Start Panorama Kriminalität Rechtsterrorismus NSU-Todeslisten: Behörden informierten Betroffene gar nicht oder unvollständig

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NSU-Todeslisten: Behörden informierten Betroffene gar nicht oder unvollständig

Zehn Jahre nach der Selbstenttarnung des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) haben die Behörden noch immer nicht alle Betroffenen darüber informiert, dass sie auf sogenannten Todeslisten der rechten Terrorzelle standen

Fahndungsbilder von Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos (von links nach rechts). Das Trio bildete die rechtsextreme Terrorzelle NSU (Foto: ZDF/Screenshot)
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Hamburg – Zehn Jahre nach der Selbstenttarnung des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) haben die Behörden noch immer nicht alle Betroffenen darüber informiert, dass sie auf sogenannten Todeslisten der rechten Terrorzelle standen. So zeigt eine gemeinsame Recherche von stern und Correctiv, dass Menschen, die vom NSU in einer Sammlungen möglicher Anschlagsziele vermerkt worden sind – teilweise mit Privatadresse und Telefonnummer – bis heute nicht darüber Bescheid wussten.

In Ermittlungsunterlagen finden sich hunderte Namen möglicher Opfer, insgesamt soll der NSU Informationen über mehr als 10.000 Personen und Institutionen gesammelt haben. Der stern hat in den vergangenen Wochen mit 15 von ihnen sprechen können. Darunter ist etwa Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Chef des Bundesverfassungsgerichts, dessen Name ebenso auf einer Todesliste des NSU auftaucht wie der von Hans-Christian Ströbele, ehemaliger Bundestagsabgeordneter der Grünen.

Beide gaben gegenüber dieser Redaktion an, davon nichts gewusst zu haben. „Ich hätte eigentlich erwartet, dass man mich informiert „, sagte Papier gegenüber dem stern. „Auch weil ich zu dieser Zeit keinen Personenschutz mehr hatte.“ Ströbele ging in seiner Kritik sogar noch weiter: Dass er nicht informiert wurde, sei „überhaupt nicht in Ordnung“, die Polizei hätte „Schutzmaßnahmen ergreifen müssen“.

Andere Betroffene wurden zwar in Kenntnis gesetzt, allerdings unvollständig: So hat ein Mann, dessen Name sich auf einer der Todeslisten findet, zwar damals einen Brief vom Bundeskriminalamt (BKA) erhalten, der dem stern vorliegt. Dass der NSU aber zwei seiner Privatadressen kannte, schrieb die Behörde ihm nicht. Stattdessen wurde er gebeten, bei weiterem „Erörterungsbedarf“ seinerseits sich an die lokale Polizeidienststelle oder das zuständige Landeskriminalamt zu wenden.

Das Bundeskriminalamt (BKA), das damals die Ermittlungen leitete, teilte gegenüber dem stern mit, man habe die Listen nach Bekanntwerden im Jahr 2011 „einer individuellen Gefährdungseinschätzung“ unterzogen. Dabei hätten sich „keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Betroffenen einer konkreten Gefährdung unterliegen“.

Der NSU ist verantwortlich für neun Morde an Menschen mit Migrationshintergrund, einen an einer Polizistin sowie drei Sprengstoffanschläge. Vor zehn Jahren flog die rechte Terrorzelle auf, nachdem zwei ihrer Mitglieder, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, Suizid begingen, ihre Komplizin Beate Zschäpe daraufhin Bekennervideos verschickte. Zschäpe sitzt mittlerweile lebenslänglich in Haft.