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Griechenland dementiert Medienberichte über türkische Inselbesetzung

In einigen hiesigen Medien waren in den letzten zwei Tagen Meldungen zu lesen, wonach die türkische Armee eine Insel auf dem Grenzfluss Meriç (Griechisch Evros) zwischen der Türkei und Griechenland besetzt habe. Die Nachricht stützte sich auf griechische Medienberichte.

(Foto: nex24)
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Eine Presseente mit historischer Faktenverdrehung

Ein Gastbeitrag von Kemal Bölge – kboelge@web.de

In einigen hiesigen Medien waren in den letzten zwei Tagen Meldungen zu lesen, wonach die türkische Armee eine Insel auf dem Grenzfluss Meriç (Griechisch Evros) zwischen der Türkei und Griechenland besetzt habe. Die Nachricht stützte sich auf griechische Medienberichte.

Ich hatte dazu selbst recherchiert und konnte zu der Nachricht keinen Bericht von türkischer Seite finden. Am 24.5. hatte der Nachrichtensender n-tv gemeldet, dass die Information über eine angebliche Besetzung griechischen Territoriums nicht korrekt wäre.

Der griechische Außenminister Dendias habe entsprechende Berichte dementiert und es sei zu keinem Grenzübertritt gekommen. Der gleiche Sender hatte sich allerdings zuvor auf griechische Medien berufen und veröffentlichte auf seiner Nachrichtenseite die News über eine Inselbesetzung. Nachrichten dieser Art gibt es in den griechischen Medien immer wieder, aber die letzten fünf Sätze der Meldung haben es in sich. Damit sich jedermann eine eigene Meinung dazu bilden kann, habe ich die entsprechende Textpassage hinzugefügt:

„Einst war Griechenland Teil des Osmanischen Reichs, wurde aber im 19. Jahrhundert unabhängig. Vor 100 Jahren (1919-1922) kam es zum Krieg zwischen beiden Ländern und der Vertreibung der Griechen von der türkischen Westküste. Die jahrzehntelangen Spannungen führten zu einem Wettrüsten zwischen den Staaten, die auch zur immensen Verschuldung Griechenlands beitrug. 1974 besetzten türkische Truppen Zypern, nachdem Athen einen Putsch auf der Insel unterstützt hatte, der die Vereinigung der Insel mit Griechenland anstrebte. Die Folge war die bis heute fortbestehende Teilung.“

Ich kann nicht beurteilen, wer bei der n-tv Redaktion für das Ressort Geschichte/Politik zuständig ist, aber hier werden unterschiedliche Sachverhalte falsch wiedergegeben. Griechenland war vor seiner Gründung Teil des Osmanischen Reiches. Das ist aber auch das einzige, was an dem Text richtig ist.

Hier ein kurzer historischer Abriss: Nach der Niederlage des Osmanischen Reiches während des Ersten Weltkriegs aufseiten der Mittelmächte musste die osmanisch-türkische Regierung am 30. Oktober 1918 die Waffenstillstandsvereinbarung von Moudros unterzeichnen. Die Unterschrift unter die Vereinbarung bedeutete für das Land das Ende des Ersten Weltkriegs und gleichzeitig die Kapitulation. Die griechische Armee führte von 1919-1922 einen Angriffskrieg gegen das Osmanische Reich bzw. was davon noch übriggeblieben war durch.

Am 15. Mai 1919 begann mit der Landung der griechischen Armee in Izmir die Invasion Westanatoliens. Die Besetzung Anatoliens kam nicht von ungefähr, denn zwei Tage vorher, am 13. Mai 1919, trafen sich in Izmir unter dem Vorsitz des britischen Admirals Calthorpe die Kommandeure der Flotten Frankreichs, der USA, Italiens und Griechenlands zu einer Sitzung. Darin wurden die Einzelheiten der Vorgehensweise besprochen.

Bei der Zusammenkunft wurde vereinbart die beabsichtigte Besetzung Anatoliens durch die griechische Armee der Regierung in Istanbul bis zuletzt nicht mitzuteilen, obwohl in der griechischen und italienischen Presse jener Zeit sehr viele Berichte kursierten. Nach der Ankunft in Izmir und dem Vordringen nach Westanatolien beging die griechische Armee Kriegsverbrechen an der türkischen Zivilbevölkerung. Ein Beispiel für ein grausames Massaker an der Zivilbevölkerung und Massenvergewaltigung von Frauen wurde am Bahnhof Balatcık in Aydın verübt.

Eine einfahrende Eisenbahn wurde von den Invasoren gestoppt und alle 130 Reisenden gezwungen auszusteigen. Vor den Augen der Ehemänner wurden alle Frauen systematisch vergewaltigt und anschließend ermordet. Die eroberten Städte und kleineren Ortschaften in Westanatolien wurden von der griechischen Armee in Schutt und Asche gelegt, die muslimischen Einwohner, Männer, Frauen, Kinder und Alte, brutal ermordet und die Leichen anschließend in Schächte geworfen.

In einem Telegramm vom 12. Juli 1919 berichtet der Gouverneur von Denizli, Faik Bey, hätten die Griechen in Aydın und Nazilli über 2.000 Moslems und 300-400 Christen getötet. Ich könnte noch viele Beispiele für begangene Verbrechen der griechischen Armee an der muslimischen Zivilbevölkerung in Anatolien aufführen, aber mir geht es hier um den Artikel auf n-tv, indem historische Ereignisse falsch wiedergegeben werden.

Die Befreiungsbewegung unter General Mustafa Kemal Pascha (späterer Atatürk) organisierte mit der türkischen Bevölkerung mit enormem Einsatz, Disziplin und einem starken Willen den Widerstand gegen die Besatzer. Die griechische Armee wurde in Westanatolien in zwei entscheidenden Schlachten von der türkischen Armee militärisch besiegt. Als am 9. September 1922 die türkische Armee in Izmir einrückte, bot sich den Soldaten ein erschreckendes Bild über der einstigen blühenden Metropole: Bei ihrem Rückzug hatte die griechische Invasionsarmee die Stadt in Brand gelegt. Auch die übrigen Landesteile, die von den Briten, Franzosen, Italienern und armenischen Milizen besetzt wurden, konnten von der türkischen Armee befreit werden.

Ich habe die Geschehnisse um die Besetzung Anatoliens in kurzen Worten wiedergegeben, aber die eigentliche Frage wäre was Großbritannien, Frankreich und deren Verbündete mit dem damaligen Osmanischen Reich bezweckt haben. Die Antwort auf diese Frage findet sich im Vertrag von Sèvres (1920), dass die endgültige Zerschlagung der türkischen Siedlungsgebiete vorsah. Mit anderen Worten, der türkischen Bevölkerung sollte jegliche Existenzgrundlage im anatolischen Kernland entzogen werden und unter anderem aus diesem Grund wurde es von der Befreiungsbewegung unter Mustafa Kemal Atatürk und seinen Kameraden abgelehnt.

Ein zweiter Punkt ist das Thema der Vertreibung der Griechen aus Anatolien. Ich möchte nicht behaupten, dass keine Griechen die Türkei verlassen mussten, das wäre in diesem Zusammenhang nicht richtig, denn ein Teil der griechischen Bevölkerung hatte in Anatolien gelebt. Von Relevanz ist das zwischen der Türkei und Griechenland 1923 ratifizierte Abkommen zum Bevölkerungsaustausch. Die Rede ist oft von der griechischen Bevölkerung, die Anatolien verlassen musste, aber die 800.000 Türken, die ihrer alten Heimat in Griechenland den Rücken kehren mussten, werden nur am Rande erwähnt. Wenn es einer Erwähnung wert ist, dann spricht man in der Regel von Moslems und nicht von Türken.

Das liegt an der Haltung Griechenlands, die offiziell von einer homogenen Bevölkerungsstruktur ausgeht, in dem nur „Griechen“ leben. Exemplarisch sei hier auf die türkische Minderheit in Westthrakien hingewiesen, die, wenn überhaupt, als „griechische Moslems“ angesehen werden.

Ein weiterer Kritikpunkt an dem Beitrag von n-tv ist die Behauptung einer türkischen Besetzung von Zypern. Es wird zwar darauf hingewiesen, dass Griechenland 1974 einen Putsch auf Zypern unterstützt hatte, der die Vereinigung der Insel mit Griechenland vorsah, aber unerwähnt bleibt der rechtliche Status der Türkei als Garantiemacht neben Griechenland und Großbritannien. Die Zürcher und Londoner Verträge von 1959 gaben der Türkei das Recht im Falle einer Rechtsverletzung, der Putschversuch war ein solcher Fall, zu intervenieren. Dass die Zypernfrage bisher nicht gelöst werden konnte, liegt an der Komplexität der Problematik, an dem sich schon viele Regierungen und Diplomaten die Zähne ausgebissen haben.

Der rechtlich umstrittene EU-Beitritt des griechischen Teils von Zypern war nicht der erhoffte Katalysator zur Konfliktlösung. Die Ablehnung des „Annan-Plans“ durch die zyperngriechische Bevölkerung zementierte die De-Facto Situation von zwei Staaten, auch wenn die zyperngriechische Administration an ihrem Alleinvertretungsanspruch festhalten sollte.


Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.


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