Athen/Berlin – Alle Kinder und andere besonders verletzliche Menschen müssen umgehend aus dem Flüchtlingslager in Moria auf Lesbos in Sicherheit gebracht werden. Sie müssen in Unterkünfte auf dem griechischen Festland und in andere Staaten der Europäischen Union verlegt werden, fordert Ärzte ohne Grenzen.
Das völlig überfüllte Lager in Moria bietet den meist durch Krieg und Gewalt Traumatisierten keinerlei Schutz und belastet diese im Gegenteil psychisch und physisch noch mehr. Fast ein Viertel der Kinder und Jugendlichen, mit denen Mitarbeiter der internationalen Hilfsorganisation in diesem Frühjahr Therapiegespräche führten, hatten daran gedacht oder versucht, sich umzubringen oder verletzten sich selbst.
„Diese Kinder kommen aus Ländern, in denen Krieg herrscht, und wo sie extreme Gewalt und Traumatisches erlebt haben. Anstatt dass sie in Europa Schutz und Hilfe bekommen, werden sie Angstsituationen, Stress und weiterer, auch sexueller Gewalt ausgesetzt“, beschreibt Declan Barry, medizinischer Koordinator von Ärzte ohne Grenzen in Griechenland.
„Darüber hinaus ist die Umgebung gesundheitsschädlich. Als Folge erleben wir viele Fälle von wiederkehrendem Durchfall und Hautinfektionen bei Kindern aller Altersgruppen. Angesichts der Überfüllung und der unhygienischen Zustände im Camp ist das Risiko von Krankheitsausbrüchen sehr hoch.“
In einer Gruppentherapie für Kinder und Jugendliche im Alter von sechs bis 18 Jahren beobachteten die Teams von Ärzte ohne Grenzen zwischen Februar und Juni dieses Jahres, dass 18 der 74 jungen Patienten sich selbst verletzten, versucht hatten, sich umzubringen, oder daran gedacht haben, Suizid zu begehen.
Andere der Kinder und Jugendlichen litten unter starker Beeinträchtigung der Sprachfähigkeit, Panikattacken, Angstzuständen, aggressiven Gewaltausbrüchen und ständigen Albträumen.
Die Strategie, Flüchtlinge und Migranten auf den griechischen Inseln zu sammeln, hat dazu geführt, dass mehr als 9.000 Menschen auf unbestimmte Zeit im Camp in Moria feststecken, das nur für 3.100 Menschen ausgelegt ist.
Ein Drittel von ihnen sind Kinder. Allein in den ersten beiden Septemberwochen kamen mehr als 1.500 neue Menschen auf Lesbos an. Da es keinen Platz mehr für sie gab, leben sie nun ohne Unterkunft, ohne ausreichend Essen und mit einem extrem eingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung.
Die Teams von Ärzte ohne Grenzen haben viele Kinder behandelt, die eigentlich dringend in Athen medizinisch versorgt werden müssten. Weil es für sie aber auf dem Festland keine Unterbringung gibt, müssen sie in einem Umfeld weiterleben, in dem ihre körperliche und psychische Verfassung sich noch verschlechtern.
„Seit drei Jahren fordert Ärzte ohne Grenzen von der griechischen Regierung und der Europäischen Union, dass sie Verantwortung übernehmen für ihr kollektives Versagen und nachhaltige Lösungen schaffen, um diese katastrophale Situation zu beenden“, sagt Louise Roland-Gosselin, Landeskoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen in Griechenland.
„Es ist Zeit, die verletzlichsten Menschen unverzüglich in Sicherheit zu bringen und diesen endlosen Kreislauf aus Notfall, Entspannung und schrecklichen Bedingungen in Moria zu beenden. Es ist Zeit, den EU-Türkei-Deal zu beenden.“
Ärzte ohne Grenzen arbeitet seit 2017 in Moria mit den Schwerpunkten Pädiatrie, psychologische Unterstützung für Kinder sowie Beratung zur Familienplanung. Außerdem betreibt die Organisation seit Oktober 2016 eine Klinik für psychische Gesundheit in Mytilini.