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Chinas Endlösung der Uighurenfrage
Bericht: Millionen muslimische Uighuren sind gefangen in chinesischen Konzentrationslagern

Der Islam wird von den chinesischen Behörden als Krankheit betrachtet, als etwas wie eine Drogensucht. Die unkorrekten Ansichten, die somit die Gehirne von Muslimen befallen haben, müssen ersetzt werden durch die korrekte Ansicht: „wir verdanken alles der Partei, Xi Jinping ist der Retter und Wohltäter Chinas“. Darin besteht die Basis moderner Zivilisation, die ein primitives Volk aus der Provinz noch nicht begriffen hat. Ein Kommentar.

(Foto: Twitte/Uighurspeaker)
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Von Prof. Dr. Hans-Christian Günther

Die VR China definiert sich in ihrer Verfassung als eine Völkerfamilie. In ihrer Behandlung von Minderheiten hatte sie lange Zeit insgesamt eine durchaus eher positive Geschichte. Sie ist zwar schon seit langem auf einem schlechten Weg, doch inzwischen ist sie mit dem Staatsstreich Xi Jinpings zum totalitären Verbrecherstaat entartet.

Die Behandlung der Muslime und der Uighuren insbesondere seit etwa Herbst 2016 stellt den größten Völkermord und das größte Verbrechen gegen die Menschlichkeit seit dem zweiten Weltkrieg dar.

Ich werde in Folgebeiträgen zur Geschichte und zum Kontext dieser Politik zurückkommen. Angesichts des sehr beschränkten Medienechos der Verbrechen an den Uighuren, gerade in der muslimischen Welt, will ich hier einfach mit einem kurzen Faktenbericht des gegenwärtigen Zustandes beginnen und Vorstufen und Kontext außer acht lassen.

Ich möchte jedoch zunächst Folgendes betonen. Was ich hier darlege beruht auf dem, was ich in der VR China und Xinjiang von 2013 bis 2017 persönlich erlebt habe. Der Rest zumeist auf Berichten, z.T. aus täglichen Chats mit Betroffenen und Augenzeugen. Zitieren möchte ich hier nur den brandneuen CERD – Bericht von Human Rights Watch Submission to the CERD review of China.

Er wurde inzwischen in einer Sitzung des Menschenrechtsrates bestätigt:

UN committee accuses China of turning Uyghur-dominated region into ‘no-rights zone’

Kürzer auf Deutsch:

UNO: China hat mehr als eine Million Uiguren interniert

Natürlich bestreitet die VR alle Fakten; zunächst hatte die chinesische Delegation nichts gesagt, am Montag kam eine haarsträubende Leugnung. Keine Regierung kann so etwas Ungeheuerliches offen zugeben. Wer freilich trotz meiner Kenntnis aus erster Hand auf Chinas Lügen hereinfällt, hat keine Entschuldigung.

Die gegenwärtige Lage

Hier, nun eine ganz nüchterne Beschreibung des gegenwärtigen Zustands: Ganz Xinjiang ist ein gigantisches Freiluft-KZ für Uighuren und andere muslimische Minderheiten (besonders Kazakhen). Ein dichtes System von Sicherheitskameras mit Gesichtserkennung und ein unvorstellbar enges Netz von Personenkontrollen kontrolliert jede Bewegung in der Provinz.
Ich habe Fälle erlebt, dass Reisen selbst innerhalb Xinjiangs einer Sondergenehmigung bedurften, um in einem Hotel übernachten zu können, oder dass das Lösen eines Fahrscheins über das Mobiltelefon (die übliche Art in China) ohne erkennbaren Grund nicht möglich war.

Die Provinz zu verlassen, ist unmöglich, besonders ist es unmöglich, ins Ausland zu gelangen. Pässe werden rigoros verweigert, selbst im Falle der Heirat mit einem Ausländer oder der Zusage eines Studienplatzes im Ausland. Früher ausgestellte Pässe wurden eingezogen.

Uighuren, die sich bereits im Ausland befinden, werden zurückgerufen. Andernfalls wird ihre Familie zumindest teilweise inhaftiert. Wer aus Angst, selbst inhaftiert zu werden, bleibt, verliert den Kontakt zur Familie. Er weiß allenfalls von der Verbringung von Familienmitgliedern ins KZ. Ich kenne solche Personen persönlich. Selbst mit Ausländern verheiratete Frauen werden unter Drohungen gegen ihre Familie zurückgerufen und zur Scheidung gezwungen.

Ausländische Mobiltelefone, etwa das iPhone, sind für Uighuren verboten. Nur chinesische mit installierter Spyware, die den gesamten Datenverkehr aufzeichnet, sind erlaubt. Das wird durch Straßenkontrollen und Hausdurchsuchungen durchgesetzt. Ich kann bzw. konnte mit Uighuren nur chatten, die in einer sonst nur von Hanchinesen bewohnten Gegend wohnten und es wagten, ein iPhone zu Hause zu verstecken. Ein derartiger Kontakt ist seit Februar diesen Jahres verschwunden.

Schon seit langem war es so, dass alleine das Posten eines Quranverses oder einer Gebetsformel den meisten zu gefährlich war, da es, falls aufgedeckt, zu Umerziehungsmaßnahmen führte. Inzwischen ist es verboten, religiöse Gegenstände, besonders den Quran oder eine Gebetsmatte zu besitzen. Das Kopftuch war an Schulen und Universitäten in Xinjiang verboten, seit ich die Provinz kenne; jetzt ist es, sowie gegebenenfalls auch lange Kleidung für Frauen ganz verboten. Längere Bärte sind für Männer ebenfalls verboten.

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Der Islam wird von den chinesischen Behörden als Krankheit betrachtet, als etwas wie eine Drogensucht. Die unkorrekten Ansichten, die somit die Gehirne von Muslimen befallen haben, müssen ersetzt werden durch die korrekte Ansicht: „wir verdanken alles der Partei, Xi Jinping ist der Retter und Wohltäter Chinas“. Darin besteht die Basis moderner Zivilisation, die ein primitives Volk aus der Provinz noch nicht begriffen hat. Wären die Konsequenzen nicht so grauenhaft, würde man sich wundern, wie ein Mann wie Xi Jinping und die chinesische Führung sich nicht unendlich lächerlich in ihrer Propaganda vorkommen.

Gebet und Fasten waren, seit ich Xinjiang kenne, in Schule und Universität ebenfalls verboten. Jetzt ist Fasten auch für Eltern verboten: sie sollen ihren Kindern kein schlechtes Beispiel geben. Die uighurische Sprache wird an Schulen nicht mehr unterrichtet (ein schamloser Verfassungsbruch).

Manche der bisher genannten Maßnahmen sind selbstverständlich in einer so großen Region nicht durch unmittelbare Kontrolle durchsetzbar. Deshalb hat man ein System systematischen Terrors eingerichtet, durch das jeder fürchtet, jederzeit inhaftiert zu werden. In der Region herrscht das Schweigen eines Totenhauses. Jeder kann jederzeit ins Gefängnis oder Umerziehungslager kommen ohne zeitliche Grenze, ohne jeden Beistand vor Gericht, auch ohne jedes Verfahren.

Die Familie bleibt im Dunkeln über die Gründe der Verhaftung. Falls es sich um Gefängnis handelt, wird die Familie nach einer langen Untersuchungshaft von Strafmaßen wie fünf oder sieben Jahren unterrichtet. Ein ordentliches Gerichtsverfahren findet nicht statt. Xi Jinping grüßt arabische Staatschefs mit Salamaleikum. In Xinjing ist dieser Gruß inzwischen verboten; es heißt, ,Inshallah‘ soll durch ,so die Partei will‘ ersetzt werden.
Die gesamte Provinz ist durchzogen von zahlreichen Konzentrationslagern, Umerziehungslager genannt; die überfüllten, unhygienischen Lebensbedingungen gleichen präzise den Vernichtungslagern der Nazis: ich kenne persönlich Augenzeugen oder Personen, die Augenzeugen kennen; Personen, die entweder dort arbeiten mussten oder inzwischen entlassen sind; Berichte derartiger Personen wurden auch in der Presse veröffentlicht) Selbst Personen mit kasakhischem Pass wurden in solchen Lagern festgehalten.

Ich kenne persönlich Personen kasachischer Herkunft mit chinesischem Pass, die auf das Wohlwollen Russlands oder Kasachstans angewiesen sind, nicht zurückkehren zu müssen. Ihre Familie sitzt teilweise im Lager, ansonsten ist der Kontakt von der Familie selbst aus Angst vor Repressalien blockiert. Wie gesagt, ein enger Kontakt von mir aus Xinjiang ist inzwischen verschwunden. Meine Hoffnung, ihn wiederzufinden, ist gleich null.

Inzwischen sind Fotos von KZs in sozialen Netzwerken aufgetaucht. Teilweise ist ihre Verteilung durch Satellitenbilder bekannt. Zudem werden immer noch neue Lager gebaut. Man wird eingewiesen, weil man kein Chinesisch kann, die Nationalhymne nicht singen kann, für religiös gehalten wird, oder überhaupt ohne jeden ersichtlichen Grund. Zunächst wurde vermutet, dass 1.000.000 der ca. 10.000.000 Uighuren dort einsitzen; mittlerweile sollen es nach einem neuen Artikel der ,Financial Times‘ 3.000.000 sein (auch in der UN spricht man inzwischen von 1.000.000 – insgesamt 3.000.000). Dörfer sind fast gänzlich leer, auch weite Teile Kashgars und Urumqis sollen Geisterstädten gleichen.

Im Lager werden die Insassen gezwungen, Alkohol zu trinken, Schweinefleisch zu essen, sich selbst (d.h. en Islam) zu kritisieren, Xi Jinping und die Partei zu preisen; man muss zu Texten, die den Islam lächerlich machen und die Partei preisen, tanzen und singen. All dies wird durch Folter erzwungen, mit Methoden die denen von Guantanamo entsprechen. Manch einer begeht Selbstmord oder versucht es; Kontakte von mir haben den Wunsch geäußert zu sterben oder haben kurz vor einem Selbstmordversuch Halt gemacht. Kashgar war einst eine der wertvollsten zentralasiatischen Städte.

 

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Längst hat China das meiste abgerissen und nur ein geschmacklos restauriertes Zentrum als Touristenattraktion belassen. Inzwischen sind auch 70% der Moscheen dieser Stadt niedergerissen. Ansonsten wurde der Halbmond abgenommen. Es gibt eine neue Verordnung, dass alle Orte religiöser Verehrung eine chinesische Flagge tragen müssen; für Xinjiang galt das schon seit einiger Zeit. Wandinschriften an Moscheen ,Es gibt keinen Gott außer Allah und Muhammad ist der Prophet Allahs‘ werden durch ,Liebe die Partei, liebe China!‘ überschrieben.

Schon seit langem werden Uighuren gezwungen, ihre Nachbarn, Freunde und Verwandte auszuspionieren (eine brillante Idee des neuen Parteisekretärs für Xinjiang, seit Sommer 2016: er hat dasselbe früher in Tibet ausprobiert). Man versucht, nicht mit Freunden und Verwandten zu sprechen, um sich und letztere nicht zu gefährden. Inzwischen werden auch Parteifunktionäre in uighurische Familien einquartiert zur Rundumüberwachung – zusätzlich zu den Sicherheitskameras nahe bei fast jeder Tür.
Die Verzweiflung der hinterbliebenen Frauen und Kinder von Inhaftierten ist unbeschreiblich.

Oft sind beide Ehepartner in KZs oder im Gefängnis. Ihre Kinder werden in überfüllten, kaum mit dem Nötigsten versehenen Waisenhäusern als Parteimarionetten erzogen. Oftmals ist fast die gesamte männliche Bevölkerung eines Dorfes in jüngerem Alter inhaftiert. Uighurische Mädchen werden zur Heirat mit atheistischen Hanchinesen gezwungen: eine Art staatlich organisierte Massenvergewaltigung.

(Foto: Screenshot/Twitter)

Zwangsheirat mit Han-Chinesen

China hat einen eminenten Männerüberschuss. Man kann sich vorstellen, welche Hanchinesen solche Heiraten eingehen. Angesichts des unvorstellbaren Chauvinismus und Rassismus von Hanchinesen gegenüber uighurischen Untermenschen kann man sich lebhaft vorstellen, wie diese uighurischen Frauen behandelt werden.

Uighurische Kultur und der Islam in Xinjiang werden bald nicht mehr existieren. Die anderen Muslime Chinas fühlen den Druck bereits immer stärker; sie werden folgen. Xi Jinping, der sich auf dem letzten Parteitag zum unumschränkten Herrscher Chinas auf Lebenszeit wählen ließ, ist entschlossen, den Islam in China auszurotten.

Muslime in aller Welt müssen sich klar machen, dass heute China der größte Feind des Islam ist. Die muslimische Öffentlichkeit (im Grunde genommen jeder anständige Mensch) hat die Pflicht, lautstark zu verlangen, dass islamische Staaten (und andere Staaten) sich nicht länger von China kaufen lassen; und vor allem hat jeder die Pflicht, selbst alles zu tun, was er kann, seine gefolterten und ermordeten muslimischen Brüder und Schwestern in Xinjiang vor dem Vergessen zu schützen.


Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.


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Prof. Dr. Hans-Christian Günther

Lebenslauf

geb. am 28.4.1957 in Müllheim / Baden

Professor für klassische Philologie an der Albert-Ludwigs-Universität. Zahlreiche Publikationen und Gastprofessoren. Lange Aufenthalte in der VR China. Im Bereich der Altertumswissenschaft besonderer Schwerpunkt auf der politischen Dichtung der Augusteer und allgemein der Reflexion antiker Autoren auf ihre gesellschaftliche Stellung und Verantwortung

Seit 2004 Tätigkeit im Bereich des Dialogs der Religionen und Kulturen mit zahlreichen Veröffentlichungen.