Ein Gastbeitrag von Nabi Yücel
„Wir weisen die Beileidsbekundung der US-amerikanischen Botschaft zurück“, sagte der türkische Innenminister Süleyman Soylu, noch am Abend des Terroranschlags in Istanbul.
Warum hat der Innenminister das gesagt? Hat Soylu etwa auf den Täter, Drahtzieher oder Waffenlieferanten des Bombenanschlags reagiert, der sein Werk ansehen, an der Trauerfeier teilnehmen wollte?
Der Bombenanschlag auf der İstiklal Caddesi in Istanbul wurde von einer Syrerin namens Ahlam Albashir verübt, die im YPG-/PYD-kontrollieren Gebiet im nordsyrischen Kobanê ausgebildet, über Umwege in die türkisch-kontrollierte nordsyrische Region Afrin einsickerte und von dort illegal in die Türkei einreiste. Hier wurde sie über 4 Monate von weiteren Terroristen in den Plan eingeweiht und eingewiesen. Der Befehl für den Bombenanschlag, wie auch der Befehl für die Tötung der Attentäterin, kamen ebenfalls aus Kobanê.
Offensichtlich sollte die Attentäterin nach der Tat aber nicht mehr am Leben bleiben, geschweige denn zurück nach Syrien oder gar ins benachbarte europäische Ausland flüchten. Nach der panikartigen Flucht geriet auch das Netzwerk in Panik. Das war, nach bisherigen Erkenntnissen der Ermittlungsbehörden, nun dem Netzwerk selbst vorbehalten, die die Tat vor Ort organisiert, den Sprengsatz (TNT) bereits präpariert und die Örtlichkeiten ausgekundschaftet hatten.
Kobanê, der Dreh- und Angelpunkt dieses Anschlags, ist unter der Kontrolle des syrischen Ablegers der PKK, dem militanten Arm YPG sowie dem politischen Arm PYD. Beide Terrororganisationen erhielten allein von den USA seit 2013 über 2 Milliarden US-Dollar. Die kilometerlangen LKW-Konvois, die US-amerikanische Waffen und gepanzerte Fahrzeuge anlieferten, bleiben bis heute unvergessen.
Das heißt, ein Verbündeter der Türkei hielt seit 2013 nicht nur die Hand über einer Terrororganisation, sondern bewaffnete und finanzierte diese auch großzügig. Diese Terrororganisation wird nun von der Türkei beschuldigt, das Leben von 6 türkischen Staatsbürgern genommen, 81 Menschen schwer verletzt zu haben.
Die US-amerikanische Botschaft in Ankara beließ es bei einer lapidaren Beileidsbekundung. Der türkische Innenminister wies diese Bekundung energisch zurück. Offensichtlich ist das Ende der Fahnenstange erreicht.
Die US-Regierung wollte kurz nach dem Selbstmordanschlag auf ein Wohnheim der Polizei in Mersin Ende September, die Registrierungsnummern der verwendeten Waffen wissen. Offenbar wollte die USA in Erfahrung bringen, ob die eingesetzten Waffen aus der eigenen Produktion bzw. eigenen Lieferung stammen könnten.
Für den Anschlag in Mersin nahmen die zwei Terroristinnen einen Fluggleiter, um vom syrischen Manbidsch im Tiefflug in das nahe Grenzgebiet in Hatay zu gelangen. Manbidsch wird ebenfalls von der YPG/PYD kontrolliert, in der auch US-amerikanische Militäreinheiten patrouillieren.
Rückblick: Weil Terroristen in Afghanistan und im Irak firmierten und für 9/11 verantwortlich gemacht wurden, hatte man beide Länder mit einem jahrelangen Krieg überzogen. Dabei hatten beide Länder mit den Terroristen an sich nichts zu tun.
Aber eine Terrororganisation und dessen Ableger hatten am 26. September den Polizisten Sedat Gezer beim Einsatz erschossen, der das Wohnheim mit Kollegen, deren Frauen und Kindern gegen zwei Terroristinnen der YPG verteidigte. Wären die Selbstmordattentäterinnen erfolgreich ins Wohnkomplex gelangt, wäre ein Massaker vorprogrammiert gewesen.
In Istanbul war die Terrororganisation diesmal erfolgreich, weil sie mit Barmitteln, TNT, Fahrzeugen und Manpower mitten auf einer belebten Einkaufsmeile am Sonntag 6 Menschenleben auslöschten; darunter zwei Kinder.
Innenminister Süleyman Soylu hatte zusammen mit der türkischen Regierung die USA seit Jahren aufgefordert, sich aus dem Gebiet zurückzuziehen oder zumindest die Kontrolle über die Region innezuhaben. Stattdessen versorgte man die Terrororganisation weiterhin mit Milliarden und Waffen.
Diese gelangten nun auf Umwegen in die Türkei und wurden eingesetzt. Der türkische Innenminister Soylu hatte kurz nach dem Anschlag durchblicken lassen, dass die türkischen Sicherheitskreise allein in diesem Jahr über 200 Terrorpläne, bis hin zu beabsichtigten Anschlägen vereitelt hätten.
Das heißt, die türkischen Sicherheitskreise arbeiten effizient und genau, weshalb auch der Anschlag vom Sonntag innerhalb von 10 Stunden aufgeklärt bzw. die Täter und Mitläufer verhaftet werden konnten. Das war offensichtlich auch dem Terrornetzwerk bekannt, dass die türkischen Sicherheitskreise auf Draht sind, weshalb man diesmal eine andere Route ins Land nutzte, eine Araberin als Attentäterin wählte und auch sonst mit einem kleinen Sprengsatz, dafür aber mit großer Sprengwirkung (TNT mit Eisennägel und Stahlkugeln angereichert) verwendete.
TNT ist nicht auf dem Basar erhältlich. TNT wird industriell sowie kontrolliert hergestellt und kontrolliert verkauft. Es ist bei Terrororganisationen ein heiß begehrter Sprengsatz, weil es im Gegensatz zu Düngemitteln handlich ist und auch unauffällig mitgetragen werden kann.
Zudem hatte man gar nicht vor, die Attentäterin nach dem Anschlag sicher ins Ausland zu bringen, sondern alsbald zu liquidieren. Das hätte den Vorteil gehabt, dass das Netzwerk nicht auffliegt oder ins Visier der Sicherheitskreise gerät.
Aber auch bei diesem Anschlag hatte das Terrornetzwerk nicht alles im Griff; angefangen von der Flucht vom Tatort, die die Sicherheitskreise direkt ins Versteck führte, bis hin zu den einzelnen Personen im Netzwerk, die anhand des Telefonverkehrs ausfindig gemacht werden konnten.
Das Neue an diesem Vorgehen der Terrororganisation PKK ist aber, dass sie wieder auf das syrische Element setzt, statt türkische Staatsbürger einzusetzen. Türkische Sicherheitskreise sind über die türkischstämmigen Personen innerhalb der PKK, der YPG oder PYD ausführlich informiert. Jeder ihrer Bewegungen wird registriert, sobald sie sich innerhalb des Landes befinden. Aber syrischstämmige Terroristen der PKK sind Neuland und für die türkischen Sicherheitskreise eine immense Herausforderung.
Der türkische Innenminister Soylu will diese Lücke schließen, koste es was es wolle. Schließlich bildet seit Jahren der sicherheitspolitische Aspekt das Rückgrat der Regierung. Ist diese gefährdet, kommt auch die Regierung in Erklärungsnot. Das darf nicht passieren; oder hat man es darauf abgesehen? Vergessen wir nicht: Die USA sind im Vorgarten der Türkei und halten die Hand über eine Terrororganisation. US-Präsident Joe Biden sprach unverblümt von einem Machtwechsel in der Türkei, die man herbeiführen werde.
Was könnte also nach diesem verheerenden Bombenanschlag passieren? Die türkische Regierung hat mittlerweile mehrere militärische Operationen im Nordirak wie auch in Nordsyrien durchgeführt; entgegen der Warnungen Russlands oder der USA. Auch diesmal ist nicht ausgeschlossen, dass das türkische Militär eines Nachts in Manbidsch oder Kobanê steht und Flagge zeigt. Es kommt lediglich darauf an, was die USA jetzt anbieten, um das abzuwenden.
Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar
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