Von Holger Vorbeck
Während der ganzen Monate, in denen jeder über den „unschuldig und ohne Anklage in der Türkei inhaftierten deutschen Journalisten“ Deniz Yücel geredet, geschrieben und getwittert hat, habe ich mich nicht dazu geäußert, auch nicht auf direkte Nachfrage ehemaliger Kollegen aus der Redaktion der WELT. Jetzt glaube ich allerdings ist es Zeit, sich noch einmal den gesamten Vorgang in Erinnerung zu rufen und aus einiger Entfernung zu betrachten.
Was ist passiert? Ein deutscher Journalist wird in der Türkei festgenommen und in Untersuchungshaft genommen, da er gegen türkische Gesetze verstoßen haben soll. Das ist erst einmal nichts Ungewöhnliches oder Berichtenswertes. Ungewöhnlich ist hierbei, dass ein Journalist, der in einem anderen Land arbeitet, sich nicht über die Gesetze dieses Landes informiert, bevor er mit seiner Arbeit beginnt! Das ist entweder Dummheit oder reine Provokation.
Auch Journalisten stehen nicht über dem Gesetz! Ob das Gesetz gut oder schlecht ist, ob es etwas Vergleichbares im Heimatland gibt oder nicht, all das spielt dabei keine Rolle! Wenn man der Meinung ist, ein Gesetz sei unangebracht, schlecht, ungerecht oder etwas in dieser Art, kann man selbstverständlich versuchen, politisch Einfluss zu nehmen, um eine Änderung herbeizuführen. Allerdings einfach loszugehen und zu sagen „Das ist Mist, das ignoriere ich einfach“, ist sicherlich die schlechteste und dümmste Lösung.
Vor einiger Zeit hat jemand auf Facebook einen schönen Vergleich gezogen, den ich hier, das Einverständnis des Autors voraussetzend, wiederholen möchte. Angenommen, ein US-Amerikaner geht in einer deutschen Stadt mit einem Sturmgewehr spazieren. Das würden die Bevölkerung, die Polizei und die Justiz mit Sicherheit nicht akzeptieren, auch wenn der Amerikaner sagt, dass das deutsche Waffengesetzt Mist ist und er sich nicht daran halten muss, da in seiner Heimat das Tragen der Waffe schließlich erlaubt sei! Das mag sein, aber in Deutschland hat er sich bitte an die deutschen Gesetze zu halten, ebenso wie Deniz Yücel sich in der Türkei an die türkischen Gesetze zu halten hat.
Weiterhin ungewöhnlich ist der Aufschrei der deutschen Medien, der deutschen Politik, der vielen echten oder selbsternannten „Experten“, Rechtsexperten, Türkeiexperten, Medienexperten und dergleichen mehr. Verstehen kann ich das selbstverständlich bei der WELT, denn der ganze Vorgang war natürlich Werbung für die Zeitung und den Verlag vom feinsten und nahezu kostenlos! In der Politik hat man selten so viel Einigkeit von weit links bis weit rechts gesehen, alle Politiker waren scheinbar überzeugt und haben das auch lauthals verkündet, dass jemand, der einen deutschen Pass besitzt, gar nicht schuldig sein kann! Der Ausdruck „ … unschuldig inhaftiert …“ wurde zum geflügelten Wort. Auch der Ausdruck „ohne Anklage“ wurde gebetsmühlenartig wiederholt.
Allerdings, das Wort „Untersuchungshaft“ besagt, dass der Vorgang untersucht wird, und erst wenn der Staatsanwalt an Ende der Untersuchung, am Ende der Ermittlungen zu dem Schluss kommt, dass er dem Gericht genügend Beweise präsentieren kann, kommt es zu einer Anklageerhebung. Das ist in Deutschland nicht anders als in der Türkei. Was also sollte das Geschrei bewirken?
Insgesamt gesehen, ist die ganze Geschichte ja doch noch gut ausgegangen und fast alle haben davon profitiert.
Die WELT und der Springer-Verlag haben nahezu kostenlose Werbung erhalten
Ein nahezu unbekannter drittklassiger Journalist ist plötzlich in aller Munde. Man verzeiht ihm sogar seine geschmacklosen und bösartigen Kommentare gegen Deutschland und die Deutschen, die Zitate seien ja alle aus dem Zusammenhang gerissen und außerdem Satire!
Die übrigen Medien hatten reichlich Stoff, aus denen man wunderbare Stücke machen konnte, ohne dass irgendjemand nach dem Wahrheitsgehalt fragte.
Die Sympathisanten und Unterstützer der Terrororganisation PKK wie Dagdelen, Özdemir, Dündar, Huch usw. konnten noch lauter gegen die Türkei hetzen, ohne dass ihnen die Justiz auf die Finger klopfte.
Lediglich die Politik war ein wenig in der Zwickmühle. Einerseits musste man natürlich in die allgemeine Empörung einstimmen, andererseits konnte man aber auch nicht die vielfältigen wirtschaftlichen, politischen, militärischen und vertraglichen Beziehungen zur Türkei zerstören. Aber der Spagat ist ja ganz gut gelungen. Und schließlich haben wir ja jetzt ein anderes Thema, bei dem man ordentlich auf die Türkei eindreschen kann!
Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.
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Holger Vorbeck
Holger Vorbeck war 14 Jahre beim Springer-Verlag tätig, davon 6 Jahre bei der WELT. Seit 2011 ist er nun im Ruhestand und lebt seit Anfang 2016 in der Türkei.