Am Mittwoch berief die Bundesregierung die Mitglieder der im Koalitionsvertrag vereinbarten unabhängigen Expertenkommission Antiziganismus.
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma begrüßt die schnelle Berufung durch den Bundesminister des Innern, Horst Seehofer, nachdem der Deutsche Bundestag in der vergangenen Woche entsprechende Entschließungsanträge der Koalitionsfraktionen wie der Oppositionsfraktionen – mit Ausnahme der AfD – verhandelt hatte.
Minister Seehofer unterstrich die Bedeutung der Expertenkommission für die zukünftige politische Ausrichtung bei der Bekämpfung des Antiziganismus. Es sei sein Wunsch und der Wunsch seines Ministeriums, dass die Kommission einen Abschlussbericht mit substantiellem Gehalt liefere, der Bundestag, Bundesregierung und der Minderheit der Sinti und Roma gleichermaßen Vorgaben für einen respektvollen Umgang liefern möge.
Der Vorsitzende des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, erklärte dazu gestern: „Antiziganismus ist tiefverwurzelt in der deutschen und der europäischen Gesellschaft. Die Ächtung des Antiziganismus durch die Bundesregierung und durch die Politik muss jetzt durch entsprechende Anstrengungen insbesondere in der politischen Bildung untermauert werden.“
Der Deutsche Bundestag hatte während der Debatte am vergangenen Freitag die Bekämpfung des Antiziganismus als gemeinsame Aufgabe von Politik und Gesellschaft benannt, aber im dann verabschiedeten Entschließungsantrag der Koalition keine Selbstverpflichtung des Bundestages hierzu aufgenommen.
Um so wichtiger ist für den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma jetzt die Arbeit der Expertenkommission, die neben einem Bericht zum Ende der Legislaturperiode konkrete Empfehlungen an die Bundesregierung geben soll, um die historische Dimension ebenso aufzuarbeiten wie den gegenwärtigen Antiziganismus zu bekämpfen. Hierzu gehöre vorrangig die Dokumentation antiziganistisch motivierter Straftaten wie die Beobachtung von Antiziganismus in den Medien und den Auswirkungen bei den Einstellungen in der Bevölkerung. Insbesondere sollte die Kommission ihr Augenmerk auf Schule und Bildung richten, denn gerade in den Schulen gibt es kaum verlässliches und gut aufbereitetes Bildungsmaterial zum Thema Sinti und Roma, so Rose.
Romani Rose wies darauf hin, dass nach 1945 die antisemitischen Einstellungen in Deutschland damals so hoch lagen wie heute antiziganistische Einstellungen. Der Antisemitismus wurde jedoch – auch auf Druck der Alliierten – durch eine klare, inzwischen von allen demokratischen Parteien getragene politische Haltung auch gesellschaftlich geächtet.
Dagegen zeigen die Untersuchungen der Leipziger Universität aus dem Jahr 2018 wie die der Europäischen Grundrechteagentur, dass die Ablehnung von Sinti und Roma in der Bevölkerung bei nahezu 60 Prozent liege. „Die Aufgabe der Expertenkommission Antiziganismus ist daher von grundsätzlicher Bedeutung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und für die Stabilität unserer demokratischen Verfasstheit“, so Rose.
Dabei dürfe sich die Bekämpfung des Antiziganismus nicht ausschließlich auf die Auseinandersetzung mit rassistischen Einstellungen, Handlungen und Strukturen beschränken. Genauso wichtig sei es, die Leistungen und Beiträge von Sinti und Roma zur deutschen und europäischen Kultur in der Gesellschaft sichtbar zu machen; dies müsse die positive Antwort auf den bestehenden Antiziganismus sein, so Rose. Ein wichtiges Projekt sei hier das über vier Jahre hinweg von der Kulturstiftung des Bundes geförderte „RomArchive“, das ebenfalls am heutigen Tag in die Trägerschaft des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma übergeht (www.romarchive.eu).