Start Interviews Interview Remzi Aru: „Man will Medienkritik mithilfe des Urheberrechts mundtot machen“

Interview
Remzi Aru: „Man will Medienkritik mithilfe des Urheberrechts mundtot machen“

Der Berliner Unternehmer Remzi Aru, dessen YouTube-Kanal kürzlich gelöscht wurde, wittert dahinter „Zensur unter dem Deckmantel des Urheberrechts“. Im Interview mit NEX24 wirft er insbesondere ARD und ZDF vor, eine Hinterfragung ihrer selbst produzierten Inhalte zu unterminieren, indem man das Zitieren von Material unterbindet, für welches die Allgemeinheit Zwangsgebühren bezahlt.

(Foto: nex)
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Berlin (nex) – Die Videoplattform YouTube hat den Kanal des in Berlin lebenden türkischen Unternehmer und Autors Remzi Aru nach Beschwerden wegen angeblicher Urheberrechtsverletzungen gelöscht. NEX24 befragte Aru nach den Hintergründen.

Sehr geehrter Herr Aru, Ihr Kanal auf YouTube existiert nicht mehr. Was hat es damit auf sich?

Remzi Aru: Die Begründung ist ganz lapidar, dass „wiederholt Urheberrechtsverletzungen im Hinblick auf das vom Nutzer hochgeladene Material von Dritten gemeldet“ worden wären. Offenbar bemisst sich die Sperr-, Lösch- und Blockierpraxis sozialer Medien in Deutschland daran, ob irgendjemand in der Lage ist, genügend Leute zusammenzutrommeln, um missliebige Akteure unter zweifelhaften Vorwänden anzuschwärzen. Sobald dies einer schafft, ist der andere geliefert, denn inhaltlich befassen sich die Fließbandzensoren nicht mit der Materie. Sonst würde ja auch Facebook nicht PKK-kritische Beiträge löschen, nur weil deren Symbol auf einem Bild vorkommt, sondern stattdessen rassistische Hetze, die stehenbleibt, weil sie angeblich „nicht gegen die Gemeinschaftsregeln verstößt“.

Aber es hat diese Urheberrechtsverletzungen doch gegeben?

Remzi Aru: In einer Zeit, in der Kindergärten von der GEMA abgemahnt werden, weil sie „Hänschen klein“ singen, ist in Deutschland sehr vieles möglich und ein exzessives Verständnis von Immaterialgütern erweist sich schon lange als Hemmschuh von Innovation oder Keule für den Knöllchenhorst, der sich als Partycrasher betätigen will. Aber selbst das ändert nichts daran, dass es eine zulässige Form der medialen Darstellung ist, Inhalte Dritter zu zitieren, um sich anschließend kritisch damit auseinanderzusetzen – sei es in Form politischer, sei es in Form künstlerischer Aussagen. Auf diesem Prinzip beruhen ganze Sendungskonzepte wie „TV Total“ oder die „heute show“. Um Medieninhalte parodieren, persiflieren, zerpflücken, zum Debattengegenstand machen zu können, muss es möglich sein, diese zu zitieren und das bedeutet im visuellen Bereich, Ausschnitte aus Sendungen wiederzugeben, an denen Dritte Urheberrechte haben. Diese müssen sich das gefallen lassen, sofern es nicht offenbar darum geht, sich schmarotzerisch die geistige Leistung eines Dritten anzueignen und diese als eigene auszugeben.

Haben Sie eine Ahnung, von wem die Beschwerden gekommen sein könnten?

Remzi Aru: Den Anfang machte ein am 31.08.2015 auf unserer Plattform gepostetes Video „Die Kurden“. Es wurde wegen eines urheberrechtlichen Anspruches entfernt, welchen das ZDF erhoben haben soll. Gleichzeitig wurden uns die Kontofunktionen eingeschränkt und eine urheberrechtliche Warnung erteilt. Wir haben damals Beschwerden gegen diese Maßnahme an YouTube und das ZDF adressiert und Letzterem Rechtsmissbrauch im Sinne des Schikaneverbotes des § 226 BGB vorgeworfen, also jener Gesetzesbestimmung, die es verbietet, vermeintliche Rechtsansprüche zum alleinigen Zweck der Schädigung seiner Mitmenschen durchzusetzen, ohne selbst ein berechtigtes rechtliches Interesse wahren zu wollen oder wenn man zuvor selbst eine Pflicht verletzt hat – hier die Pflicht zur Ausgewogenheit und Objektivität als öffentlich-rechtlicher Sender. Wir haben deutlich gemacht, dass wir in dem vom ZDF als öffentlich-rechtlichem Sender gewählten Vorgehen eine Verletzung unserer grundgesetzlich geschützten Rechte auf Freiheit der Meinungsäußerung und Freiheit der Kunst sehen.

Worum ging es in dem Video konkret?

Remzi Aru: Konkret ging es um ein Video, das sich in Form einer Persiflage kritisch mit einer vom Sender selbst entwickelten Reportage befasst, in diesem Fall mit einem Beitrag auf der Facebook-Seite der Sendung „heute plus“. Er hat sich in stark verharmlosender Weise mit der PKK auseinandergesetzt und auf diese Weise Millionen Einwohner und vor allem Zwangsgebührenzahler aus der türkischen Einwanderercommunity vor den Kopf gestoßen. Wir haben den weitgehend intakten Beitrag mit einem alternativen Text unterlegt und ganz zum Ende hin um Aufnahmen ergänzt, die Unterstützung für den türkischen Kampf gegen den Terror sowie Respekt vor den im Antiterrorkrieg gefallenen Soldaten bekundet haben. Es war also klar, dass wir nicht „Inhalte klauen“ wollten, sondern dem Zuschauer durch Dokumentation des Originalbeitrages und dazu angefertigte Interlinearglossen Manipulationsmechanismen aufzeigen und deren Funktionsweise nachvollziehbar machen wollten. Betrachtet man die gängige Definition von Persiflage, gehört es zu ihren Kernelementen, nachahmend und kritisch zu sein. In den USA ist diese Form der Auseinandersetzung mit Medieninhalten Gang und Gäbe. Jede zweite ZDF-Reportage bedient sich ebenfalls ihrer.

Aber wenn jeder das Material öffentlich-rechtlicher Sender ohne weiteres benutzen würde…?

Remzi Aru: Wir bezahlen doch alle Monat für Monat Lizenzgebühren dafür in Form des Rundfunkbeitrages. Wir werden gezwungen, diesen zu bezahlen, unter anderem, damit ARD und ZDF ausreichend Geld haben, um Nachrichtensendungen und Reportagen zu finanzieren. Von ARD und ZDF produzierte Sendungen sind öffentlich-rechtliche Leistungen, die vom Gebührenzahler und der Allgemeinheit selbst bezahlt wurden, auf die seitens der Allgemeinheit deshalb auch ein Anrecht besteht und die sich auch der kritischen Beurteilung durch die Allgemeinheit stellen müssen. Hier wird das Urheberrecht vorgeschoben, um „Zensur über Bande“ zu spielen, um kontroverse Beiträge gegenüber Kritik abzuschirmen und so die Verwendung von Inhalten durch Medien-Watchdogs oder Künstler zu hintertreiben. Es ist aber unser gutes Recht, Manipulationen und journalistische Mängel in solchen Beiträgen zu hinterfragen, zumal dann, wenn sie nicht dem gesetzlichen Auftrag dieser Medien und nicht deren Ausgewogenheitsgebot entsprechen.Es ist ein Treppenwitz, wenn Tag für Tag in ARD- und ZDF-Beiträgen über die angebliche politische Instrumentalisierung und Schikane von Oppositionellen in der Türkei, in Polen, in Russland oder wo auch immer gejammert wird, aber man gleichzeitig dafür sorgt, dass eine kritische Auseinandersetzung mit dem öffentlich-rechtlichen Journalismus in Deutschland nicht stattfindet.

Werden Ihre Medienpartner jetzt keine Videos dieser Art mehr produzieren?

Remzi Aru: Es wird ein neues, eigenes Portal als Alternative zu YouTube geben. Dort werden weiterhin kritische Videos und Aufarbeitungen zweifelhafter Medienbeiträge stattfinden. Dieses wird gerade aufgebaut und wird in Kürze verfügbar sein.

Herr Aru, wir danken für das Gespräch.