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Kommentar: Das globale Wirtschafts- und Finanzsystem ist seit 2008 klinisch tot

Die Lage zum Jahresende 2017 scheint extrem widersprüchlich: Die Wirtschaft wächst, die Aktienmärkte verzeichnen Rekordstände, die Arbeitslosenzahlen sinken und die Industrie zeigt ein seit langem nicht gesehenes Maß an Optimismus. Zugleich erstickt die Welt unter der höchsten Schuldenlast ihrer Geschichte, krankt an der größten sozialen Ungleichheit und wird von höheren Risiken als vor der Krise von 2007/2008 bedroht.

(Symbolfoto: pixa)
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Von Ernst Wolff

Die Lage zum Jahresende 2017 scheint extrem widersprüchlich: Die Wirtschaft wächst, die Aktienmärkte verzeichnen Rekordstände, die Arbeitslosenzahlen sinken und die Industrie zeigt ein seit langem nicht gesehenes Maß an Optimismus. Zugleich erstickt die Welt unter der höchsten Schuldenlast ihrer Geschichte, krankt an der größten sozialen Ungleichheit und wird von höheren Risiken als vor der Krise von 2007/2008 bedroht.

Wo stehen wir denn nun wirklich? fragen sich die meisten von uns zum Jahreswechsel. Können wir beruhigt in die Zukunft sehen oder drohen historische Gefahren? Gibt es irgendeine Wirtschaftstheorie, die uns diese Fragen klar und deutlich beantworten kann?

Die Wirtschaftstheorien der Vergangenheit helfen nicht mehr weiter

Nein, die gibt es nicht. Und zwar aus einem einfachen Grund: Weil wir in einer Ausnahmesituation leben, die die Welt so noch nicht gesehen hat: Das globale Wirtschafts- und Finanzsystem ist seit 2008 klinisch tot. Es funktioniert nur noch, weil es wie ein Patient auf der Intensivstation künstlich am Leben erhalten wird, und zwar durch die Zentralbanken.

Seit dem Beinahe-Zusammenbruch von 2008 haben die größten Zentralbanken der Welt zwischen 14 und 16 Billionen US-Dollar ins globale Finanzsystem gepumpt und fast siebenhundert Mal die Zinsen gesenkt. Der größte Teil dieses „billigen“ Geldes ist in die Finanzspekulation geflossen und hat so für eine historisch nie dagewesene Verzerrung der Märkte gesorgt.

Konnte man früher davon ausgehen, dass Aktienkurse etwas über die Gesundheit eines Unternehmens aussagen, so ist es damit vorbei: Großkonzerne in aller Welt haben das billige Geld genutzt, um eigene Aktien zurückzukaufen und deren Kurse künstlich in die Höhe zu treiben. Sagten früher die Kosten und Zinserträge von Staatsanleihen etwas über die wirtschaftliche und finanzielle Stärke eines Landes aus, so gehört auch das der Vergangenheit an: Die Zentralbanken haben ganze Länder vor dem Bankrott gerettet, indem sie deren Anleihen zu überhöhten Preisen aufgekauft und durch künstlich geschaffene Nachfrage Märkte erzeugt haben, wo es eigentlich keine mehr gab.

Die Manipulation ist grenzenlos

Doch das ist nicht alles: Inzwischen greifen die Zentralbanken auch direkt in die Aktienmärkte ein und sorgen dafür, dass sogar ins Schlingern geratene Unternehmen über Wasser gehalten und andere weit über ihrem tatsächlichen Wert gehandelt werden. Die Schweizer Nationalbank (SNB) zum Beispiel ist inzwischen Großaktionär bei Apple, Alphabet, Microsoft, Amazon und Facebook und hält zur Jahreswende 2017/2018 US-Aktien im Wert von 91 Milliarden Dollar. Nur zur Erinnerung: Die SNB kann das Geld, mit dem sie Aktien kauft, selber schaffen…

Das alles heißt: Wir leben in einem durch Geldschöpfung und Zinssenkung künstlich angetriebenen und aufgeblähten System. Das aber hat fatale Nebenwirkungen, denn Zentralbanken funktionieren nach denselben Prinzipien wie der Rest unseres Wirtschafts- und Finanzsystems: Das Geld, das sie schöpfen, wird nicht verschenkt, sondern muss zurückgezahlt werden. Es erhöht also stetig den globalen Schuldenberg.

Um die Bedienung dieser Schulden zu erleichtern, gibt es nur ein bewährtes Mittel: das Anheizen der Inflation. Das Ansteigen des allgemeinen Preisniveaus führt dazu, dass die Höhe der Schulden im Verhältnis zu den übrigen Geldwerten sinkt. Doch die Herbeiführung einer solchen Inflation erfordert genau die Mittel, die seit 2008 angewandt wurden: Geldschöpfung und Zinssenkung.

Obwohl die Zentralbanken in aller Welt seit einiger Zeit ankündigen, ihre Geldpolitik nach zehn Jahren des billigen Geldes wieder straffen zu wollen (und – wie die FED – einige sehr zaghafte Versuche in diese Richtung unternommen haben), können sie diesen Weg nicht weiter beschreiten, ohne dass ihnen der größte Schuldenberg in der Geschichte in die Quere kommt. Ihn zu ignorieren, hätte den Bankrott zahlloser Schuldner zur Folge, würde riesige Löcher in die Kassen der Gläubiger reißen und das System in die nächste, möglicherweise noch schwerere Krise als 2007/2008 stürzen.

Es gibt kein Zurück

Die Situation, in der wir stecken, lässt sich also folgendermaßen beschreiben: Die Zentralbanken haben sich auf eine Geldpolitik eingelassen, die an der Oberfläche zwar einige positive Phänomene erzeugt, die sich aber nicht rückgängig machen lässt, ohne das System als Ganzes zum Einsturz zu bringen.

Anders ausgedrückt: Das globale Finanzsystem gleicht einem Suchtkranken, der auf Grund von Drogeninjektionen immer wieder kurze Aufschwungphasen erlebt, dessen Organe aber von Mal zu Mal stärker geschädigt werden und die irgendwann – ohne Vorankündigung – ihren Dienst versagen werden.

Wann das sein wird – ob 2018 oder später – kann niemand voraussagen. Nur eines ist sicher: Die Mittel der Manipulation, die den Zentralbanken zur Verfügung stehen, sind weitgehend ausgereizt. Nach Niedrig- und Nullzinsen bleiben nur noch Negativzinsen – und damit die Zerstörung des klassischen Bankgeschäftes, nämlich der Kreditvergabe – und nach der Flut neu geschaffenen Geldes bleibt nur die Schaffung von noch mehr Geld – und damit der direkte Weg in die Hyperinflation.

 


Ernst WolffErnst Wolff ist freier Journalist und Autor der Bücher “Weltmacht IWF – Chronik eines Raubzugs“, erschienen im Tectum-Verlag, Marburg und Finanz-Tsunami.Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.