Ein Gastbeitrag von Isa Ak – ak-isa@gmx.de
Heute Morgen hat mich ein Freund auf einen Artikel von Tessa Hofmann im Tagesspiegel1 aufmerksam gemacht. Dort behauptet Frau Hofmann, dass die Vernichtungsabsicht belegt werden könne. Da ich nicht auf alle ihre Behauptungen eingehen kann, versuche ich mich auf das Wesentliche zu beschränken. Ist ihre These schlüssig?
Ich habe bereits in meinem Artikel „Kommentar: 24. April 1915 – Völkermord an den Armeniern? Gedanken zur Forschung und der Bundestagsresolution (18/8613)“2 dargelegt wie unwissenschaftlich die Unterstützer der Genozid-These argumentieren.
Tessa Hofmann gehört zu einer Clique von Forschern, die es sich vor allem zur Aufgabe gemacht haben, die Position der armenischen Nationalisten zu verteidigen.
So schreibt sie, dass zahlreiche Wissenschaftler ihre Thesen auf dem „1972 publizierten Werk „Armenia: The Case of a Forgotten Genocide““ von Dikran Boyajian basieren und dass „Wissenschaftler armenischer Herkunft eine herausragende Rolle“ dabei gespielt hätten diese These zu verbreiten. Und dass diese Wissenschaftler die „Quellsprachen Armenisch und oft auch Osmantürkisch“ hätten lesen können. Aber stimmt das überhaupt? Hovannisian kann entgegen der Behauptungen Hofmanns genauso wenig Osmanisch wie Taner Akcam.
Immerhin gibt sie offen und ehrlich zu, dass es die armenischen Nationalisten waren, die durch die Genozid-Propaganda die Historiografie im Westen entscheidend beeinflussten.
Werfen wir einen Blick auf die drei Bücher, die sie nennt, um ihre These zu untermauern.
1. „The Armenian Genocide“ von Raymond Kevorkian
Warum empfiehlt sie Kevorkian? Er gehört zu den armenischen Hardcore-Nationalisten. Diese Sorte von Wissenschaftlern versucht auf Biegen und Brechen den imaginären völkermordenden Türken zu kreieren. In dieselbe Kategorie gehören auch Taner Akcam und Vahakn Dadrian. Alle arbeiten mit unwissenschaftlichen Methoden. 3 Kevorkian benutzt zum Beispiel die gefälschten „Zehn Gebote“4 oder die unhaltbaren Anschuldigungen in den Memoiren von Mevlanzade Rifat.5
Allerdings gibt es auch seriösere armenische Wissenschaftler, die tatsächlich das Ziel verfolgen die Geschehnisse zu verstehen. In diese Kategorie gehört der armenische Nationalist Ronald G. Suny. Im Gegensatz zum erwähnten Personenkreis, versucht Suny seine Argumente auf Beweise zu stützen. Warum also empfiehlt sie nicht sein Buch?
Das liegt vermutlich daran, dass seriösere Historiker von der These einer Vernichtungsabsicht Abstand genommen haben.
Vielmehr versuchen sie ihre These dadurch zu retten, indem sie behaupten regionale Maßnahmen hätten zu einer stetigen Radikalisierung geführt, die schließlich in einem Völkermord kulminiert wären. Sie haben verstanden, dass sie nur auf diese Weise ihre Genozid-These retten können, da die osmanische Regierung hunderte, wenn nicht gar tausende Befehle gegeben hat, in denen der Schutz von Leben der Armenier angewiesen wurde.
An dieser Literaturempfehlung erkennen wir also, wie eine Propagandistin den Weg der radikalen armenischen Nationalisten unterstützt, statt sich auf die seriöseren Historiker zu verlassen. Es ist die Furcht, dass die These angreifbarer ist, da man keine Beweise für eine Vernichtungsabsicht in Form eines Befehls vorfindet. Ganz im Gegenteil. Man findet fast ausschließlich Befehle, die sich dem Schutz von Leib und Leben widmen.
Dabei sind die Erklärungen dürftig. Sie können uns weder erklären, warum etliche Beamte, Soldaten, Gendarmerie o.ä. von der osmanischen Regierung Strafen erhalten haben für ihre Verbrechen gegen Armenier noch können sie uns erklären wie ca. 350.000 – 500.000 Armenier, vor allem in Westanatolien, unbehelligt ihr Leben fortgeführt haben. Genauso wenig können sie uns erklären, warum Djemal Pascha die Nahrungsmittelversorgung der Osmanischen Armee dazu nutzte die umgesiedelten Armenier zu ernähren.
2. „The Thirty-Year Genocide“ von Benny Morris und Dror Ze’evi
Es steht außer Frage, dass die letzten Jahrzehnte blutig verliefen und den Tod unzähliger Christen, Juden und Muslime zur Folge hatten. Leider bietet das Buch eine unkritische Reproduktion von antimuslimischen und antiosmanischen Thesen, die sich in zeitgenössischen Memoiren, Artikeln und Dokumenten wiederfinden lassen.
Inwiefern kann dies eine wissenschaftliche Abhandlung sein?
Der Tod dieser Menschen hatte unterschiedliche Faktoren: Raub, Rache, Bultfehden, Hungersnöte, Aufstände der christlichen Minderheiten mit Unterstützung der europäischen Großmächte gegen den osmanischen Staat, Vertreibungen etc. Dies würde eine seriöse wissenschaftliche Arbeit genauer ermitteln, vor allem, wenn sie auf Forschungsliteratur aufbaut, die bestimmte Ereignisse bereits untersucht hat. Ohne den Beweis zu erbringen, dass der Staat einen 30-jährigen Genozid begangen haben soll, werden lächerliche Behauptungen in den Raum geworfen.
Nach der Logik von Morris und Ze’evi müsste ein knapp hundertjähriger Völkermord an Türken, Kurden und anderen osmanischen Muslimen begangen worden sein. Schließlich wurden zwischen 1821 – 1922 ca. 5 Millionen Muslime brutal abgeschlachtet und etwa 5 Millionen Muslime gewaltsam aus ihrer Heimat vertrieben.
Doch wen interessiert das Leben eines Türken oder Kurden, der von armenischen Terroristen ermordet worden ist?
Wer interessiert sich für die Vertreibung und Ermordung von hunderttausenden muslimischen Osmanen durch armenische Terrormilizen und den russischen Truppen in Ostanatolien während des Ersten Weltkriegs?
Wer interessiert sich für die Massenmorde an den Türken durch griechische Milizionäre?
Wer interessiert sich für die Massaker und Vertreibungen an Türken durch die griechische Armee zwischen 1919 – 1922?
Niemand!
Anstatt die Ereignisse, die Akteure und Interessen unterschiedlicher Staaten, Gruppen und Personen im historischen Kontext zu analysieren, bedient man sich lieber ahistorischer und selektiver Behauptungen, um eine haltlose These zu verbreiten.
Für eine ausführliche Analyse und Kritik an dem Buch empfehle ich als Lektüre die Rezension von Prof. Jeremy Salt.6
3. „Tötungsbefehle: Talat Paschas Telegramme und der Völkermord an den Armeniern“ von Taner Akcam
In ihrer dritten Empfehlung suggeriert uns Frau Hofmann, dass die Andonian Dokumente in Wirklichkeit authentisch seien. Ferner behauptet sie, dass „Şinasi Orel und Süreyya Yuca erklärten, es habe keinen osmanischen Beamten Naim gegeben“.
Der anerkannte Nahost-Experte Bernard Lewis schrieb in seinem Buch „From Babel to Dragomans“ auf Seite 389 über „Fälschungen“ („fabrications“) wie „die sogenannten Protokolle der Weisen von Zion, die Talat Pascha Telegramme und andere dieser Art.“ („ … the so-called Protocols of Elders of Zion, the Talat Pasha telegrams, and other oft the same kind“).
Zum näheren Verständnis: Einem Wissenschaftler, der seine Aussagen auf die antisemitische Hetzschrift die „Protokolle der Weisen von Zion“ fußt, würde man heutzutage jede wissenschaftliche Reputation absprechen. Aber genau das macht Taner Akcam in seinem Buch. Er versucht eine antitürkische Hetzschrift, die zur antitürkischen Propagandakampagne gegen die Türkei produziert worden ist, Legitimität zu verschaffen.
Welches Argument kann Akcam gegen Orel und Yuca vorbringen?
Hier ein Beispiel:
Behaupten Orel und Yuca, dass es „Naim Bey“ nicht gegeben hätte? Oder ist das eine Erfindung von Taner Akcam?
Orel und Yuca schreiben in ihrem Buch von drei Möglichkeiten zur Person von Naim Bey:
a) Bei Naim Bey handelt es sich um eine fiktive Person
b) Naim Bey ist ein fingierter Name bzw. ein Pseudonym
c) Naim Bey ist eine real existierende Person
Anders ausgedrückt gehen Orel und Yuca davon aus, dass es unter den vorhandenen Informationen nicht möglich ist zu einem abschließenden Urteil zu kommen.
Warum fälschen Akcam und Hofmann das Argument? Es ist der letzte verzweifelte Versuch die gefälschten Dokumente, als authentisch zu retten.
Was übersieht Akcam noch?
„1. Er geht nicht auf die chronologischen Widersprüche und Abweichungen ein
2. Er übersieht wissentlich die Unterschiede der Unterschriften vom Gouverneur von Aleppo auf den originalen osmanischen Telegrammen und denen von Andonian
3. Er geht nicht darauf ein, dass Mustafa Abdülhalik Bey in den Andonian Telegrammen seine Unterschrift mit „Gouverneur“ unterschreibt, obwohl er zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht der „Gouverneur“ ist
4. Er geht nicht darauf ein, dass Abdülhalik Bey und Abdülahad Nuri Bey Dokumente unterzeichnet haben sollen, obwohl sie sich zum Zeitpunkt in Istanbul aufgehalten haben und nicht in Aleppo
5. Er geht nicht darauf ein, dass Bahattin Sakir Bey in dem Zeitraum, in denen er angeblich Telegramme von Istanbul nach Adana verschickt haben soll sich in Erzurum befand.
Etc. “7
Akcam ist mit seinem lächerlichen Unterfangen gescheitert.
In deutscher Sprache hat sich bereits jemand die Mühe gemacht eine Rezension zu verfassen. Diese könnt ihr auf Amazon durchlesen. 8 Für eine ausführlichere Rezension empfehle ich Ömer Engin Lütem und Yigit Alpdogan.9
Stellt sich die Frage, welche Bücher bieten sich als Alternative an?
Für diejenigen, die ein wirkliches Interesse am menschlichen Leiden in der Spätphase des Osmanischen Reichs haben, bietet das Buch „The Last Ottoman Wars: The Human Cost, 1877-1923“ von Prof. Jeremy Salt eine gute Einführung. Er gilt als anerkannter Experte für den Nahen Osten und der Türkei.
Zur Diskussion ob es einen Völkermord gegeben hat, gilt Guenter Lewys „Der armenische Fall“ als Nonplusultra. Zusätzlich sollte Brendon Cannons „Konstruiert, Instrumentalisiert, Politisiert: Geschichte im Fadenkreuz der armenischen Lobby“ rezipiert werden.
Quellen
1 Völkermord an den Armeniern Die Vernichtungsabsicht kann belegt werden von Tessa Hofmann
2 https://nex24.news/2020/04/kommentar-sind-armenier-bereit-den-voelkermord-von-chodschali-anzuerkennen/
3Gauin, Maxime: Why be bothered about the facts?, Daily Sabah, 25 März 2015 https://www.dailysabah.com/op-ed/2015/03/25/why-be-bothered-about-the-facts
4Lewy, Guenter: Der armenische Fall, S. 65 – 69.
5Vgl. ebd., S. 69 – 71.
6The Thirty-Year Genocide: Turkey’s Destruction of Its Christian Minorities 1894-1924 by Benny Morris and Dror Ze’evi; Book Review by Prof. Jeremy Salt,
https://mepc.org/book-review-essay-thirty-year-genocide-turkeys-destruction-its-christian-minorities-1894-1924
7 Tötungsbefehle: Talat Paschas Telegramme und der Völkermord an den Armeniern
8 https://www.amazon.de/gp/customer-reviews/R2J528TD2PTZTQ
9Alpdogan, Yigit; Lütem, Ömer Engin: „Review Essay: Killing Orders: Talat Pashaʼs Telegrams and the Armenian Genocide“ Review of Armenian Studies, 37 (2018), S. 45 -83. https://avim.org.tr/images/uploads/Yayin/Review-of-Armenian-Studies-37.pdf
Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.
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