältnisse nun bessern könnten.


Zum Autor 
Michael Thomas ist Privatier, Fotograf, leidenschaftlich an Ägyptologie und Literatur interessiert, mit der er vor vielen Jahren als Autor regional einige Beachtung fand. Er verfolgt interessiert das Weltgeschehen durch Beobachtung internationaler Presse. Seinen Fokus legt er insbesondere auf die Palästinafrage und auf die islamische Welt.