Obwohl China behauptet, Reformen durchgeführt zu haben, findet dort immer noch Transplantat-Missbrauch statt: Das ist die schlichte und schreckliche Wahrheit und auch der Titel des über 300 Seiten umfassenden Berichts vom Juli 2018, den das lobenswerte China Organ Harvest Research Center (COHRC, deutsch: Chinesisches Forschungszentrum zur Organernte) herausgegeben hat. Leider ist der Bericht immer noch aktuell.
Ein Standbein der grausamen, totalitären kommunistischen Regierung Chinas ist die zwangsweise und widerrechtliche Organentnahme von bestimmten Personen und Angehörigen ethnischer und religiöser Gruppen. Manchmal sogar von Gefangenen, die noch am Leben sind. Das bedeutet, dass in der fortschrittlichen, aufgeklärten Welt, in der wir leben, immer noch Menschen auf dem Altar eines monströsen, atheistischen und autoritären Molochs geopfert werden. Noch empörender ist es, dass der Rest der Welt davon weiß – oder zumindest die Möglichkeit hat, es zu wissen. Es gibt nämlich einen ganzen Haufen öffentlich zugänglicher Dokumente, Expertisen, Berichte und Forschungen – die meisten davon sind kostenfrei und vollständig online verfügbar. Dennoch handelt und verhandelt der Rest der Welt immer noch ganz normal auf wirtschaftlicher und politischer Ebene mit dem Regime, das sich die Hände mit Schuld und Blut besudelt hat.
Es gibt gut dokumentierte und wissenschaftlich abgesicherte Beweise für diese abscheuliche Praxis. Menschen mit großen Namen haben unermüdlich und peinlich genau in diesem Feld recherchiert, um den sprachlosen und unbesungenen Opfern dieser Verbrechen eine Stimme zu geben. Zu diesen Menschen gehören David Matas, ein internationaler Menschenrechtsanwalt, Autor und Forscher aus Winnipeg (Kanada), der zurzeit als Senior-Rechtsberater für B’nai Brith Canada tätig ist, und David Kilgour, ein ehemaliger Minister des kanadischen Kabinetts, Parlamentsabgeordneter, Staatsanwalt, Autor, Kolumnist und Menschenrechtsaktivist.
Beide sind Kandidaten für den Friedensnobelpreis. Zusammen haben sie den Bericht Bloody Harvest: Revised Report into Allegations of Organ Harvesting of Falun Gong Practitioners in China (Blutige Ernte: Aktualisierter Bericht über die Vorwürfe zur Organernte bei Falun Gong-Praktizierenden in China) herausgegeben, der allgemein als „Kilgour & Matas Report“ bekannt ist. Er wurde 2007 veröffentlicht und 2008 aktualisiert und ist auch auf Chinesisch verfügbar: 血淋淋的器官摘取: 关于指控中共摘取法轮功学员器官的独立调查报告修订版. Zusammen mit Ethan Gutmann, einem in London ansässigen China-Experten und Investigativjournalisten für Menschenrechte, haben sie die International Coalition to End Transplant Abuse in China (ETAC, deutsch: Internationale Koalition zur Beendigung des Transplantat-Missbrauchs in China) gegründet.
Dr. Torsten Trey, der Gründer und Geschäftsführer der Interessengruppe für ethische Medizin Doctors Against Forced Organ Harvesting, DAFOH, gehört zu den Anführern der globalen Bewegung gegen Zwangsorganernte in China. Er hat bereits einen Beitrag zu diesem Thema in Bitter Winter veröffentlicht. Außerdem hat Trey zusammen mit Theresa Chu auch eine wichtige Sammlung von Essays (An Unprecedented Evil Persecution: A Genocide Against Goodness in Humankind) herausgegeben. Chu ist eine in den USA lebende, international tätige Menschenrechtsanwältin.
Bitter Winter hat sie diesen März in Taipei (Taiwan) getroffen und zwar bei der Folgeveranstaltung zu dem im Jahr 2018 vom US-Außenministerium in Washington D.C. organisierten Gipfeltreffen zur Förderung der Religionsfreiheit unter dem Titel „A Civil Society Dialogue on Securing Religious Freedom in the Indo-Pacific Region“ (Deutsch: Zivilgesellschaftlicher Dialog zur Sicherung der Religionsfreiheit im Indisch-Pazifischen Raum). Chu hatte an dieser Veranstaltung zusammen mit Willie Huang teilgenommen, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Taiwan Association for International Care of Organ Transplants, welche die englische Übersetzung des erwähnten Buchs (前所未有的邪惡迫害─滅絕人類的善性) ermöglicht hat, das ursprünglich 2015 im Broad Press Inc.-Verlag auf Chinesisch erschienen ist.
Darüber hinaus gehört auch Dr. Huige Li, Professor am Institut für Pharmakologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, zu den besten und weltweit führenden Experten auf dem Gebiet dieser gegen Gesetz und Moral verstoßenden Ausbeutung menschlicher Organe durch die chinesische Regierung. Li ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher Veröffentlichungen und war vor kurzem Zeuge bei den Anhörungen des China-Tribunals (einem unabhängigen Volksgericht in London, das eingerichtet wurde, um die Zwangsorganernte von – unter anderem – Gewissensgefangenen in China zu untersuchen). Bitter Winter hat bereits mehrmals über dieses Tribunal berichtet.
Das grauenerregende Thema der „Humanernte“ kam bereits auf dem Gipfeltreffen zur Förderung der Religionsfreiheit im Juli 2018 und bei einer Debatte im Britischen Parlament im März dieses Jahres mit gebührender Gewichtung zur Sprache. Das ist tatsächlich ein beachtlicher Fortschritt, doch es bleibt noch viel zu sagen und zu unternehmen. Bitter Winter hat daher mit Professor Li gesprochen. Ausgangspunkt unseres Gesprächs war der mittlerweile bekannte, auf der investigativen Arbeit der bereits erwähnten Menschenrechtler Matas und Kilgour basierende Dokumentarfilm Human Harvest (活摘) des Filmemachers Leon Lee aus Vancouver (Kanada).
BW: Mittlerweile ist der Kinofilm Human Harvest – dessen Trailer auf YouTube zu finden ist, und der in voller Länge auf Vimeo kostenpflichtig angesehen werden kann – ziemlich berühmt. Dennoch kennen ihn viele Menschen noch nicht. Können Sie für unsere Leser kurz dessen Inhalt wiedergeben?
Human Harvest ist ein Dokumentarfilm von Flying Cloud Productions und hat den Peabody Award und weitere Preise gewonnen. Der Film beginnt mit Geschichten von taiwanesischen Patienten, die nach China reisten und innerhalb weniger Wochen Organtransplantate erhielten. Vor 2010 besaß China noch kein Organspendensystem und die chinesischen Beamten behaupteten, die Organe stammten von hingerichteten Gefangenen. Die Zahl der Hinrichtungen war jedoch viel zu niedrig, um damit die vorgenommenen Transplantationen erklären zu können – ganz zu schweigen von der extrem kurzen Wartezeit, die weltweit einmalig ist.
Die Nachforschungen von David Matas und David Kilgour sowie von anderen Menschenrechtsaktivisten ergaben, dass die Organe vornehmlich von Gewissensgefangenen stammten, die außergerichtlich getötet worden waren – ein Verbrechen, das im Jahr 2000 begann. Bei den meisten Opfern handelte es sich um Falun Gong-Praktizierende, Angehörige einer spirituellen Bewegung, die in China seit 1999 verfolgt wird.
BW: In einer Filmfassung werden auch Sie gezeigt. Welche Rolle spielten Sie bei den Nachforschungen, auf denen der Film basiert?
2016 veröffentlichte der Fernsehsender 3sat eine deutsche Fassung von Human Harvest unter dem Titel Ausgeschlachtet. Organe auf Bestellung. Für diese Fassung führte 3sat ein Interview mit mir und integrierte meine Anmerkungen in das deutsch synchronisierte Filmmaterial. Diese deutsche Fassung war eigentlich eine Reproduktion von 3sat. Mein Beitrag bestand darin, dass ich die Situation in China erklärte: Zum Beispiel warum nicht alle Organe der Hingerichteten für eine Transplantation verwendet werden konnten. Doch die Hauptaussage des Films blieb unverändert, er basierte weiterhin vornehmlich auf den Nachforschungen von Matas und Kilgour.
BW: Jahrelang litt besonders die Falun Gong-Bewegung unter dem Blutvergießen der Organernte. Wir wissen, dass mittlerweile auch andere Gemeinschaften von diesem Grauen betroffen sind, aber als der Film herauskam, waren es vor allem Falun Gong-Praktizierende, die zum Opfer wurden. Warum Falun Gong?
Die brutale Verfolgung dieser Bewegung durch die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) hat das Verbrechen der Organernte überhaupt erst möglich gemacht. Warum wurde Falun Gong verfolgt? Das steht ganz richtig im Freedom House-Bericht von 2017: Es geht dabei um das Ringen der KPCh nach der Oberherrschaft über die Geisteshaltung in China. Falun Gong war die größte religiöse Einzelgruppe, die nach der Kulturrevolution ausgesprochen schnell größer wurde. Aus diesem Grund wurde Falun Gong zur Zielscheibe der KPCh.
Die Kampagne zur Auslöschung der Bewegung begann in den 1990ern, als das Internet noch nicht so verbreitet war wie heute, sodass die Menschen in China nur begrenzten Zugang zu unabhängigen Informationen hatten. Aus diesem Grund konnte die KPCh mit ihrer gegen Falun Gong gerichteten Propaganda so wirkungsvoll viele Chinesen davon überzeugen, dass Falun Gong-Praktizierende es verdienen, getötet zu werden. Manche der Ärzte, die an diesem Organverbrechen beteiligt waren, haben vielleicht sogar geglaubt, dass sie etwas Gutes täten, nämlich den Feind zu töten und mit den Organen des Feindes Patienten zu helfen.
BW: Das ist entsetzlich. Warum fürchtet die KPCh Falun Gong so sehr?
Die KPCh fürchtet nicht nur Falun Gong. Sie fürchtet jede Gruppe, die groß ist und wächst. Vor allem religiöse Gruppen. Heutzutage werden auch zunehmend Christen in China verfolgt – einfach nur, weil ihre Zahl so rapide ansteigt.
BW: Wie ist die Situation von Falun Gong im heutigen China? Wie viele der Praktizierenden gibt es dort noch? Wie sieht es außerhalb Chinas aus?
Falun Gong hat trotz der brutalen Verfolgung in China überlebt. Freedom House schätzt, dass mindestens sieben bis zehn Millionen Menschen in China heute Falun Gong praktizieren. Die Zahl der Falun Gong-Praktizierenden im Ausland schätzen Falun Gong-Quellen auf insgesamt 20 bis 40 Millionen. Tatsächlich hat die KPCh-Verfolgung das Wachstum Falun Gongs im Ausland beschleunigt. Falun Gong hat sich mittlerweile auf über 100 Länder ausgebreitet und Zhuan Falun, das Hauptbuch der Bewegung wurde in 40 Sprachen veröffentlicht.
Die KPCh hat eigens eine Polizeibehörde eingerichtet, um gegen die unerlaubten, verbotenen Religionen vorzugehen, die von der Regierung als „Nicht-Religionen“ betrachtet und als xie jiao eingestuft werden: Das berüchtigte Büro 610. Es wurde mittlerweile aufgelöst und seine Aufgaben wurden an andere Staatsbehörden übertragen, doch es hat eine wichtige Rolle bei der Zwangsorganentnahme von Gewissensgefangenen gespielt.
Bevor die KPCh offiziell die Kampagne gegen Falun Gong ins Leben gerufen hat, hat sie eine „Zentrale Führungsgruppe für den Umgang mit Falun Gong-Fragen“ geschaffen, unter der ein „Büro der Führungsgruppe für den Umgang mit Falun Gong-Fragen“ eingerichtet wurde. Dieses ist intern als Büro 610 bekannt – ein Name, der auf dem Gründungstag des Büros, dem 10. Juni 1999, beruht. Dieses Büro wird in Kapitel VII des COHRC-Berichts von 2018 (Transplant Abuse in China Continues Despite Claims of Reform) erwähnt. Die Struktur des Büros 610 erstreckte sich von der Spitze der Partei, der Regierung und des Militärs bis hin zu deren Basis. Das Büro 610 hatte die Befugnis, alle Polizei- und Rechtsorgane zu befehligen.
Es spielte eine Schlüsselrolle, als es darum ging, die Beschaffung von Organen Falun Gong-Praktizierender auf Anfrage zu ermöglichen. Aktuelle Nachforschungen von südkoreanischen Journalisten aus dem Jahr 2017 und von BBC und anderen aus dem Jahr 2018, haben ergeben, dass die Wartezeit auf Organe in China zwischen ein paar Tagen und ein paar Wochen dauert. So ein On-Demand-System für Organe auf Nachfrage ist nur mit einem riesigen, lebenden Organpool möglich. Das bedeutet, dass die vom Staat sanktionierte Organkriminalität immer noch durchgeführt wird. Das ist ohne das Büro 610 und dessen Nachfolger nicht möglich.
BW: Ich war immer schockiert über die hohe Zahl an Todesurteilen, die jedes Jahr über Gewissensgefangene in China verhängt werden. Weltbekannte Organisationen wie Amnesty International weisen darauf hin, dass wir nicht wirklich wissen, wie viele davon jährlich vollstreckt werden, da die Zahlen als Staatsgeheimnis gelten. Wir können jedoch mit Sicherheit davon ausgehen, dass es Tausende sind. Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Zahl der jährlich über Gewissensgefangene verhängten Todesurteile in China und der benötigten Zahl an Organen für den internationalen illegalen Handel mit menschlichen Körperteilen?
Wir müssen zwischen zwei unterschiedlichen Arten von Gefangenen unterscheiden: Gefangene, die zum Tode verurteilt wurden, und Gewissensgefangene. Die chinesische Regierung behauptet, dass vor 2010 die meisten Organtransplantate von zum Tode verurteilten Gefangenen gestammt hätten. Die Zahl der Zum-Tode-Verurteilten ist jedoch – selbst gemessen an den höchsten Schätzungen – zu niedrig, um die Zahl der durchgeführten Transplantationen zu erklären. Die Zahl der Transplantationen hat nach 2007 sogar noch zugenommen, während die offizielle Zahl der Hinrichtungen gesunken ist. Deshalb stammt der Großteil der Organe nicht von Gefangenen, die zum Tode verurteilt wurden, sondern von Gewissensgefangenen, die außergerichtlich hingerichtet wurden, das heißt, für die kein rechtmäßiges Todesurteil vorlag.
BW: Die chinesische Regierung behauptet, dass „Humanernte“ der Vergangenheit angehört und mittlerweile nicht mehr praktiziert wird. Sie sagt, dass diese Praxis 2015 beendet wurde. Stimmt das?
China hat 2005 zum ersten Mal zugegeben, dass es Organe von Gefangenen aus der Todeszelle erntet. Zehn Jahre später hat es verkündet, dass es nach 2015 keine Organe von Gefangenen mehr verwenden würde. Allerdings wurde diese Bekanntmachung nicht von irgendwelchen Änderungen in den Gesetzen und Vorschriften zur Organspende begleitet. Chinas Beamte hatten auch geplant, die Organe der Gefangenen mit in das System der freiwilligen Spender aufzunehmen, um diese als freiwillige Bürgerspenden auszuweisen. Einige Kollegen und ich haben erkannt, welchen semantischen Trick sie dabei angewendet haben. Bis heute hat China nicht zugegeben, dass es Organernte an Gewissensgefangenen vornimmt.
BW: Sie haben die freiwilligen Spender-Programme erwähnt. Können diese Programme wirklich die Zahl an Organen liefern, die angefragt werden?
Die chinesische Regierung behauptet, dass alle nach 2015 transplantierten Organe von freiwilligen Spendern stammen. Das kann jedoch nicht stimmen.
Lassen Sie uns einmal die offiziellen Zahlen aus China für das Jahr 2017 mit denen aus den USA vergleichen. Die USA hat ungefähr 130 Millionen registrierte Organspender, von denen in diesem Zeitraum ungefähr 5000 verstarben. Weitere 5000 Spender waren nicht-registrierte Patienten, die auf der Intensivstation gestorben waren. Selbst mit diesen 10 000 verstorbenen Organspendern lag die durchschnittliche Wartezeit für ein Nierentransplantat in den USA im Jahr 2017 bei 3,6 Jahren.
Ende 2017 gab es in China nur 373 536 registrierte Spender. Die Zahl war zu niedrig, um wirklich relevant zu sein. Offizielle chinesische Quellen behaupten, dass 5146 freiwillige Spender im Jahr 2017 verstorben seien, die meisten von ihnen auf Intensivstationen. Das ist fragwürdig. Wenn die Menschen sich nicht selbst als Organspender registrieren lassen wollen, wie kann die Zahl der Organspender auf der Intensivstation dann so hoch sein? Eine aktuelle Studie hat mit forensischen Statistik-Methoden die Organspende-Daten in China im Zeitraum von 2010 bis 2018 untersucht. Dabei wurden Beweise für systematische Fälschungen und Manipulationen entdeckt.
Selbst wenn die Zahl der 5146 freiwilligen Spender der Wahrheit entspräche, wäre es zwar vielleicht möglich, die offizielle Zahl von 15 000 Transplantationen zu erklären, nicht jedoch, die kurze Wartezeit von ein paar Tagen oder Wochen (wie oben erwähnt). Diese kurze Wartezeit ist nur möglich, wenn es einen riesigen, lebenden Organpool gibt, und „Spender“, von denen man nach Bedarf Organe ernten kann.
BW: Der internationale illegale Organhandel ist finanziell betrachtet sehr gewinnbringend. Setzte – und setzt – die chinesische Regierung auf diesen hohen Gewinn?
Die Krankenhäuser profitieren direkt von dem Organhandel. Die Regierung profitiert indirekt. „Reiche“ Krankenhäuser brauchen weniger staatliche Unterstützung.
BW: Heute sind über Falun Gong hinaus auch andere Gruppen betroffen, vor allem die uigurischen Muslime (deren DNA mittlerweile auch erfasst wird) und Angehörige der Kirche des Allmächtigen Gottes, einer neuen und schnell wachsenden christlichen Religionsbewegung, sind Opfer von Organentnahmen. Warum?
Auch das sind gefährdete Gruppen in China und die aktuelle Lage ist sehr ernst. Zum Glück ist Chinas Praxis der Organernte mittlerweile weithin bekannt und die internationale Aufmerksamkeit ist recht hoch. Das sind Faktoren, welche die Situation für diese Gruppen im Vergleich zur Situation von Falun Gong in den 2000ern etwas besser machen. Die intensive Berichterstattung durch die internationalen Medien und Menschenrechtsgruppen kann hoffentlich verhindern, dass diese Gruppen ebenso systematisch durch die KPCh beerntet werden. Aus diesem Grund ist es sehr wichtig, dass die internationale Gemeinschaft weiterhin Druck auf China ausübt.
Im Februar wurde Huang Jiefu (der heute Vorsitzender des Nationalen Organspende- und Transplantation-Komitees in China und stellvertretender chinesischer Gesundheitsminister ist) dazu eingeladen, auf einer von der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften organisierten Konferenz zum illegalen Organhandel eine Rede zu halten. Diese Rede hat viele beeindruckt und das führt mich zu einer wichtigen Frage: Die Regierung in Peking tendiert zu der Aussage, dass Zwangsentnahmen menschlicher Organe nicht von der chinesischen Regierung selbst in Auftrag gegeben wurden (werden), sondern von „Privat“-Leuten und Unternehmen. Diese Entschuldigung wird auch dazu verwendet, die Schuld anderen zuzuschieben und den Unschuldigen zu spielen. Wir wissen natürlich alle, dass in China alles vom Staat kontrolliert wird und es keinen „privaten“ Sektor gibt, der dafür verantwortlich sein könnte. Gibt es Dokumente darüber, dass der tatsächliche Verantwortliche für dieses schreckliche Blutvergießen das Regime selbst, d.h. die KPCh und der Staat/die Regierung, ist?
Mit der 2015 angekündigten Reform hat China einen falschen Eindruck erweckt. Dadurch hat China Anerkennung und Rückendeckung internationaler Organisationen gewonnen. Viele akademische Institutionen und Unternehmen haben ihre Zusammenarbeit mit der chinesischen Transplantationsindustrie wieder aufgenommen, ohne die tatsächliche Lage zu überprüfen.
Organkriminalität in China unterscheidet sich von jener aller anderen Länder. Die kurzen Wartezeiten für Organe kommen nicht nur hier und da in ein oder zwei Krankenhäusern vor, sondern in fast allen Krankenhäusern des Landes. Es geschieht auch nicht nur zu bestimmten Zeiten, sondern durchgängig und zuverlässig von den 2000ern an bis heute. Dahinter muss ein System stecken. „Private“ kriminelle Gruppen können nicht eine so hohe Zahl von Organen liefern und ein On-Demand-System für Organe entwickeln. Dies ist nur mit staatlicher Unterstützung möglich.
Darüber hinaus wurden Nachforschungen über hochrangige, chinesische Regierungsvertreter angestellt. Die Ergebnisse der Nachforschungen müssen noch von dritter Seite überprüft werden, doch sie legen nahe, dass der frühere KPCh-Führer Jiang Zemin die Organernte von Falun Gong-Praktizierenden angeordnet hatte, und dass das Komitee für Politische und Rechtliche Angelegenheiten der KPCh, zu dem auch das Büro 610 gehörte, eine Schlüsselrolle bei diesem Verbrechen gespielt hat (siehe Punkt IV. Phone Calls in Kapitel VIII des COHRC-Berichts von 2018).
Stimmt es, dass in manchen Fällen sogar Organe von lebenden Gefangenen entnommen wurden (werden), um frischere Organe zu erhalten?
Zu den ethischen Grundprinzipien bei der Transplantation lebenswichtiger Organe gehört die Regel, dass der Spender bereits tot sein muss. Das bedeutet, dass der Organspender vor der Entnahme gestorben sein muss, und dass nicht die Entnahme selbst der Grund für den Tod des Spenders sein darf. Doch wir haben Beweise dafür, dass in China zahlreiche Organe aus den Körpern von Lebenden entnommen wurden, die bei der Entnahme starben. Dies wird als „Lebendorganernte“ bezeichnet. Das muss nicht unbedingt bedeuten, dass die Organe ohne Betäubung entnommen werden. Es bedeutet, dass die sogenannten „Spender“ zu Beginn der chirurgischen Organentnahme noch am Leben waren (ob mit oder ohne Betäubung). Bei meiner Stellungnahme für das China-Tribunal habe ich mich auf die vorliegenden Beweise gestützt. Dabei habe ich die Praxis der Organernte in China in vier Kategorien unterteilt:
Zur ersten Kategorie gehört die Organernte von Gefangenen, die bei der Hinrichtung durch Erschießen nicht gestorben sind. Es gibt gut dokumentierte Fälle, in denen der Schuss bewusst in die rechte Brustseite und nicht in den Kopf des Gefangenen abgegeben wurde. So sollte der Blutkreislauf aufrechterhalten werden, um die Qualität der geernteten Organe zu verbessern. In diesen Fällen wurden die Organe ohne Betäubung von noch lebenden Menschen geerntet (siehe unsere Veröffentlichung in BMC Medical Ethics).
In die zweite Kategorie fallen Gefangene, die Todesspritzen erhalten haben. In China wird der Betroffene zehn Sekunden nach Beginn der tödlichen Injektion für tot erklärt. Zu diesem Zeitpunkt werden jedoch weder die allgemeinen Kriterien für einen Herztod noch für einen Hirntod erfüllt. Die Organentnahme bei Gefangenen nach Verabreichung der Todesspritze wird unter der Bedingung durchgeführt, dass die Gefangenen noch am Leben sind (siehe unsere Veröffentlichung in Cambridge Quarterly of Healthcare Ethics).
Zur Kategorie 3 zählen Hinrichtungen durch Organentnahme. Dies kommt sehr wahrscheinlich bei Gewissensgefangenen vor, deren Organe geerntet werden. Da es kein Todesurteil gibt, ist eine Hinrichtung (wie bei Kategorie 1 und 2) bei den Gewissensgefangenen vor der Organentnahme nicht nötig. Aus diesem Grund ist die Organentnahme bei Gewissensgefangenen fast immer eine Lebendorganernte, denn die Organqualität würde schlechter, wenn die Gefangenen vor der Entnahme getötet würden. Die Organe werden aus lebenden Körpern entnommen, sehr wahrscheinlich unter Betäubung, so wie bei einer normalen Operation – mit dem einzigen Unterschied, dass die Entfernung der lebenswichtigen Organe zum Tod des Gefangenen führt. In einer chinesischen Fachzeitschrift für Medizin gibt es einen Bericht über ein solches Verfahren (siehe unsere Analysen).
Kategorie 4 umfasst die Organernten unter dem Vorwand, der Hirntod sei eingetreten. In zahlreichen in China veröffentlichten medizinischen Abhandlungen heißt es, die transplantierten Organe stammten von „hirntoten Spendern“, obwohl das bei der Organentnahme angewandte Vorgehen das Gegenteil zeigte: In diesen Fällen war klar, dass keine Überprüfung bezüglich eines Hirntods vorgenommen worden war, weil die Spender vor der Organentnahme nicht an Beatmungsgeräte angeschlossen wurden (d.h. es wurde kein Apnoe-Test durchgeführt). Darüber hinaus gibt es in einigen dieser Fälle unzweifelhafte Hinweise darauf, dass bei der Organentnahme das Herz des Spenders noch arbeitete. Das bedeutet, dass diese Spender weder die Kriterien für einen Hirn- noch für einen Herztod erfüllten – die Organe wurden von lebenden Patienten entnommen (siehe meeting abstract P107B).
BW: In welchem Jahr begann die „Humanernte“ im Allgemeinen und wann die Lebendorganernte im Besonderen?
Die Geschichte der Lebendorganernte in China ist fast so alt wie die Geschichte der chinesischen Transplantationsmedizin selbst. Der erste gut dokumentierte Fall einer Lebendorganernte, die an einem politischen Gefangenen vorgenommen wurde, datiert vom 30. April 1978. Opfer war die Lehrerin Zhong Haiyuan. Über weitere Fälle von Lebendorganernte bei politischen Gefangenen wurde in den 1990ern aus Xinjiang berichtet. Die systematische Lebendorganernte etablierte sich in China jedoch erst nach 2000.
Es ist natürlich sehr schwierig, aber gibt es irgendwelche Zahlen oder Schätzungen bezüglich dieses Blutbads? Wie viele Menschen wurden insgesamt für die Organernte missbraucht und getötet? Wie viele pro Jahr? Wie viele davon waren Falun Gong-Praktizierende?
Es ist tatsächlich schwierig, genauere Schätzungen abzugeben, da die Situation in China so intransparent ist. Wir können mit Sicherheit davon ausgehen, dass die offizielle Zahl von 10 000 Transplantationen pro Jahr deutlich unter der wirklichen Zahl liegt. 2006 wurde berichtet, dass jedes Jahr ungefähr 1000 südkoreanische Patienten nach China reisen, um Transplantationen vornehmen zu lassen. Es heißt, dass 2006 insgesamt über 11 000 ausländische Patienten in China Organtransplantate erhalten hätten (was als Transplantationstourismus bezeichnet wird). Es ist also sehr wahrscheinlich, dass die tatsächliche Zahl der Transplantationen (also die der ausländischen und inländischen Patienten zusammengenommen) bei mehreren Zehntausend pro Jahr liegt, wobei die Mehrzahl der Organe von Falun Gong-Praktizierenden stammt.
BW: Vor kurzem hat eine weltweit erste Studie zur Massenrücknahme von über 400 wissenschaftlichen Abhandlungen über Organtransplantationen aufgerufen, weil befürchtet werden muss, dass die Organe auf unethische Art und Weise von chinesischen Gefangenen entnommen wurden. Was ist Ihre Meinung dazu?
Diese Veröffentlichung zeigt, dass es der internationalen Gemeinschaft nicht gelungen ist, die eigenen ethischen Standards einzuhalten. Leider haben zahlreiche Organisationen und Verbände nicht erkannt, dass Transplantat-Missbrauch in China ein ernstes Problem darstellt und mit schweren Menschenrechtsverletzungen einhergeht.
BW: Seit Dezember 2018 beschäftigt sich das China-Tribunal mit den Verbrechen der KPCh-Regierung. Das Tribunal hat ein ungewöhnliches und aufsehenerregendes Zwischenurteil veröffentlicht. Das endgültige Urteil wird in den nächsten Tagen erwartet. Vor dem Gericht wurden zahlreiche Zeugen angehört und eine Menge Beweise gesammelt. Auch Sie haben dort ausgesagt. Könnten Sie unseren Lesern darüber berichten?
Das China-Tribunal wurde von der ETAC initiiert, einer internationalen, wohltätigen und regierungsunabhängigen Non-Profit-Organisation, die aus einer Koalition von Rechtsanwälten, Wissenschaftlern, Ethikern, medizinischen Fachleuten, Forschern und Menschenrechtsaktivisten besteht, die für ein Ende der Zwangsorganernte in China kämpfen.
Ziel des Tribunals ist es, herauszufinden, ob – und wenn ja, welche – Straftaten vom Staat oder von staatlich sanktionierten Körperschaften/Organisationen/Personen begangen wurden, die an Zwangsorganernten beteiligt gewesen sein könnten.
Professor Wendy Rogers, Vorsitzende des Internationalen Beratungskomitees von ETAC erklärte: „Das Tribunal ist eine berechtigte Reaktion auf die anhaltenden und ausgesprochen glaubwürdigen Vorwürfe, dass in China Gewissensgefangene wegen ihrer Organe getötet werden. Um auf Verbrechensvorwürfe in dieser Größenordnung zu reagieren, muss die internationale Gemeinschaft eine belastungsfähige Rechtsanalyse in Bezug auf die staatlichen oder staatlich sanktionierten Körperschaften/Organisationen in China durchführen, die an Zwangsorganernten beteiligt waren. Das Tribunal wird diese Analyse zusammen mit einem transparenten und endgültigen Bericht über die Beweise für eine Zwangsorganernte vorlegen.“
Seit März 2018 hat das Tribunal Hunderte von Dokumenten ausgewertet – darunter auch die Berichte von David Matas, David Kilgour, Ethan Gutmann und dem China Organ Harvest Research Center. Das Tribunal hat Dutzende von Experten und Zeugen sowie Verwandte von Opfern eingeladen und in der Zeit vom 08. bis zum 10. Dezember 2018 drei ganztägige Anhörungen durchgeführt. China war ebenfalls eingeladen, verweigerte jedoch die Teilnahme. Am 10. Dezember (dem Tag der Menschenrechte) verkündete das Tribunal sein Zwischenurteil: „Die Mitglieder des Tribunals sind alle überzeugt – und zwar einhellig und ohne jeglichen begründeten Zweifel – dass in China Zwangsorganernten an Gewissensgefangenen über einen beträchtlichen Zeitraum hinweg vorgenommen wurden und eine erhebliche Zahl an Opfern davon betroffen war.“
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Erschienen bei Bitter Winter.
Marco Respinti ist ein italienischer Berufsjournalist, Essayist, Übersetzer und Lektor. Er schrieb und schreibt Beiträge für mehrere Print- und Online-Journale und -Magazine in und außerhalb Italiens. Eines seiner Bücher, das 2008 veröffentlicht wurde, beschäftigt sich mit den Menschenrechten in China. Er ist leitendes Mitglied des Russell Kirk Center for Cultural Renewal einer unparteiischen, US-amerikanischen Non Profit-Bildungsorganisation mit Sitz in Mecosta (Michigan) und sowohl Gründungs- als auch Vorstandsmitglied des Center for European Renewal, einer unparteiischen, europaweiten Non Profit-Bildungsorganisation mit Sitz in Den Haag (Niederlande). Er ist Verantwortlicher Leiter von The Journal of CESNUR und Bitter Winter.