Ein Gastkommentar von Nabi Yücel
Wer findet eine Politik nicht schön, wenn es nicht in erster Linie an Partei-Interessen orientiert ist, sondern an der Moral? In der Türkei kann man anschaulich mitverfolgen, wie ein interessengesteuerter Wahlkampfmanöver in einem Desaster endet.
Seit Jahren ebben in der Türkei die Diskussionen über die Asylpolitik nicht ab. Die Anziehungskraft, die über 3,8 Millionen Flüchtlinge in der Türkei auf die Opposition ausstrahlen, steht über der Moral, dem Recht und der freiheitlichen Demokratie.
Obwohl die türkische Regierung in der Flüchtlingsfrage für eine ergebnisoffene Diskussion bereit ist und selbst nach Lösungen ringt, etwa die Sicherheit in der Region gewährleisten und eine Lebensgrundlage aufbauen, setzt die Opposition auf knallharte Abschiebepolitik. Und diese Politik wollte u. a. die Republikanische Volkspartei CHP am Sonntag in Istanbul praktisch umsetzen und wahlkampfgerecht zur Schau stellen.
Alles begann in der Stadtgemeinde von Istanbul, Esenyurt. Bürgermeister Kemal Deniz Bozkurt (CHP) war irgendwie an die Abschiebeliste von Flüchtlingen gelangt und damit an Namen, Telefonnummern und vorläufige Adressen derer. Damit begann eine moralisch unterirdische Wahlkampfkampagne; einzigartig in der Geschichte der CHP.
Das Team im Rathaus von Esenyurt setzte sich telefonisch mit jedem Flüchtling persönlich in Kontakt und erklärte ihnen, man werde sie abholen und abschieben. Sie sollten sich an diesem Sonntag in den frühen Morgenstunden bereitmachen, um von einem Bus abgeholt und abgeschoben zu werden.
Zur selben Zeit wurde die Vorsitzende der CHP von Istanbul, Canan Kaftancıoğlu, von Bozkurt über die Kampagne informiert. Die Ärztin sah in der Kampagne die Gelegenheit, die Massenabschiebung als Wahlkampfthema auszunutzen und informierte aufgeregt den Parteivorsitzenden Kemal Kılıçdaroğlu. Kılıçdaroğlu war fasziniert davon und sagte sofort zu.
An diesem Sonntagmorgen sollten die mit Flüchtlingen besetzten Busse auf einem Platz zusammenkommen, wo die Parteiführung sie empfangen und dann zur Abschiebung verabschieden sollte. Selbstverständlich im Beisein der vorab informierten Presse. Das hätte sich an dem anschließenden Parteitag gut verkauft, so die Rechnung.
Die Kameras standen bereit, die Redetexte scrollten vorab durch den Teleprompter. Voller Stolz sollte Kılıçdaroğlu vorlesen, wie er es schaffe, syrische Flüchtlinge ohne Probleme abzuschieben, während die amtierende Regierung damit noch hadere.
Aber, irgendetwas lief nicht rund. Die präparierten Busse kamen leer an, die syrischen Flüchtlinge blieben aus. Panik machte sich breit, Telefone wurden gezückt, hektisches Gerede brach aus. Jene, die den Plan ausgeheckt hatten, wurden an die Adressen geschickt, um nach dem Rechten zu schauen.
Dann die schockierende Nachricht. Die Migrationspolizei hatte die syrischen Flüchtlinge bereits in der vorigen Nacht abgeholt und abgeschoben. Kemal Kılıçdaroğlu verließ in Wut den hergerichteten Platz, auf der die Busse mit entsprechend ausstaffierten Wahlkampfslogans leer warteten. Danach brach Canan Kaftancıoğlu in Rage aus und tobte sich bei den Verantwortlichen des gescheiterten Coups aus.
Ein Wahlkampfmanöver war grandios gescheitert. Als dieser gescheiterte Coup in der Presse kurz danach die Runde machte, blieb den Verantwortlichen wie auch Kılıçdaroğlu selbst keine Wahl, sich irgendwie zu erklären und den Schaden zu minieren. Also trat man brav vor die Parteimitglieder und das Wahlvolk, spielte gute Miene zum bösen Spiel.
Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.
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