Ein Gastkommentar von Michael Thomas
Bereits im Mai wurde durch Whistleblower aus der israelischen Armee der wahre Charakter der bis dato verdeckt betriebenen Großfolteranlage Sde Teiman an die Öffentlichkeit gebracht (1).
Das Grauen dort beschreiben zu wollen, würde zu einer unerträglichen Häufung von Superlativen führen, der beigefügte Link liefert dem Interessierten Einzelheiten dazu; zusammenfassend kann man sagen, dass es dort absichtsvoll und gezielt darum ging, die Qualen der Insassen effizient ins Unermessliche zu steigern.
Da nun Zeugenaussagen von Inhaftierten und Soldaten, durch Ärzte erhobene, forensische Untersuchungen, Videoaufnahmen und Fotos an die Öffentlichkeit geraten waren, sah sich die israelische Regierung zum Handeln gezwungen. Die Militärpolizei hat nun neun Soldaten wegen des Verdachts, einen Häftling schwerstens unter anderem mit Gegenständen anal vergewaltigt zu haben, verhaftet.
Diese Vergewaltigungen sind alles andere als „bedauerliche Einzelfälle“ und können, wie zu vermuten ist, auch nicht auf extreme, psychische Belastung der Täter reduziert werden. Der Verdacht kommt auf, dass Israel oder zumindest einige seiner Organisationseinheiten wie etwa das Militär das Stilmittel der Vergewaltigung gezielt einsetzt. So berichten aus israelischer Haft freigelassenen, palästinensische Frauen, dass sie zur Erpressung von Aussagen vergewaltigt und dabei gefilmt und fotografiert worden seien. Diese Aufnahmen sind dann gegen sie verwandt worden (2).
Auch das Expertengremium der UN hat anhand von Beweisen eine dramatische Zunahme von Vergewaltigungen palästinensischer Frauen registriert.
Das Phänomen der „Kriegsvergewaltigung“, wie das Bundesamt für Politische Bildung (bpd) das Verbrechen bezeichnet, ist nicht neu. Das bpd liefert dafür eine Typisierungsmöglichkeit, die für den Fall Israel von besonderem Interesse ist. Denn da heißt es etwa auf die Frage, was jemanden zum Vergewaltiger werden lässt (3):
„ … Dies bezieht sich in diesem Kontext nicht auf psychologische Faktoren, sondern auf die Begleitumstände und Gründe, wegen derer eine Person einer bestimmten bewaffneten Gruppe beitritt, auf ihren Bildungsgrad, religiöse und/oder politische Überzeugungen, Familienstand sowie Drogen- oder Alkoholmissbrauch vor der Vergewaltigung.“
Bei den israelischen Tätern dürfte eine Konditionierung in religiösen und politischen Überzeugungsmustern vorliegen. In Verbindung mit extremen, rassistischen Vorstellungen, die in Israel weit verbreitet sind, tritt die Ansicht, es handele sich bei Palästinensern ohnehin nicht um vollwertige Menschen, auf jeden Fall erschwerend hinzu.
Befeuert werden solche Vorstellungen von einigen rechtsextremistischen Rabbinern wie Eyal Karim, die im Zuge eines rassistischen Dogmas jüdisch-israelischen Soldaten die Vergewaltigung von Frauen des (nichtjüdischen) Feindes befürworten (4). Obschon die Militärführung bei Bekanntwerden dieser Äußerungen eines Rabbis, den sie zum Oberrabbiner des Militärs ernennen wollten, versucht hat, die fraglichen Textstellen zu relativieren, spricht der Originaltext Bände (5).
Man muss jedoch in Zusammenhang mit der drastischen Sprache der israelischen Führung, die Palästinenser zu „Menschentieren“ erklärte, auch ein erschreckend weit verbreitetes Gedankengut erwähnen, nach welchem mancher Israeli von heute Palästinenser betrachtet wie seinerzeit die Nationalsozialisten Juden.
Insbesondere wäre hier ein weltweit empört aufgenommenes, aber in Israel populäres Buch namens „Torat Hamelech“ (übers.: „Des Königs Thora“) zu erwähnen, dass in epischer Breite die Bevorrechtigung von Juden über alle anderen Menschen hervorhebt und vertritt.
Darin vertreten extremistische Rabbis die Überzeugung, dass Juden gewissermaßen bei Bedarf Nichtjuden ohne weiteres töten dürften und sogar sollten. Selbst die Babies von Feinden seien zu töten. „Gojim“, wie Andersgläubige von manchen Juden genannt werden, fänden ihre Daseinsberechtigung darin, Juden zu dienen und zur Verfügung zu stehen.
Dieses Denken kann und muss in jedem Fall in direkter Beziehung zu der nationalsozialistischen „Arier“-Vorstellung gesehen werden, denn zuweilen tritt es im gleichen Vokabular auch an die Öffentlichkeit. So erklärte der heute amtierende Sportminister von Israel, Miki Zohar, einem arabischen Abgeordneten 2019 in der Knesset, das jüdische Volk sei eine „besondere Rasse“ und dieser Abgeordnete könne ihm keine „Moral predigen“, da er gegen einen jüdischen Staat sei (6). Bei anderer Gelegenheit wurde er zuvor durchaus noch erheblich deutlicher und sprach wortwörtlich von der „Überlegenheit der jüdischen Rasse“ (7).
Es kann nur vermutet werden, welche Eindrücke, Überzeugungen, politische Ansichten und religiöse Überzeugungsmuster die Täter, die in Sde Teimann wiederholt und mit entsetzlichsten Methoden sexuell gefoltert haben, dazu bewogen haben. Allerdings scheinen stahlharte, rechtsradikale Konditionierungen seitens der Regierung, die selbst von extremistischen Parteien abhängt, einen großen Teil an Verantwortung daran zu tragen.
Die Verhaftung der neun Soldaten von Sde Teimann wird, wie die Erfahrung zeigt, mit großer Sicherheit nur ein inhalts- und folgenloses Feigenblatt für die israelische Regierung sein, die sich breitflächig dem Vorwurf der völligen Ignoranz aller Menschenrechte ausgesetzt und sich deshalb zum Handeln gezwungen sieht. Ein erschreckend mildes Urteil darf erwartet werden.
Dies wird auch den empörten Kundgebungen geschuldet sein, die infolge der Verhaftungsaktion in ganz Israel und speziell vor der Großfolteranlage Sde Teimann stattgefunden haben, wo Rechtsradikale die Militärpolizei mit Gewalt von der Festnahme abhalten wollten. Der israelische Finanzminister Bezalel Smotrich, selber radikaler „Siedler“ im Westjordanland, forderte gar, man möge die Finger von den „heldenhaften Soldaten“ lassen.
Mir ist nicht klar, ob den Menschen Israels die fatale Nähe zu dem Gedankengut derer, die einst Juden aufgrund sehr ähnlicher „Ideen“ verfolgten und in Massen töteten, bewusst ist. Und ebenso muss die Frage gestellt werden, welchen Standpunkt wir zu der Vorstellung, dass jemand, der vermittels von Gegenständen einen Wehrlosen grausam anal vergewaltigt, ein „Held“ sein könnte, einnehmen wollen. Auch hier sei noch einmal explizit darauf hingewiesen, dass Minister Smotrich ebenso wie die Täter selbst eben keine „bedauerlichen Einzelfälle“ sind.
Der empörte, zum Teil wütende Ausruf von Hunderttausenden Juden weltweit „Not in our name!“ jedenfalls schreibt fest, dass brutale Vorstellungen von einer „überlegenen Rasse“ keineswegs den jüdischen Glauben repräsentieren. Ebensowenig könnte man den heutigen Christen einen Hang dazu vorwerfen, Andersgläubige auf Scheiterhaufen zerren zu wollen. So, wie das eine nicht „jüdisch“ ist, ist das andere nicht „christlich“.
Wir sind allerdings dazu gezwungen, genau darüber nachzudenken, was oder wen wir da mit viel Waffen und viel Geld unterstützen.
Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von NEX24 dar.
2. https://www.cair.com/cair_in_the_news/israeli-guards-rape-palestinian-women/
3. https://sicherheitspolitik.bpb.de/de/m1/articles/sexual-violence-in-armed-conflict
6. https://www.timesofisrael.com/jewish-mk-to-arab-mk-the-jews-are-a-special-race/
7. https://mondoweiss.net/2018/06/lawmaker-greatest-smartest/