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Armenien: Russland versucht die Türkei zum Einlenken zu bewegen

Der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan ist seit dem 12. Juli wieder aufgeflammt, nachdem armenische Einheiten an der Staatsgrenze zu Aserbaidschan die Region Tovuz mit Granaten beschossen haben und in dessen Verlauf es zu schweren Kämpfen gekommen ist.

(Archivfoto: Screenshot/TCCB)
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Ein Gastbeitrag von Kemal Bölge – kboelge@web.de

Was steckt hinter den armenischen Angriffen auf Aserbaidschan?

Der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan ist seit dem 12. Juli wieder aufgeflammt, nachdem armenische Einheiten an der Staatsgrenze zu Aserbaidschan die Region Tovuz mit Granaten beschossen haben und in dessen Verlauf es zu schweren Kämpfen gekommen ist.

Auffallend ist, dass die Angriffe in der im Westen von Aserbaidschan gelegenen Stadt Tovuz stattfinden, in dem die strategisch wichtigen Baku-Tiflis-Ceyhan Erdölpipeline, die Erdgaspipeline Baku-Tiflis-Erzurum sowie die Transanatolische Pipeline (TANAP), das Erdgas über Aserbaidschan, die Türkei, Griechenland, Albanien nach Italien bringt. Ferner verläuft dort die Bahnstrecke Baku-Tiflis-Kars. Dieses Gebiet befindet sich außerhalb der von Armenien besetzten Gebiete in Karabach und Aserbaidschan. Daher stellt sich die Frage, warum ausgerechnet jetzt Armenien diese Angriffe durchführt.

Zur Erinnerung: 1992 hatten armenische Einheiten das völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehörende Berg-Karabach und darüber hinaus 20 Prozent aserbaidschanisches Territorium in einem Angriffskrieg überfallen, die aserbaidschanischen Bewohner massakriert und anschließend besetzt. In Chodschali begingen am 26. Februar 1992 armenische Einheiten einen Genozid an der dortigen Zivilbevölkerung, bei dem wehrlose Frauen, Kinder und Ältere mit unglaublicher Brutalität ermordet wurden. Als Folge der armenischen Aggression wurden über eine Million Aserbaidschaner aus ihrer angestammten Heimat vertrieben. Die Mörder von damals und die Verantwortlichen wurden nie angeklagt und besetzten wichtige Regierungspositionen in Armenien.

Die derzeitige armenische Aggression kann nicht mit historischer Feindschaft erklärt werden, sondern hat andere Ursachen. Armeniens größter historischer Verbündeter in der Region ist Russland, das gute Beziehungen zu Eriwan unterhält. Armenien ist Mitglied der politisch-militärischen Allianz OVKS, dem neben Russland auch Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisistan angehört. Auch ökonomisch betrachtet ist Russland der wichtigste Handelspartner. Armenien hat auch andere Verbündete wie die USA und Frankreich, in dem eine große Zahl einer armenischen Diaspora lebt und mit ihren einflussreichen Lobbyorganisationen Druck auf die Entscheidungsträger in der Politik ausüben.

Russland als Großmacht betrachtet die Kaukasusregion als seinen Hinterhof und spielt die Völker im Kaukasus, falls erforderlich, gegeneinander aus. Wie bereits erwähnt verlaufen ganz in der Nähe mehrere Erdöl- und Erdgaspipelines sowie eine Eisenbahnstrecke. Es handelt sich um Erdöl und Erdgas aus Aserbaidschan, das über Baku, Georgien über die Türkei an die Mittelmeerküste bzw. nach Europa befördert wird. Zum besseren Verständnis hier ein Vergleich von russischem und aserbaidschanischem Gas, das die Türkei importiert.

Der Anteil von russischem Erdgas auf dem türkischen Markt lag 2015 bei 55,31 Prozent, 2019 bei 33, 61 Prozent und fiel in den ersten vier Monaten dieses Jahres auf 23,56 Prozent. Schauen wir uns jetzt den Anteil von Aserbaidschan an. Der Anteil von aserbaidschanischem Gas auf dem türkischen Markt lag 2017 bei 11,85 Prozent, 2018 bei 14,94 Prozent, 2019 bei 21, 2 Prozent und in den ersten vier Monaten dieses Jahres konnte es seinen Anteil auf 33,16 Prozent ausbauen.

Auf dem türkischen Erdgasmarkt hat sich also der Anteil des aserbaidschanischen Erdgases innerhalb von drei Jahren fast verdreifacht, während das russische Gas innerhalb von fünf Jahren um mehr als die Hälfte zurückging. Russland hatte auf dem türkischen Gasmarkt 2015 quasi ein Monopol und dieser Zustand konnte durch Gaslieferungen aus Aserbaidschan, Iran und anderen Ländern deutlich reduziert werden.

Ich benenne jetzt mehrere Faktoren, warum Armenien im Auftrag Russlands aserbaidschanisches Staatsterritorium beschießt:

Russland unterstützt in Syrien das Assad-Regime und ist dort ein wichtiger Akteur. Durch die Anwesenheit der Türkei in Syrien und der Unterstützung der libyschen Regierung durch Ankara sieht Russland seine Interessen gefährdet und spielt deshalb die armenische Karte, um im Kaukasus eine „dritte Front“ zu eröffnen. Das wiederum ruft die Türkei auf den Plan.

Die Erdöl- und Erdgaspipeline aus Aserbaidschan, das Energie nach Europa transportiert, betrachtet Moskau nicht ohne Sorgen, weil dadurch der eigene Gasexportanteil zurückgeht

Die Türkei und Aserbaidschan verbindet eine traditionelle Freundschaft. Beide Seiten betrachten die andere Seite als Bruderstaat. Aserbaidschan gilt für die Türkei als das Tor zu den Turkstaaten. Durch armenische Provokationen und einer möglichen Eskalation versucht Moskau die Türkei in Syrien und in Libyen zum Einlenken zu bewegen.


Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.


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Kemal Bölge ist Politologe, Historiker, Verleger und freier Journalist