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Jerusalem-Krise
Kommentar: Ich verurteile die Angriffe auf Juden

Bei einer unangemeldeten spontanen Demonstration vor einer Synagoge in Gelsenkirchen riefen am vergangenen Mittwoch rund 100 junge Menschen unter anderem "Scheiß Juden".

(Symbolfoto: pixa)
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Ein Gastbeitrag von Nabi Yücel

Bei einer unangemeldeten spontanen Demonstration vor einer Synagoge in Gelsenkirchen riefen am vergangenen Mittwoch rund 100 junge Menschen unter anderem „Scheiß Juden“.

Wie NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) finde auch ich diese Slogans unerträglich, vor allem weil Juden und Synagogen in Deutschland für den Konflikt in Jerusalem oder Israel bzw. Palästina nicht verantwortlich gemacht werden können, wie für Krisen in der Türkei die Türken oder Moscheen in Deutschland nicht verantwortlich gemacht werden dürfen – wofür ich mich stets einsetze. Ich verurteile diese Angriffe.

Gleichwohl bin ich froh, dass die Demonstration in Gelsenkirchen nicht ausgeartet ist und es zu Übergriffen auf die Synagogen gegeben hat – auch und weil die Polizei schnell vor Ort war. Das zeigt mir, dass die Hemmschwelle unter den teilnehmenden Jugendlichen noch recht hoch war und dass die jungen Menschen angesichts der Präsenz der Polizei ihre Wut nur verbal zum Ausdruck bringen konnten.

Anders sah es in Bonn aus, wo auf eine Synagoge Steine geworfen wurden. Im württembergischen Ludwigsburg schmierte ein junger Mann am helllichten Tage Parolen auf Häuserfassaden. Die Handvoll Tatverdächtigen wurden aber später gefasst.
Ich finde solche Äußerungen und Taten unerträglich, auch und weil darunter junge türkische Landsleute beteiligt waren.

Ihnen und allen anderen jungen Türken und Türkinnen will ich sagen:

Auch wenn der Kloß tief sitzt, eure Ohnmacht über die Geschehnisse in Ostjerusalem oder Palästina euch dazu verleiten, die Vernunft auszuschalten, gibt dem unbedingt keine Chance! Ihr könnt in diesem Land eure demokratischen Rechte auch anders zum Ausdruck bringen. Indem ihr das israelische Regime anprangert, die israelische Politik, die israelischen Rassisten kritisiert, vor der israelischen Botschaft oder Konsulat friedlich protestiert, in sozialen Medien eure Meinung sachlich oder mit spitzer Zunge teilt.

Ihr hilft den Palästinensern und den friedlichen Juden nur, in dem ihr genau das und nur so zum Ausdruck bringt. Damit könnt ihr eine Apartheid verurteilen, Rassisten in die Schranken weisen, die Politik in Erklärungsnot bringen.

Das führt uns auch zu einem anderen wichtigen, nicht beachteten Aspekt, die in diesem Zusammenhang allzu deutlich hervorsticht:
Die Wirkung der türkisch-muslimischen Verbände auf junge Menschen lässt immer weiter nach. Nach Jahrzehnten des positiven Wirkens der DITIB, Atib oder Milli Görüs müssen wir uns eingestehen, dass die deutsche Politik der Marginalisierung türkisch-muslimischer Vereine und Verbände immer konkreter in Erscheinung tritt und erste schlechte und hässliche Früchte trägt.

Nepper, Schlepper und Bauernfänger jeglicher Couleur haben es immer leichter, in diesem politisch verursachten Vakuum junge Menschen nach ihren politischen, religiösen oder ideologischen Zielen zu kanalisieren, sie fehlzuleiten, sie zu instrumentalisieren – wie man es in Gelsenkirchen beobachten konnte.

Seitdem die türkisch-muslimischen Vereine und Verbände seit Jahren in Kritik stehen, ihnen die gesellschaftliche wie politische Teilhabe verwehrt wird, desto weniger haben sie die Möglichkeit, sich für die jungen Menschen einzusetzen, der sozialen Verantwortung gerecht zu werden. Das wird derzeit auch muslimischen Verbände wie dem Zentralrat der Muslime zuteil, die eine durchmischte Verbandsstruktur aufweist.

Eingeschüchtert, stigmatisiert und mit wenigen Mitteln, die ihnen noch zur Verfügung stehen, müssen diese Vereine und Verbände nun verstärkt die Jugend in die Hand nehmen, deren Wut kanalisieren und neutralisieren, in dem sie auf gesellschaftliche und politische Fehlentwicklungen sowie Ungerechtigkeiten aufmerksam machen.

Denn, in den letzten Tagen hat sich auch herauskristallisiert, dass Quotenmigranten, die sich bislang dem Einsatz gegen Rassismus verschrieben und dabei stets auch die Türkei wie auch andere Länder scharf kritisiert haben, gegenwärtig ein Apartheidregime verteidigen und sich mit ihr solidarisieren. Schlimmer noch, sie verteidigen sogar das Recht auf Selbstverteidigung Israels, verweigern im gleichen Atemzug Palästinensern dasselbe Recht.

Dabei teilen sie ihren Tausenden Followern und politischen Wortführern mit, wie sehr ihre bedingungslose Solidarität mit Israel verwurzelt ist. Das bedeutet, dass diese jungen Menschen, ob in Gelsenkirchen oder Bonn, mit ihrer Meinung und Ansicht alleine dastehen, weil einerseits keiner dieser Wortführer sie in die Hand nimmt und führt, stattdessen Neppern, Schleppern und Bauernfängern überlässt. Andererseits muslimische Vereine und Verbände gerade von diesen Wortführern in ihrer Arbeit stark behindert wurden und gegenwärtig nicht mehr so agieren können, wie sie es vor Jahren erfolgreich taten, weshalb antisemitische Vorfälle kaum in Erscheinung traten.

Angesichts dieser Schieflage in Deutschland, in der ein Apartheidregime unter anderem ethnische Säuberungen durchführen kann, ohne dafür in Rechenschaft gezogen zu werden und angesichts der feindlichen Haltung gegenüber der Solidarisierung mit Palästinensern, suchen junge Menschen nach Wortführern und Notablen, die diese Schieflage kompensieren. Die Quotenmigranten wollen ausschließlich Israel beistehen, die muslimischen Vereine und Verbände sind in ihrer Handlungsfreiheit stark beschnitten worden, bleiben also nur Nepper, Schlepper und Bauernfänger.


Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.


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