Ein Gastbeitrag von Özgür Çelik
In den letzten Tagen spricht die türkische Öffentlichkeit immer häufiger über ein Thema:
Seltene Erden.
Nach dem Besuch von Präsident Recep Tayyip Erdoğan in den USA wurde bekannt, dass die Türkei möglicherweise mit den Vereinigten Staaten bei der Förderung dieser wertvollen Rohstoffe in Anatolien zusammenarbeiten will.
Der frühere Nato-Botschafter Mehmet Fatih Ceylan.
„Die Türkei will eine beträchtliche Anzahl von Boeing-Flugzeugen kaufen und mit den USA bei der Gewinnung Seltener Erden in Anatolien zusammenarbeiten.“
Der Schatz unseres Bodens darf nicht der Reichtum anderer werden
Das klingt auf den ersten Blick nach einem großen wirtschaftlichen Schritt – Investitionen, Technologie, internationale Zusammenarbeit. Aber man sollte sich fragen: Wenn diese Bodenschätze auf türkischem Boden liegen – warum sollte dann ein anderes Land die Kontrolle und den größten Nutzen daraus ziehen?
Aus Fehlern lernen: Das Beispiel Bor
Die Türkei besitzt fast alle Bor-Reserven der Welt. Doch anstatt daraus ein nationales Industrieprojekt zu machen, wurde der Rohstoff jahrzehntelang billig exportiert, während andere Länder die veredelten Produkte zu hohen Preisen verkauften. Heute stehen wir an einem ähnlichen Punkt – diesmal mit den Seltenen Erden.
Im Jahr 2022 meldete die Türkei in der Region Eskişehir eines der größten Vorkommen der Welt. Diese Entdeckung könnte das Land zu einem strategischen Akteur in der globalen Technologie- und Energiepolitik machen.
Aber wenn die Türkei erneut nur Rohstoffe liefert, während andere die Technologie und den Gewinn kontrollieren, dann wird sich die Geschichte wiederholen: Das Land bleibt reich an Ressourcen, aber arm an Wertschöpfung.
Kooperation mit den USA – Chance oder strategischer Fehler?
Eine Zusammenarbeit mit den USA mag kurzfristig wirtschaftliche Vorteile bringen. Doch langfristig könnte sie zu einer neuen Form der Abhängigkeit führen.
Seltene Erden sind keine gewöhnlichen Rohstoffe – sie sind Schlüsselmaterialien für Hightech, Verteidigung, Raumfahrt und die Energiewende. Wer die Kontrolle über sie hat, kontrolliert einen großen Teil der Zukunftstechnologien.
Wenn die Türkei die Förderung und Verarbeitung dieser Rohstoffe internationalen Unternehmen überlässt, verliert sie die Möglichkeit, eine eigene industrielle Basis aufzubauen.Deshalb sollte jede Kooperation auf klaren Bedingungen beruhen: Technologietransfer, nationale Aufsicht und gleichberechtigte Partnerschaft.
Ohne diese Elemente wäre ein solches Abkommen kein Fortschritt, sondern ein strategischer Rückschritt.
Umweltschutz ist keine Option, sondern Pflicht
Die Förderung Seltener Erden ist eine der umweltschädlichsten Formen des Bergbaus. Sie verschmutzt Böden, Flüsse und Luft – oft mit radioaktiven Abfällen und giftigen Chemikalien. China hat diese Lektion auf schmerzhafte Weise gelernt. Ganze Regionen wurden durch unkontrollierte Förderung unbewohnbar.
Die Türkei darf diesen Fehler nicht wiederholen
Mit moderner Technologie, geschlossenen Kreisläufen, Abwasserreinigung und „Urban Mining“ – also der Rückgewinnung Seltener Erden aus Elektroschrott – ist es möglich, Ressourcen nachhaltig zu nutzen. Der Fortschritt darf nicht auf Kosten der Natur erkauft werden.
Eigene Ressourcen, eigene Zukunft
Das Ziel muss klar sein: Die Türkei muss ihre eigenen Ressourcen selbst fördern, verarbeiten und nutzen können. Nur so entsteht Unabhängigkeit – wirtschaftlich, technologisch und politisch.
Ein Land, das seine Rohstoffe exportiert, aber die fertigen Produkte importiert, bleibt abhängig, egal wie reich seine Böden sind.
Um das zu ändern, braucht es Investitionen in Forschung, Ausbildung und Industrie – und vor allem den politischen Willen, nationale Interessen über kurzfristige Gewinne zu stellen.
Eine Frage der Zukunft
Die Seltenen Erden sind mehr als nur ein Rohstoff. Sie sind ein Test dafür, ob die Türkei ihre natürliche Stärke in eine strategische Unabhängigkeit verwandeln kann – oder ob sie wieder einmal die Kontrolle über ihren eigenen Reichtum verliert.
Es liegt an uns, ob wir unsere Bodenschätze schützen, verarbeiten und für kommende Generationen bewahren – oder ob wir zulassen, dass der Schatz unseres Bodens zum Reichtum anderer wird.
Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von NEX24 dar.
Zum Autor
Özgür Çelik studierte Politikwissenschaft, Soziologie und Philosophie an der Universität Duisburg-Essen. Seine Fachgebiete sind die deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei sowie zwischen der EU und der Türkei, türkische Politik, die türkische Migration und Diaspora in Deutschland
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