Von Prof. Dr. Hans-Christian GüntherAngela Merkels humane Flüchtlingspolitik mag ihr in Deutschland herbe Kritik eingebracht haben, endlich hat sie aber in der muslimischen Welt Früchte getragen: die Palästinenser haben in ihr Mitgefühl so großes Vertrauen, dass sie sich an die Kanzlerin gewendet haben, sich dafür einzusetzen, dass der von Israel geplante Abriss des Beduinendorfes Khan-el-Achmar, der schon lange in der internationalen Kritik steht, aufgehalten wird. Anlässlich ihres Israelbesuches haben ihr sogar palästinensische Kinder mit Plakaten ihr Kinderherz ausgeschüttet. Und ja! Angela Merkel hat einmal in ihrer langen politischen Karriere Rückgrat gezeigt: sie hat die EU-Linie gegen den Abriss vertreten und Netanjahu so verärgert, dass er sie nicht persönlich am Flughafen abgeholt hat. Und sie hat durch ihre kompromisslose Haltung sogar erzwungen, dass das Dorf erst nach ihrer Abreise abgerissen wird. Aber wer Merkels Politik kennt, der weiß, dass sie immer besonnen und ausgewogen ist und den Bedürfnissen allen Seiten Rechnung trägt. Nach solch einem radikalen Einsatz für die palästinensische Sache, hat sie dieses Mal mehr getan, als nur die obligatorischen Floskeln von der ewig währenden deutschen Verpflichtung gegenüber dem jüdischen Staat heruntergebetet: sie ist sogar ein kleines kleines bisschen von der EU-Linie zu den Iransanktionen abgewichen und hat kundgetan, dass sie großes Verständnis für Israels Sorge über iranische Atomwaffen habe. Sie hat auch getreu der Forderung der BILD-Zeitung, Israel vor dem Monster Iran, das dessen Zerstörung fordert, zu schützen, gesagt, natürlich müsse alles getan werden, dass der Iran nie Atomwaffen erhalten werde. Und so ist der deutschen Kanzlerin wieder einmal ein diplomatisches Meisterstück gelungen: die große Vorkämpferin der europäischen Einheit hat mutig die EU-Position zu Palästina vertreten und noch dazu, herzensgut wie eine Mutter das ihr entgegengebrachte kindliche Vertrauen der Palästinenser gerechtfertigt: sie hat ihnen einige Tage geschenkt, von Ihrem Heim Abschied zu nehmen und so ihre Hoffnungen auf einen palästinensischen Staat beflügelt. Sie hat Israel neues Vertrauen geschenkt, dass Deutschland die EU soweit im Zaum halten wird, dass gewiss niemand Maßnahmen des jüdischen Staates, die der Sorge entspringen, das Monster Iran könne je Atomwaffen erwerben, entgegentreten wird – im Gegenteil man wird Israel gewiss allseitig beispringen, wenn nötig. Das ist die staatsmännische Diplomatie, die Angela Merkel so lange im Amt gehalten hat und ihr international das Vertrauen aller, von Kindern und von denen, die letztere, falls nötig, entsorgen, einbringt. Das nennt man raison d’état. Bravo Angela!
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Prof. Dr. Hans-Christian Günther
Lebenslauf
Geb. am 28.4.1957 in Müllheim / Baden
Professor für klassische Philologie an der Albert-Ludwigs-Universität. Zahlreiche Publikationen und Gastprofessoren. Lange Aufenthalte in der VR China. Im Bereich der Altertumswissenschaft besonderer Schwerpunkt auf der politischen Dichtung der Augusteer und allgemein der Reflexion antiker Autoren auf ihre gesellschaftliche Stellung und Verantwortung
Seit 2004 Tätigkeit im Bereich des Dialogs der Religionen und Kulturen mit zahlreichen Veröffentlichungen.