Von Prof. Dr. Hans-Christian Günther
Eine Untersuchung des Wall Street Journal enthüllt, was in Chinas wachsendem Netzwerk von Internierungslagern, wo Hunderttausende von ethnischen Uiguren festgehalten werden, vorgeht. Wie WSJ berichtet, habe China sein Internierungsprogramm, das ursprünglich auf ethnische uigurische Extremisten zielte, scharf erweitert.
Inzwischen halte China eine unglaublich große Zahl von Personen der weitgehend muslimischen Minderheit in über den ganzen Nordosten verstreuten Lagern gefangen. Dazu gehörten auch säkulare Personen sowie alte und gebrechliche Menschen, berichtet der WSJ.
Bis zu einer Million, etwa sieben Prozent der muslimischen Bevölkerung in der chinesischen Region Xinjiang, sind nach staatlichen Beamten der USA und Experten der Vereinten Nationen jetzt in einem sich erweiternden Netzwerk von „politischen Umerziehungslagern“ eingesperrt.
Während die Lager an Größe gewachsen seien, sagen Uiguren, die außerhalb von China leben, gegenüber dem WSJ, dass Verwandte von ihnen – zumeist, doch nicht immer ältere Menschen – während oder kurz nach ihrer Entlassung gestorben seien.
Vom Wall Street Journal und einem Experten in Fotoanalyse untersuchte Satelliten Bilder zeigen, dass die Lager gewachsen sind. In den letzten Wochen wurden an einigen Bauarbeiten durchgeführt. Einschließlich an einem westlich von Kaschgar, das Reporter des Journals letzten November besucht hatten.
Der volle Umfang des Internierungssystems war lange Zeit deswegen im Dunkel, weil viele Uiguren sich fürchteten auszusagen, so WSJ. Jetzt erzählen mehr von ihren Erfahrungen, einschließlich von sechs früheren Häftlingen, die das Journal interviewt hat; sie beschrieben, wie sie oder andere Gefangene an Stühle gebunden wurden oder kein adäquates Essen erhielten.
„Man sprach mit uns auch über Religion, man sagte, es gebe keine Religion, warum glaubst du an Gott, es gibt keinen Gott“, zitiert das Blatt den 22-jährigen Uiguren „Ablikim“, ein ehemaliger Lagerinsasse, der darum gebeten habe, anonym zu bleiben.
WSJ sprach auch mit drei Dutzend Verwandten von Häftlingen; fünf davon berichteten, dass Familienmitglieder in den Lagern oder kurz nach der Entlassung gestorben seien. Viele sagten, sie mussten dafür kämpfen, zu erfahren, wo ihre Verwandten festgehalten wurden oder was ihr Gesundheitszustand sei.
Ein hochrangiger chinesischer Staatsbeamte von der Abteilung ,Vereinte Arbeitsfront‘, hat in der vergangenen Woche zum ersten Mal öffentlich zugegeben, dass es die Lager gibt, er sagte jedoch, es seinen Zentren zur beruflichen Bildung.
In seiner Antwort vor der UN-Kommission sagte er, es gebe keine ,,willkürlichen Verhaftungen“, und er bestritt, dass eine Million inhaftiert seien. Er sagte nicht, wie viele Personen sich in den Zentren befinden.
China kämpfte jahrzehntelang separatistische Gefühle unter seiner turksprachigen uigurischen Bevölkerung zu unterdrücken, die zweimal, in den dreißiger und vierziger Jahren, staatliche Unabhängigkeit erreichten. Einige der 11 Millionen Uiguren streben immer noch nach einer eigenen Heimat in dem ölreichen Gebiet, das sie Ostturkestan nennen.
Peking beschuldigt die Uiguren dutzender Attacken auf Regierungseinrichtungen und behauptet, sie hätten jihadistische Verbindungen. Einige jüngere Angriffe tragen jihadistische Züge und Antiterrorexperten behaupten, Dutzende von Uiguren hätten sich dem IS in Syrien und Irak angeschlossen.
Trotzdem behaupten viele Experten für die Region und uigurische Aktivisten, dass der Unmut viel eher durch Chinas harte Hand bei seiner Polizeiüberwachung, seiner starken Einschränkung religiöser Aktivitäten und bevorzugte Behandlung von nicht-uigurischen Einwanderern in die Region getrieben wird.
China hat viele dieser Repressalien in der letzen Zeit verstärkt: es hat Männern verboten, Bärte wachsen zu lassen, Frauen ein Kopftuch zu tragen; man hat nach Expertenmeinung das umfassendste elektronische Überwachungssystem der Welt eingerichtet. Der Ausbau des Internierungssystem weist darauf, dass China inzwischen bestrebt ist, jedes Gefühl einer islamischen Identität unter Uiguren und anderen islamischen Minderheiten auszulöschen, und zwar in dem größten Programmen von außergerichtlichen Massenverhaftungen seit den fünfziger Jahren, so formulieren es Forscher.
„Umerziehung ist die nächste Stufe“, sagt Adrian Zentz, ein Forscher an der European School of Culture and Technology in Deutschland, dem WSJ. Strenge Polizeikontrollen waren teuer und führten zu Spannungen, sagte er. ,,Somit ist die langfristige Lösung, die Leute tatsächlich zu verändern“.
Ablikim, der aus Turpan stammt, sagte, er studierte internationale Beziehungen in Kazakhstan, als die Polizei vom Turpan ihn im Februar anrief und ihn warnte, seine Familie werde in Schwierigkeiten kommen, wenn er nicht nach Xinjiang zurückkehre.
Als er ankam, nahm in die Polizei zu einem Gebäudekomplex in den Außenbezirken von Turpan mit Stacheldraht und bewaffneten Wachen.
Ablikim sagte, er wurde dort tagelang verhört; dabei verbrachte er je neun Stunden am Stück mit Knöcheln und Händen an einen Stuhl gefesselt. Die Hände waren dabei in Handschellen. Beim Verhör wollte man wissen, ob er mit religiösen Gruppen im Ausland in Verbindung stehe. Er sagte nein. Schließlich erlaubte man ihm, zu den anderen Insassen zu gehen. Die Gefangenen wurden um 5 Uhr jeden Morgen geweckt, und nach 45 Minuten Umherrennen, bei dem man riet: ,,Die kommunistische Partei ist gut!“, gab es dünne Suppe und gedämpftes Brot zu essen. Danach gab es politische Klassen, die das Lesen von Dokumenten der kommunistischen Partei beinhalteten, man schaute sich Videos vom Xi Jinping an, sang Lieder wie ,,Ohne die kommunistische Partei gäbe es kein neues China!“, und das bis zu vier Stunden pro Tag. Er und andere ehemalige Insassen, die vom Journal interviewed wurden, sagten, man wies sie an, nicht zu beten, kein Exemplar des Qurans zu besitzen, im Ramadan nicht zu fasten. Einige sagten, sie wurden gezwungen, Schweinefleisch zu essen, was der Islam verbietet.
,,Sie sagten uns, wir sollten nicht Allah Dank sagen, sondern Xi Jinping“, sagte ein ehemaliger uigurischer Häftling, der nicht identifiziert werden wollte.
Im letzten Monat hat das US State Department seinen bislang kritischsten Bericht abgegeben, indem es seine Besorgnis darüber aussprach , dass Hunderttausende, möglicherweise Millionen von Uiguren und anderen Muslime interniert seien. Es stellte auch fest, dass es Nachrichten über Todesfälle in den Lagern gebe.
Der finnische Bürger, Murat Harri Uyghur, 33, sagte dem WSJ, seine Mutter Tiemuer Guihuahan, 57, frühere Beamtin und Journalistin für die staatliche Zeitung von Turpan Stadt in Xinjiang, sei letztes Jahr in ein Umerziehungslager gebracht worden. Herr Uyghur, ein Arzt, sagte, er schwieg zunächst, um seinen Vater zu schützen. Im Januar verschwand sein Vater, Wufuer Saitinyazi, 57, ebenfalls. Herr Uyghur sagte, dass er im Februar am Flughafen von Shanghai gezwungen wurde, alle seine Kleider in einem Raum zum Verhör abzulegen. Seine Stimm wurde registriert, während er laut auf Uigurisch las. Sein Verlangen, das finnische Konsulat zu kontaktieren, wurde abgelehnt.
Chinas Außenministerium teilte in einer gefaxten Erklärung mit, dass ,,alle ethnischen Gruppen in Xinjiang in Harmonie lebten.“ ,,Es ist nutzlos, Gerüchte und Verleumdungen zu verbreiten“, so das Ministerium. Chinas Ministerium für öffentliche Sicherheit, weigerte sich, auf Fragen Auskunft zu geben, ebenso die regionale Polizei und Verwaltung.
Uyghur habe letztes Jahr von seinen Vater erfahren, dass seine 57-jährige Mutter aus Turpan in eine ,,Schule“ gebracht worden sei, ,,um patriotische Dinge zu lernen.“ Im Januar wurde sein Vater, ein Diabetiker, Regierungsübersetzer in Pension, ebenfalls in ein Lager gebracht. Er beschrieb seine Eltern als säkulare Muslime, die in keinerlei politische Aktivitäten verwickelt waren. Sein Vater trank gelegentlich Alkohol, seine Mutter trug kein Kopftuch.
Er sagte, er habe von keinem von beiden gehört, seit sie eingesperrt worden waren und sei nicht in der Lage gewesen, ihren genauen Verbleib aufzufinden, obwohl Freunde in Turpan ihm sagte, es gebe drei Lager im Umkreis der Stadt. Die Stadtverwaltung und Polizei von Turpan antwortete nicht auf Anfragen. Früher in diesen Monat habe er erfahren, dass seine Tante versucht hatte festzustellen, in welchem Lager sich sein Vater befand.
,,Es ist wie ein schwarzes Loch. Leute verschwinden darin, aber sie kommen nicht mehr heraus“, sagte Herr Uyghur über die Lager. ,,Ich befürchte jetzt das Schlimmste.
Verwandte von Adalet Teyp (63) in Übersee, wurde im Juni gesagt, sie sei während einem Verhör durch die Polizei in Turpan verstorben. Ihre Schwiegertochter, Adalet Rehim, 34, die in Kanada lebt, sagte, Frau Teyp sei vor einem Jahr in ein Umerziehungslager gebracht worden. ,Wir wissen nur, dass sie verstorben ist, sie haben uns die Leiche nicht gezeigt‘, sagte Frau Rehim.
Herr Zentz, ein Forscher in Deutschland, sagte, Chinas lokale Verwaltungen in Teilen Xinjiangs hätten seit 2014 Zentren für ,Transformation durch Erziehung‘ eingerichtet, um Extremismus anzugehen. Die regionale Regierung Xinjiangs habe das Programm formell im April 2017 bestätigt, als es die ,,Regeln zur Entextremisierung“ verkündete, so Zentz gegenüber WSJ.
Herr Zentz schätzt, dass es jetzt bis zu 1.300 Lager gibt. Er fand öffentliche Beschaffungs- und Bauaufträge für 78. Sie reichen von gefängnisartigen Einrichtungen bis zu Schulen mit Extra-Security, wo Besucher nur über Video mit den Schülern kommunizieren können. Die häufigsten Gründe für Inhaftierung sind, nach aussahen von ehemaligen Insassen und Verwandten von Internierten, Reisen ins Ausland, der Kontakt oder ein Besuch bei Verwandten im Ausland, das Installieren von WhatsApp auf dem Handy.
Adalet Rehim, 34, eine Uighurin in Kanada, sagte, sie habe im Juni erfahren, dass ihre Schwiegermutter, Adalet Tayip, während eines polizeilichen Verhörs in Turpan vor drei Monaten verstorben sei. Frau Tayip war bei guter Gesundheit, als sie vor einem Jahr mit ihrem Ehemann in ein Umerziehungslager eingeliefert wurde, sagte sie.
,,Wir wissen nur, dass sie gestorben ist. Man hat uns ihre Leiche nicht gezeigt,“ sagte Frau Rehim. Ihr Schwiegervater sei immer noch im Lager.
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Prof. Dr. Hans-Christian Günther
Geb. am 28.4.1957 in Müllheim / Baden
Professor für klassische Philologie an der Albert-Ludwigs-Universität. Zahlreiche Publikationen und Gastprofessoren. Lange Aufenthalte in der VR China. Im Bereich der Altertumswissenschaft besonderer Schwerpunkt auf der politischen Dichtung der Augusteer und allgemein der Reflexion antiker Autoren auf ihre gesellschaftliche Stellung und Verantwortung
Seit 2004 Tätigkeit im Bereich des Dialogs der Religionen und Kulturen mit zahlreichen Veröffentlichungen.