Ein Gastkommentar von Henriette Wild
Es war ein Satz, der einschlug wie ein Paukenschlag: „Ein Gast mit Hund ist mir lieber als ein Gast mit Kind“, sagte Mario Pulker, Obmann der Gastronomie-Sparte in der österreichischen Wirtschaftskammer.
Seither tobt im Netz ein regelrechter Sturm. Eltern, Familienverbände und Medien reagieren empört, viele Menschen sind sprachlos. Was auf den ersten Blick wie eine unbedachte Äußerung eines Gastronomen klingt, offenbart bei näherem Hinsehen ein gesellschaftliches Problem, das weit über die Grenzen der österreichischen Gaststuben hinausreicht. Auch in Deutschland wird der Ruf nach „kinderfreien Zonen“ lauter. Sei es in Cafés, Restaurants, Hotels.
Doch was steckt dahinter? Ist das wirklich nur eine Frage der Ruhe oder Bequemlichkeit? Oder zeigt sich hier eine tiefere Schieflage im gesellschaftlichen Denken?
Zwischen Ruhebedürfnis und Zukunftsblindheit
Befürworter von Pulkers Aussage argumentieren recht pragmatisch: Gäste mit Hunden seien ruhiger, besser kontrollierbar, hygienischer, Kinder hingegen sind laut, wild, fordernd. Einige Gastronomen berichten sogar, dass sich andere Gäste über lärmende Kinder beschwerten. Laut Umfragen sympathisieren über die Hälfte der Befragten mit der Idee von kinderfreien Zonen in Lokalen.
Doch dieser Wunsch nach Ruhe birgt eine gefährliche Tendenz. Kinder, die verletzlichsten und gleichzeitig wertvollsten Mitglieder unserer Gesellschaft, werden zunehmend als Störfaktor wahrgenommen. Eine Familie mit Kleinkind ist nicht mehr willkommen, sondern oft nur noch geduldet. Eltern berichten von abschätzigen Blicken, genervtem Personal oder sogar expliziten Hinweisen, dass Kinder „nicht erwünscht“ seien.
Gleichzeitig ist der Hund als Sozialpartner längst etabliert. Viele Lokale werben aktiv mit „Hunde willkommen!“, stellen Wasser- und Fressnäpfe bereit. Dass Tiere dabei besser behandelt werden als Kinder, ist eine symbolträchtige Verschiebung, die nicht nur in der Gastronomie zu beobachten ist. Sie wirft die grundlegende Frage auf: Welche Werte trägt unsere Gesellschaft?
Gesellschaft ohne Kinder? Ein lebensgefährlicher Irrtum
Dass Kinder mal laut sind, kleckern oder ungeduldig werden, ist keine Überraschung. Es ist schlicht Teil ihres Wachsens, Lernens und Menschwerdens. Wer Kindern keinen Raum gibt, nimmt ihnen nicht nur die Möglichkeit zur Teilhabe, sondern verdrängt damit auch ihre Existenz aus dem öffentlichen Bewusstsein.
Dabei sind Kinder nicht das Problem, sie sind die Lösung. Sie sind unsere Zukunft in einer Welt, die dringend nach Zukunft sucht. Während Europa unter sinkenden Geburtenraten und demografischem Wandel leidet, diskutieren wir darüber, ob Kinder in Cafés stören. Eine absurde Debatte, wenn man bedenkt, dass ohne Kinder weder Gesellschaft noch Wirtschaft noch Rente überlebensfähig wären.
Wer Kinder aus Lokalen oder Hotels verdrängt, verdrängt in Wahrheit den Gedanken an Gemeinschaft, Vielfalt, Entwicklung. Und gleichzeitig wird jungen Eltern das Gefühl vermittelt, dass sie mit ihrer Familie nicht dazugehören. Eine fatale Botschaft, gerade in Zeiten, in denen wir eigentlich familienfreundlich sein müssten wie nie zuvor.
Wenn Familien auch in Deutschland zur Ausnahme werden
Auch in Deutschland ist die kinderfeindliche Tendenz längst spürbar. Immer mehr Hotels und Gastronomiebetriebe werben offen mit „Adults Only“-Konzepten, diese Angebote gelten ausschließlich für Erwachsene.
Besonders im Wellness- oder Luxussegment finden sich Hotels, die Kinder bewusst ausschließen, häufig mit Altersgrenzen ab 14 oder 16 Jahren. Auch in der Gastronomie gibt es vereinzelte Lokale, die entweder durch explizite Hinweise oder durch fehlende kindgerechte Angebote signalisieren, Familien sind hier nicht erwünscht.
Hochstühle? Fehlanzeige. Kindermenüs? Nicht vorgesehen. In einigen Fällen finden sich sogar Hausordnungen mit Zutrittsverboten für Kinder unter einem bestimmten Alter.
Die Begründung ist dabei oft ähnlich wie in Österreich. Man wolle „Ruhe“ und „ein exklusives Ambiente“ bewahren. Doch während solche Regelungen rechtlich meist zulässig sind, da Kinder nicht als geschützte Diskriminierungsgruppe gelten, werfen sie gesellschaftlich gewichtige Fragen auf.
Denn wo Familien systematisch ausgeklammert werden, entsteht nicht nur ein Markttrend, sondern eine gesellschaftliche Kluft.
Kritiker wie der Deutsche Kinderschutzbund warnen: Eine Gesellschaft, die Kinder aus dem öffentlichen Leben verdrängt, verspielt ihre Menschlichkeit und auch ihre Zukunft.
Gastfreundschaft beginnt bei den Kleinsten
Kinder gehören in die Mitte der Gesellschaft, nicht an ihren Rand. Sie sind keine Last, sondern ein Geschenk. Ja, sie sind laut, neugierig, ungeduldig. Aber genau das macht sie lebendig. Und wer als Gastronomie meint, auf Kinder verzichten zu können, sollte sich fragen, auf wessen Zukunft er da eigentlich verzichtet.
Denn Eltern von heute sind Gäste von morgen und Kinder von heute die Gastgeber der Zukunft. Eine familienfreundliche Atmosphäre ist kein betriebswirtschaftliches Risiko, sondern eine Investition in die Menschlichkeit. Wer heute Kinder willkommen heißt, baut Vertrauen auf. Und Gäste, die sich mit ihrer Familie wohlfühlen, kommen wieder. Sie bringen Leben, Gespräche, Bindung und Wärme mit.
Natürlich darf es Orte der Ruhe geben, zum Beispiel feine Restaurants, ruhige Hotelzonen, stille Cafés. Doch die Haltung dahinter sollte nie ablehnend, nie ausgrenzend sein. Eine Gesellschaft, die ihre Kinder nicht willkommen heißt, sagt auch zu sich selbst Nein.
Die Debatte um Mario Pulkers Hund-statt-Kind-Aussage ist daher mehr als ein Shitstorm, sie ist ein Spiegel. Ein Spiegel, in dem wir sehen, wie sehr unsere Gesellschaft an einem Scheideweg steht. Wollen wir Bequemlichkeit oder Beziehung? Wollen wir Stille oder Zukunft?
Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Wir brauchen keine kinderfreien Zonen. Wir brauchen kinderfreundliche Herzen.
Denn Kinder sind keine Störung. Niemals. Sie sind der Sinn.