Siegen (nex) – Am 31. Juli jährte sich zum 37. Mal der Mord an dem türkischen Botschaftsattaché Galip Özmen und seiner 14-jährigen Tochter Neslihan durch die armenische Terrororganisation ASALA. Im Jahr 1980 kamen an diesem Tag in Athen Özmen und seine Tochter bei einem bewaffneten Anschlag durch die ASALA ums Leben, während seine Frau Sevil Özmen und sein Sohn Kaan schwerverletzt überlebten.
Der Mord an Özmen und seiner Tochter reihte sich ein in eine Spur blutiger Anschläge armenischer Terrororganisationen, die von den 70-er bis in die 90-er Jahre des letzten Jahrhunderts für hunderte von Todesopfern sorgte.
Der erste Terroranschlag zielte auf Mehmet Baydar, den türkischen Generalkonsul in Los Angeles und seinen Stellvertreter Bahadir Demir. Die Morde wurden von einem Armenier namens Gurgen Yanikan im Jahr 1973 ausgeführt. Aus dieser einzelnen Aktion wurden dann in den nächsten Jahrzehnten organisierte terroristische Aktionen in 38 Städten von 21 Ländern. Von den 110 Terrorakten waren 70 Bombenattacken und 39 bewaffnete Angriffe, dazu gab es eine Botschaftsbesetzung.
Der Siegener Politikwissenschaftler und Leiter des Forschungszentrums Südosteuropa und Kaukasus, Dr. Christian Johannes Henrich, hat bereits in seiner Doktorarbeit die westliche Einseitigkeit in der Bewertung der Ereignisse von 1915 in Ostanatolien kritisiert. Er ist 2015 aus Protest gegen die Armenien-Resolution des Deutschen Bundestages nach 21 Jahren aus der CDU ausgetreten.
NEX24: Herr Dr. Henrich, was stört Sie an der Völkermord-Resolution des Deutschen Bundestages?
Dr. Henrich: Es ist vollkommen unpassend, geschichtliche Ereignisse durch Politiker bewerten zu lassen – noch dazu die Geschichte eines anderen Landes. Es sitzt kein Wissenschaftler im Bundestag, der Experte zu diesem Thema ist. Es wurden auch keine Fachleute aus Armenien oder der Türkei zur Geschichte befragt. Allerdings haben wir 80 Rechtsanwälte im Bundestag, die alle die Grundlagen des juristischen Studiums vergessen haben, nämlich das strafrechtliche Rückwirkungsverbot von Gesetzen. Der Völkermord ist ein strafrechtlicher Tatbestand und wurde 1948 ins Völkerstrafrecht eingeführt.
Natürlich kann man anführen, dass im internationalen Strafrecht andere Regeln gelten (siehe Nürnberger Prozesse); dass dann aber immer nur die Türkei angeklagt wird, nicht aber die Niederlande (Indonesien, 1965-1966), Belgien (Kongo, 1888-1908), Frankreich (u.a. Algerien, 1954-1962), die USA (Indigene Völker, um 1830), Großbritannien (Burenkrieg 1899-1902; Indien, 1857) und Deutschland (Herero und Nama 1904-1908), wirkt absonderlich.
NEX24: Was ist Ihrer Meinung nach ein gangbarer Weg zur Aufarbeitung der Geschichte?
Dr. Henrich: Aus meiner Sicht gibt es zwei Wege, einen juristischen und einen wissenschaftlichen. Auf dem juristischen Weg könnte Armenien oder ein anderes die Völkermord-These unterstützendes Land Klage vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag einreichen. Völkermord verjährt nicht. Allerdings haben bisher das Osmanische Reich, die Türkei und einzelne türkische Staatsbürger stets Gerichtsverfahren zu dieser Thematik gewonnen. Angefangen von dem Malta-Tribunal 1920 bis hin zum jüngsten Erfolg von Doğu Perinçek gegen die Schweiz vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg im Oktober 2015.
Der zweite, wissenschaftliche, Weg ist eine internationale Historiker-Konferenz, wie sie die Türkei schon seit über 15 Jahren vorschlägt. Diese Vorschläge wurden von Eriwan bisher abgelehnt oder nicht beantwortet – eine klare Verzögerungstaktik zur Wahrung des status quo. Armenien hat ja bereits den Westen hinter sich, warum sollten die den wissenschaftlichen Weg der Wahrheitsfindung gehen? Deshalb hält Armenien auch die Archive verschlossen. Man muss sich das mal in einem Gerichtssaal vorstellen: Jemand erhebt Mordanklage gegen einen anderen, hält dann aber sämtliche Beweise zurück.
NEX24: Wieso denken dann alle, dass es ein Völkermord war?
Dr. Henrich: Ich bin Ihnen sehr dankbar für diese Frage. Mir wurde sie früher schon einmal unvorbereitet gestellt. Nun ganz einfach, es denken gar nicht alle so. Es ist reine Propaganda und ein psychologisches Spiel. Man versucht bei Querdenkern wie mir, die an die Quelle in die Archive gehen, ein Gefühl des Zweifels und der Verunsicherung zu erzeugen. Die Realität ist eine andere: „Alle“ sind 197 souveräne Staaten, lediglich 23 haben die Ereignisse von 1915 als Völkermord klassifiziert. Diese 23 Staaten repräsentieren 617 Millionen Menschen von 7,3 Milliarden. Die Mehrheit ist das wohl eher nicht. Was soll auch die Entscheidung eines Parlaments bedeuten?
Politiker entscheiden nach subjektiven Interessen. Als die Bundeswehr 1999 zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg an einem bewaffneten Kampfeinsatz teilnahm, handelte es sich um einen Angriffskrieg gegen Jugoslawien. Der Bundestag hat dies in seinem Beschluss vom 16. Oktober 1998 gegen die Bedenken des damaligen Justizministers Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) anders bewertet.
NEX24: Haben Sie aufgrund Ihrer Forschungen und Veröffentlichungen Probleme mit Gegnern oder armenischen Aktivisten gehabt?
Dr. Henrich: Nein, außer den üblichen Beleidigungen keine Probleme. Allerdings merkt man schon eine ablehnende Haltung seitens deutscher Kolleginnen und Kollegen. Bei universitären Auswahlverfahren und Forschungsmitteln werden ich und meine Projekte nicht berücksichtigt. Körperliche Gewaltandrohungen habe ich zum Glück nicht erlebt. Allerdings sind die Zeiten des armenischen Terrors zum Glück auch vorbei.
NEX24: Was meinen Sie mit armenischem Terror?
Dr. Henrich: Die nationalistisch-terroristischen Aktivitäten der Daschnaken stehen auch nicht für alle Armenier. Die Daschnaken Partei hat sich 1890 in Tiflis gegründet, um Terror ins Osmanische Reich zu bringen. Diese Gruppe war erst für den Zerfall der jahrhundertelangen Freundschaft zwischen Armeniern und Türken verantwortlich. Die nationalistisch-terroristischen Aktivitäten der Daschnaken stehen natürlich nicht für alle Armenier. Aus dieser Historie heraus haben sie zwischen 1920 und 1922 mit der Operation Nemesis sieben türkische und aserbaidschanische Politiker ermordet.
Die armenische Geheimarmee zur Befreiung Armeniens (ASALA) hat zwischen 1973 und 1994 durch mehrere Attentate 35 türkische Diplomaten und deren Familienangehörigen getötet. Ebenfalls haben Sie US-amerikanische Wissenschaftler und deren Familien bedroht, falls diese sich weiterhin kritisch zur Völkermord-Thematik äußern würden. Daschnaken und ASALA unterhalten bis heute eine enge Freundschaft mit der PKK.
NEX24: Konnten Sie nicht von der Türkei aus finanziell gefördert werden?
Dr. Henrich: Prinzipiell schon, aber die Türkei hat meinen Wert noch nicht erkannt. Bedeutende internationale Wissenschaftler, die sich gegen den Völkermord Vorwurf stellen, sind zwischen 70 und 90 Jahre alt. In der jüngeren Generation gibt es noch Brendon J. Cannon. Mir fehlt die Bekanntheit, sowohl in Deutschland, als auch in der Türkei. Die Türkei hat mich seit 2006 immer wieder mit Versprechungen hingehalten und am Ende gab es die lustigsten Ausreden, warum man die Forschungsvorhaben ablehnt. Schlussendlich wurde mir gesagt, dass die Türkei mich nicht finanzieren will, damit nicht der Eindruck entstehe, ich sei gekauft.
Es ist schon erschreckend, dass man Bauvorhaben in Milliarden Höhe in Auftragt gibt und ein Forschungszentrum, dass für ein zweijähriges Projekt 100.000 Euro haben wollte, wird abgewiesen. Ein aserbaidschanischer Kollege von mir, Anar Allahverdi, erklärte mir dieses türkische Verhalten mit einer Theorie des emotionalen und rationalen Patriotismus. Die Türken leben größtenteils einen emotionalen Patriotismus. Große Reden und viel Applaus sind wichtiger, als handfeste Taten fürs Vaterland. Ohnehin reagiert man in Ankara häufig nur dann, wenn etwas in Europa thematisiert.
NEX24: Wie finanzieren Sie sich und Ihr Forschungszentrum?
Dr. Henrich: Wir sind eine gemeinnützige Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt). Als solche sind wir auf die Einwerbung von Spenden angewiesen. In 2016 habe ich 95 % unserer Mittel selber gespendet. Dies sprengt allerdings meine finanziellen Möglichkeiten. Nicht zuletzt auch weil ich inzwischen sogar gegen einen türkischen Verband vor Gericht ziehen muss, da dieser mein vereinbartes Honorar für einen Vortrag im November 2016 in Karlsruhe nicht bezahlen will.
Eine Ditib Gemeinde hat ebenfalls die Honorarzahlung nicht geleistet, ein UETD Verband mich wieder ausgeladen, weil Sie die Fahrtkosten nicht übernehmen wollen. Traurig. Leider werden mir mehr Steine in den Weg gelegt, als geholfen.
Da mich die türkische Regierung nicht unterstützen will und die türkischen Verbände und Stiftungen sehr zurückhaltend sind, habe ich einen Spendenaufruf für ein Buchprojekt gestartet.
Meine letzte Hoffnung liegt nun auf der türkischen Bevölkerung. Sollte hier auch nichts passieren, werde ich mich anderen Themen zuwenden müssen. Wäre zwar Schade, weil ich mit Leib und Seele für dieses Thema brenne, aber am Ende des Tages muss auch ich meine Familie ernähren.
NEX24: Herr Dr. Henrich, wir bedanken uns für das Gespräch.
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